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Chemikaliensicherheit im Krebsgang
EU-News | 05.10.2020
#Kreislaufwirtschaft #Chemikalien

Chemikaliensicherheit im Krebsgang

chemikalien_scheidegger_pixabay
Foto: Matthias Rietschel

Zwei Schritte vor und drei zurück – so scheint es im Moment in der europäischen Chemikalienpolitik zuzugehen. Das Europäische Umweltbüro EEB protestiert gegen die Blockadehaltung von Gesundheitsbeamt*innen in Brüssel. Die geplante Datenbank für gefährliche Substanzen in Produkten (SCIP) wird auf die lange Bank geschoben. Verschoben ist die internationale Chemikalienkonferenz SAICM.

Gegenwind aus unerwarteter Richtung

Das Europäische Umweltbüro EEB hat schon viel erlebt, aber dass nun ausgerechnet die für Gesundheit zuständigen Beamt*innen in Brüssel laut einem durchgesickerten internen Dokument und verschiedenen Medienberichten bei der größten Aufwertung der EU-Chemikaliensicherheitsgesetze seit zehn Jahren die Fortschritte blockieren, ist dem Dachverband „ein Rätsel“. Besagtes Dokument zeige, dass die Generaldirektion Gesundheit und Lebensmittelsicherheit wirtschaftlich motivierte Bedenken äußere und sich gegen schnellere und strengere Vorgaben bei den chemischen Kontrollen ausspreche. Die EEB-Chemikalienexpertin Tatiana Santos fragt sich, warum die Gesundheitsbeamten „kämpfen, anstatt diese einmalige Gelegenheit zu ergreifen, chronische und weit verbreitete Krankheiten zu reduzieren“. Die voraussichtlich für den 14. Oktober erwartete EU-Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit könnte so viel zum Kampf gegen Krankheiten wie Krebs beitragen. Unter anderem will die EU-Kommission Chemikaliensicherheitskontrollen verstärken, um eine große Zahl von Schadstoffen in Verbraucher- und Handelserzeugnissen rasch zu beseitigen. Schon im Juli hatte es Gegenwind von der für den Binnenmarkt zuständigen Generaldirektion der EU-Kommission gegeben (EU-News 16.07.2020).

Wo bleibt die SCIP-Datenbank?

Rund 50 Nichtregierungs- und andere Organisationen haben einen Brief von ClientEarth und EEB mitunterzeichnet. BUND, HEAL, PAN Europe und viele andere protestieren darin gegen die Verzögerungen bei der Einführung einer neuen EU-Chemikaliendatenbank. Die von der Europäischen Chemikalienagentur ECHA zu führende Datenbank würde von den Lieferanten detaillierte Informationen über alle gefährlichen Stoffe in ihren Produkten verlangen (Substances of Concern in Products – SCIP). Diese für mehr Transparenz sorgende Informationsquelle ist der Industrie aber scheinbar ein Dorn im Auge. ClientEarth und EEB schreiben in ihrem Brief von wiederholten Versuchen der Industrie, diese Verpflichtung abzuschwächen und auf die lange Bank zu schieben. Das Verbändebündnis fordert EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen und EU-Umweltkommissar Sinkevičius auf, derlei Vorstößen standzuhalten. „Die Bürger*innen sind zunehmend besorgt über die Auswirkungen von Chemikalien auf die Gesundheit und die Umwelt. Eine weitere Verzögerung bei der Gewährleistung von Transparenz wäre inakzeptabel“, kritisieren die Organisationen.

EU-Bienenleitfaden: PAN Europe kritisiert intransparentes und unwissenschaftliches Vorgehen

Das europäische Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN Europe) hat anlässlich der Debatte im EU-Umweltausschuss ENVI das intransparente und unwissenschaftliche Vorgehen der zuständigen EU-Behörden bei der Überarbeitung des Bienenleitfadens kritisiert. Industrieinteressen stünden nach wie vor über wissenschaftlichen Erkenntnissen und ohne die Zivilgesellschaft wären kaum Informationen nach draußen gedrungen. Die Europäische Lebensmittelbehörde EFSA und Teile der EU-Kommission würden „die Agenda der Pestizidindustrie“ fördern, kritisierte Chemikalienpolitikexperte Hans Muilerman, behaupteten aber vor dem ENVI das Gegenteil. Voraussichtlich am 22. und 23. Oktober werde der zuständige Ausschuss entscheiden, welches Schutzlevel Bienen in Europa zugestanden wird.

Verschobene SAICM-Konferenz darf keine Entschuldigung fürs Nichtstun sein

Ein zivilgesellschaftliches Bündnis hat die Bundesregierung aufgefordert, trotz der verschobenen fünften Internationalen Konferenz zum Chemikalienmanagement (Strategic Approach to international Chemicals Management - SAICM) jetzt konsequent die Weichen für eine giftfreie Zukunft zu stellen. Dazu sollte sie auch die deutsche EU-Ratspräsidentschaft nutzen. Neben der Klima- und Biodiversitätskrise müsse auch „die dritte Großbaustelle der Umwelt- und Gesundheitspolitik“ Beachtung finden: der Umgang mit teilweise langlebigen, hochgiftigen und sich in Mensch, Tier und der Umwelt anreichernden Chemikalien. Denn es sei absehbar, dass sich die Produktion von Chemikalien bis 2030 im Vergleich zu 2017 verdoppeln wird. Die ursprünglich für Oktober geplante SAICM-Konferenz wurde pandemiebedingt auf Anfang Juli 2021 verschoben. Deutschland bleibe Gastgeber. „Weshalb von der Bundesregierung nicht stärkere Signale ausgehen, erschließt sich nicht“, kritisierte Wolfgang Obenland vom Forum Umwelt und Entwicklung. Da die Weltgesundheitsorganisation WHO mehr als 1,6 Millionen Todesfälle jährlich auf die Belastung mit Chemikalien zurückführt, müssten die globalen Spielregeln für den Umgang mit und die Entsorgung von Chemikalien schon heute höchste politische Aufmerksamkeit genießen. Deutschland stehe als einer der weltweit größten Chemiestandorte besonders in der Verantwortung. Außerdem müsse die Bundesregierung dazu beitragen, Doppelstandards im Pestizidhandel abzubauen und den Export in der EU verbotener hochgefährlicher Pestizide zu unterbinden, ergänzte PAN Germany. Auch der Genderaspekt müsse im politischen Prozess eine zentrale Rolle spielen, denn Frauen und Männer seien unterschiedlich von schädlichen Chemikalien betroffen und reagierten auch auf verschiedene Art, mahnte Women Engage for a Common Future (WECF). [jg]

EEB-Pressemitteilung: Toxic shock: health officials block progress on chemical safety und META-Bericht

Berichterstattung Süddeutsche Zeitung: Die Chemie stimmt nicht

SCIP-Datenbank: Offener Brief von rund 50 Nichtregierungsorganisationen 

PAN Europe: European Commission and EFSA under fire from the European Parliament’s Environment Committee for watering down the protection of bees against pesticides

BUND et al.: Bundesregierung darf Chemikalienpolitik nicht auf dem Abstellgleis parken 

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NACHHALTIGKEITSSTRATEGIE FÜR CHEMIKALIEN (HERBST 2020)

Aus dem Forderungspapier der deutschen Umweltverbände zum Europäischen Green Deal: Die unterzeichnenden Verbände fordern

  • Die Strategie muss Gesetzeslücken bezüglich der Verwendung von Chemikalien schließen und ein übergreifendes Rahmenwerk für den Umgang mit gefährlichen Stoffen erstellen.
  • Die EU-Kommission hat dabei das Vorsorge-, das Nachhaltigkeits- und das Verursacherprinzip konsequent anzuwenden und für transparente Entscheidungsprozesse zu sorgen.
  • Einzelstoffbewertungen sind durch Gruppenbewertungen zu ersetzen, um die Effizienz der Bewertungen zu erhöhen und sicherzustellen, dass bedenkliche Stoffe durch sichere Alternativen ersetzt werden und nicht durch Substitute der gleichen Stoffgruppe.
  • Risikobewertungen von Stoffen sind durch unabhängige Prüflabore durchzuführen, die aus einem von der Industrie bereitgestellten und von einer unabhängigen EU-Agentur verwalteten Fonds bezahlt werden.
  • Die Substitution gefährlicher Chemikalien ist, sobald Alternativen vorhanden, verbindlich vorzugeben. Durch finanzielle Anreize und die Integration der Grundsätze „grüner Chemie“ ist die Entwicklung von Alternativen zu besorgniserregenden Stoffen zu fördern.
  • Um das Ziel einer sauberen Kreislaufwirtschaft und die fachgerechte Entsorgung giftiger Stoffe zu unterstützen, ist eine Verpflichtung zur vollständigen Offenlegung der chemischen Zusammensetzung von Konsumgütern zu entwickeln.
  • Der Aufbau der SCIP-Datenbank zu besorgniserregenden Stoffen in Produkten der Europäischen Chemikalienagentur ist zu unterstützen und mit anderen Datenbanken, z.B. der AskREACH-Datenbank, zu verbinden.
  • Es ist ein Aktionsplan zum Schutz gefährdeter Bevölkerungsgruppen zu erstellen, der die Expositionsrisiken dieser Gruppen senkt

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