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Fließgewässerschutz: ein Schritt vor, zwei zurück?
EU-News | 17.12.2020
#Wasser und Meere

Fließgewässerschutz: ein Schritt vor, zwei zurück?

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c. pixabay

Es fließt wohl noch viel Wasser den Rhein & Co herunter, bis Flüsse aus ökologischer Sicht endlich gesund zu nennen sind. Zumindest gab es Rückenwind für die Wasserrahmenrichtlinie im EU-Parlament. Proteste gegen den fadenscheinig mit Hochwasserschutz begründeten Ausbauplan der Oder durch die polnische Regierung bekommen Verstärkung aus der Forschung. Kein öffentliches Geld für kleine Wasserkraft fordern Nichtregierungsorganisationen und Einzelpersonen. Und Gewässerrenaturierung in Deutschland wird künftig wohl leichter, wenn eine Gesetzesänderung hält, was sie verspricht, konstatiert der NABU.

EU-Gewässerschutz endlich ernst nehmen!

Das EU-Parlament hat am Donnerstag mit großer Mehrheit für eine verbesserte Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) und damit den Schutz von Gewässern gestimmt. In der Zeit zwischen der Abstimmung im Umweltausschuss ENVI (EU-News 02.12.2020), der Abstimmung über die Trinkwasserrichtlinie (EU-News 15.12.2020) und der Plenarabstimmung über die Resolution zur Umsetzung der Wassergesetzgebung der EU 2020/2613(RSP) haben sich hinter den Kulissen noch zahlreiche Umweltaktive dafür eingesetzt, die etwas unklare Aussage über die Einschätzung von Wasserkraft nachzuschärfen. Denn neue, kleine Wasserkraftwerke tragen nicht in großem Maßstab zur Dekarbonisierung bei, leisten keinen nennenswerten Beitrag zum europäischen Green Deal und schaden der Natur - so die Argumentation in Kürze. Die Populationen europäischer Wanderfischarten haben seit 1970 um 93 Prozent abgenommen. Im Oktober hatten sich über 150 Organisationen gegen die weitere öffentliche Finanzierung von neuen Wasserkraftwerken ausgesprochen (EU-News 27.10.2020).

Martin Häusling (MdEP Grüne/EFA) zeigte sich zufrieden mit der Stoßrichtung der Resolution: "Die Hälfte der Wasserkörper der EU ist in keinem guten Zustand. Das Ziel der Wasserrahmenrichtlinie, spätestens bis 2027 einen guten ökologischen und chemischen Zustand unserer Gewässer und des Grundwassers erreicht zu haben, erscheint von Jahr zu Jahr utopischer." Das Europäische Parlament rufe die Mitgliedstaaten dazu auf, dringend dafür zu sorgen, dass die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie erfüllt werden. Die EU-Kommission soll strikt und rasch gegen Vertragsverletzungen vorgehen, dafür müssten finanzielle und personelle Ressourcen für Vertragsverletzungsverfahren aufgestockt werden. Häusling: "Auch die Passagen zur Wasserkraft konnten wir in der Plenarabstimmung verbessern. Die Resolution ruft nun dazu auf, Wasserkraft ganzheitlich zu betrachten, die Vorteile der nachhaltigen Energieerzeugung gegen ihre Umweltauswirkungen abzuwiegen. Der Bau von Wasserkraftwerken in Schutzgebieten ist zu unterlassen. EU-Zuschüsse und öffentliche Finanzmittel für neue Wasserkraftwerke in Gebieten, die keine Schutzgebiete sind, sollen nur gewährt werden, wenn ihr Gesamtnutzen die Gesamtheit der negativen Auswirkungen deutlich überwiegt." Die Resolution hat keine rechtliche Bindung, wird aber als wichtiges Signal gesehen.

Kein Geld für Fließgewässerzerstörung

Zahlreiche Nichtregierungsorganisationen und Einzelpersonen haben sich zum Entwurf der EU-Kommission zum nachhaltigen Finanzwesen und der Einstufung verschiedener Energieerzeugungsoptionen geäußert. Darin geht es auch um die Klassifizierung von Wasserkraft als "grüne Investition" beziehungsweise den Protest dagegen, die Zerstörung von Ökosystemen durch kleine Wasserkraft als "grün" zu bezeichnen. Die Konsultation endet am 18. Dezember um Mitternacht (siehe auch EU-News Klima kompakt 18.12.2020).

Oderausbau gefährdet seltene Arten und Lebensräume

Die polnische Regierung plant den Ausbau der Oder mit Mitteln von Weltbank, EU und der Entwicklungsbank des Europarates. Doch dagegen regt sich Protest (EU-News 04.09.2020). Und nun hat sich auch die Wissenschaft zu Wort gemeldet: "Die Maßnahmen werden wertvolle Lebensräume vieler seltener und vom Aussterben bedrohter Tier- und Pflanzenarten auf polnischer und deutscher Seite des Flusses unwiederbringlich zerstören. Die Planungen verstoßen in mehrfacher Hinsicht gegen geltendes EU-Recht und gefährden neben der Umwelt auch die Landwirtschaft beidseitig der Oder", urteilte eine Forschungsgruppe des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB). Die Gruppe hat der Europäischen Kommission, der Bundesregierung und der Brandenburger Landesregierung dringend empfohlen, weitere diplomatische und juristische Schritte gegen das polnische Ausbauvorhaben einzuleiten und auch die eigenen Ausbaupläne Deutschlands zu stoppen. Stattdessen sollten sich alle Politikebenen für den Erhalt der Oder als ökologisches Vorranggebiet einsetzen.

„Die kritische Bewertung durch das bundesweit größte Forschungszentrum für Binnengewässer bestätigt einmal mehr unsere Haltung. Das 'Policy Brief' des IGB macht deutlich, dass durch den Oderausbau irreversible Folgen für die biologische Vielfalt zu erwarten sind. Wer 20 Jahre nach Inkrafttreten der EU-Wasserrahmenrichtlinie behauptet, der Oderausbau sei im Einklang mit der europäischen Umwelt- und Naturschutzgesetzgebung machbar, hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt", kommentierte Florian Schöne, Politischer Geschäftsführer des Umweltdachverbands Deutscher Naturschutzring (DNR) die Veröffentlichung des IGB. Falls das Argument Hochwasserschutz weiter als Vehikel zum Ausbau der Binnenschifffahrt genutzt werde, könnten aus Sicht des DNR langfristige gerichtliche Auseinandersetzungen die Folge sein, ähnlich wie bei den Vertiefungen an Elbe und Weser.

Gesetzesänderung: Wasserstraßenverwaltung soll künftig leichter renaturieren können

Das Bundeskabinett in Deutschland entscheidet zurzeit über eine Gesetzesänderung, die Renaturierungsmaßnahmen an großen Flüssen durch die Wasserstraßenverwaltung (WSV) des Bundes ermöglichen soll. Der NABU begrüßte den Änderungsvorschlag, mit dem ein "Schlussstrich unter die jahrelange Diskussion zwischen Bund und Ländern" gezogen werde. Die offene Zuständigkeitsfrage, wer was an Bundeswasserstraßen machen darf und soll, war der Organisation schon seit Jahren ein Dorn im Auge. Mit der Gesetzesanpassung soll die WSV nach Angaben des NABU künftig auch umfangreiche Maßnahmen zur Verbesserung des ökologischen Zustands in Angriff nehmen können. Dazu gehörten beispielsweise die großflächige Umgestaltung von Uferbereichen, die Entwicklung von Flussinseln und -bänken, der ökologischer Umbau von Buhnen und Leitwerken oder die Anbindung größerer Auengewässer und Nebenarme. Die Anpassung des Gesetzes sei auch für die Umsetzung des Bundesprogramms Blaues Band (BBD) essentiell, kommentierte der NABU. Mit dem Programm soll ein Biotopverbund entlang der großen Flüsse des Bundeswasserstraßennetzes entwickelt werden.

Trotz einiger positiver Entwicklungen der vergangenen Jahre erreichen aktuell nur sieben Prozent der Fließgewässer in Deutschland einen guten ökologischen Zustand und in Europa sieht es nicht viel besser aus (EU-News 04.08.2020, EU-News 30.07.2020, EU-News 10.07.2020, EU-News 30.06.2020). [jg]

EU-Parlament - Entschließung zur Umsetzung der Wassergesetzgebung der EU

Reaktion Martin Häusling: Wasserschutz Marsch! - EU-Parlament bestätigt: Die Wasserrahmenrichtlinie ist zweckdienlich (fit for purpose)

Konsultation: Nachhaltiges Finanzwesen – EU-Klassifizierungssystem für grüne Investitionen

IGB: Forscher warnen: Ausbaupläne an der Oder gefährden seltene Lebensräume und Arten sowie die Landwirtschaft

Reaktion DNR: IGB Policy Brief „Ausbaupläne an der Oder – Gefahren für Natur und nachhaltige Nutzung“

NABU: Wegweisende Gesetzesänderung für Flüsse beendet Diskussion um Zuständigkeit

Klimawandel und Überschwemmungen

Eine historische Analyse zeigt, dass das Ausmaß von Überschwemmungen in Europa außergewöhnlich ist und möglicherweise mit dem Klimawandel zusammenhängt. Das lässt sich in Kurzform in der Ausgabe 554 von Science for Environment Policy nachlesen. Forscher*innen haben fast 10.000 Flussüberschwemmungen in Europa in den letzten 500 Jahren analysiert und gezeigt, dass die jüngsten Hochwasserereignisse in ihrem Ausmaß außergewöhnlich sind. Darüber hinaus seien frühere hochwasserreiche Perioden oft mit kühleren Durchschnittstemperaturen verbunden, aber die heutigen Überschwemmungen fänden im Kontext von wärmeren Luft- und Meerestemperaturen statt. Die Ergebnisse zeigen, dass die Überschwemmungen in Bezug auf das Ausmaß, die Lufttemperaturen und die Jahreszeit extrem sind. Issue 554

Meeresschutz an Land

Weil "jeder See und jeder Fluss (...) wie eine Ader mit der Lunge unseres Planeten verbunden" ist und "wir an Land (...) untrennbar mit den Ozeanen verbunden" sind, hat die Organisation DEEPWAVE ein weltweites Netzwerk für Meeresschutzgebiete an Land gegründet. Private Areale, die ans Wasser grenzen, sollen zu "Meeresschutzgebieten" werden. Auf diesen Flächen kann konkret, direkt und für das Umfeld sichtbar dafür gesorgt werden, dass die Meere weniger belastet werden. Ein Expertengremium soll Richtlinien erstellen, die für das jeweilige Ökosystem des Schutzgebietes ausdifferenziert sind. Diese Vorgaben entstehen in Abstimmung mit den Richtlinien, die auf dem Meer gelten. Das Projekt verbindet den Wunsch, etwas wirksam tun zu können für die Meere, mit der Aufklärung darüber, was die aktuellen Bedrohungen der Meere sind und wie effektiver Meeresschutz aussehen kann. Seit dem 3. Dezember 2020 läuft die Ausschreibung für das erste Pilotgebiet. Infos und Bewerbung: info@deepwave.org

14 Empfehlungen zum Schutz der Süßwasser-Biodiversität

2020 endet die „UN-Dekade der Biodiversität“. Doch keines der 20 Aichi-Biodiversitätsziele wurde in den letzten zehn Jahren erreicht. Weltweit bleibt der Schutz der biologischen Vielfalt also eine große Herausforderung – dies gilt insbesondere für Süßwasser-Ökosysteme, die bislang in politischen Prozessen und Regelwerken nicht ausreichend berücksichtigt werden. Ein internationales Forschungsteam unter Leitung des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) hat 14 Empfehlungen für politische Folgeabkommen zum Schutz der biologischen Vielfalt ausgearbeitet – mit Blick auf die Süßwasser-Biodiversität. Weiterlesen

Politische Ränkespiele um die albanische Vjosa

Um den in Albanien gelegenen Vjosa-Fluss scheint inzwischen ein beispielloses politisches Ränkespiel ausgebrochen, kritisiert die Stiftung EuroNatur. Um die Zukunft von Europas letztem Wildfluss gibt es Streit. 94 Prozent der albanischen Bevölkerung sind für die Errichtung eines Vjosa-Nationalparks. Und auch die Weltnaturschutzunion IUCN bestätigt das Potenzial der Vjosa, Nationalpark zu werden. Albaniens Umweltminister hat aber gegenteilige Pläne, obwohl er kürzlich anderes behauptete - und dafür internationale Anerkennung erntete (EU-News 28.09.2020). Vergangene Woche präsentierte die Nationale Schutzgebietsbehörde, die dem Minister für Tourismus und Umwelt untersteht, den Plan für die Vjosa, berichtet EuroNatur. Darin finde sich kein Wort von einem Nationalpark; ein Schutzstatus für besonders wertvolle Flussabschnitte, die von Dammbauten bedroht sind, sei ebenfalls nicht vorgesehen. Weiterlesen

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