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Die GAP ab 2023 steht: Grün ist anders, Spielraum nach oben und unten für Mitgliedstaaten
EU-News | 29.06.2021
#Landwirtschaft und Gentechnik #Biodiversität und Naturschutz

Die GAP ab 2023 steht: Grün ist anders, Spielraum nach oben und unten für Mitgliedstaaten

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Foto: Greenpeace

25 Prozent für Eco Schemes, aber eine zweijährige „Lernphase“, viele Ausnahmen bei Umweltstandards und keine Verankerung des Green Deal: Am Freitag verkündeten die Vertreter*innen von Rat, EU-Parlament und EU-Kommission, sich auf die Reform der europäischen Agrarpolitik (GAP) für 2023 bis 2027 geeinigt zu haben.

Somit sind die Verhandlungen über die Überarbeitung der Strategieplanverordnung, der Verordnung zur Gemeinsamen Marktorganisation und der horizontalen Verordnung abgeschlossen. Die portugiesische Ratspräsidentschaft erreichte damit ihr Ziel, die Agrarreform noch in ihrer Amtszeit, also in der ersten Jahreshälfte abzuschließen. Nach der informellen Einigung am Freitag stimmten die Landwirtschaftsminister*innen der 27 Mitgliedstaaten dem Kompromisstext am Montag auf ihrer Sitzung des Agrarrats bereits zu.

Der Deal

1. Säule/Eco Schemes: Einer der größten Knackpunkte war die Frage, wie viel Geld aus der 1. Säule in Zukunft für das neu geschaffene Instrument der Eco Schemes (Öko-Regelungen) reserviert sein sollen. Die Einigung sieht folgendermaßen aus: Mindestens 25 Prozent der Mittel sollen in Eco Schemes fließen. In den ersten beiden Jahren der siebenjährigen Förderperiode – in einer sogenannten Lernphase – muss der Anteil nur bei mindestens 20 Prozent liegen. Wenn Mitgliedstaaten mehr als 30 Prozent der Mittel der 2. Säule für Umweltschutzmaßnahmen, Naturschutz und benachteiligte Gebiete ausgeben, können sie den Anteil für Eco Schemes um die entsprechende Summe kürzen.

2. Säule: Mindestens 35 Prozent der Gelder der 2. Säule müssen für Umwelt- und Tierschutzmaßnahmen ausgegeben werden. Die Hälfte dieser Mittel kann durch Ausgleichszahlungen für benachteiligte Gebiete (ANC) angerechnet werden. Deren positive Umweltauswirkungen sind jedoch nicht nachgewiesen.

Konditionalität: Der Erhalt der Direktzahlungen, die immer noch 75 Prozent der 1. Säule ausmachen, ist an bestimmte ökologische Bedingungen geknüpft (Standards für die Erhaltung von Flächen in gutem landwirtschaftlichen und ökologischem Zustand, GLÖZ). Diese grundsätzlich wichtigen Bedingungen wurden jedoch durch einige Ausnahmen aufgeweicht.

  • GLÖZ 2 zum Schutz von Mooren und Feuchtgebieten kann mit zweijähriger Verspätung in Kraft treten, wenn Mitgliedstaaten dafür erst noch ein Bewirtschaftungssystem einrichten müssen.
  • Auf den mindestens drei Meter breiten Gewässerrandstreifen (GLÖZ 4) dürfen keine Pestizide und Düngemittel ausgebracht werden. In Gebieten mit erheblichen Entwässerungs- und Bewässerungsgräben können die Mitgliedstaaten die Mindestbreite „entsprechend den spezifischen örtlichen Gegebenheiten anpassen“.
  • Die in GLÖZ 8 geregelte Fruchtfolge ist aufgrund weitreichender Ausnahmen letztlich nicht mehr verpflichtend. So sind auch der Anbau von Leguminosen und weitere Verfahren der Anbaudiversifizierung zugelassen. Betriebe mit weniger als 10 Hektar Land sind von dem Standard ausgenommen.
  • Landwirt*innen müssen mindestens vier Prozent ihrer Ackerfläche stilllegen (GLÖZ 9). Ausnahme: Wenn sie auf mindestens sieben Prozent ihrer Flächen Zwischenfrüchte oder Leguminosen anbauen, reduziert sich der Mindestanteil für Brachflächen auf drei Prozent. Hecken und Bäume dürfen während der Brut- und Aufzuchtzeit von Vögeln nicht beschnitten werden. Auch dieser Standard gilt nicht für Betriebe mit weniger als 10 Hektar Land.

Klimaschutz: 40 Prozent der Mittel aus der 1. Säule sowie die für Eco Schemes aufgewendeten Mittel werden automatisch als Leistung für den Klimaschutz angerechnet. Die EU-Kommission kann frühestens 2026 eine neue Berechnungsart erarbeiten. Der Europäische Rechnungshof hatte erst vergangene Woche festgestellt, dass die offiziell als Klimaschutzgelder bezeichneten GAP-Mittel in den letzten Jahren wirkungslos waren (siehe EU-News vom 22.06.).

Verbindung zum Green Deal: Die Ziele der Green-Deal-Strategien für ein nachhaltiges Lebensmittelsystem (Farm-to-Fork) und den Schutz der Biodiversität bis 2030 sollen zwar erwähnt werden. Eine rechtliche Verpflichtung, die nationalen Strategiepläne mit den Zielen dieser Strategien in Einklang zu bringen, gibt es jedoch nicht.

Außerdem: Mindestens zehn Prozent der 1. Säule müssen an kleine Betriebe fließen, eine Deckelung der Direktzahlungen muss nicht stattfinden. Ab 2025 werden die Direktzahlungen auch an die Einhaltung von Arbeitnehmerrechten geknüpft („soziale Dimension“).

Reaktionen

Umweltverbände kritisieren die Einigung, die von den Verhandlungsparteien als Systemwechsel bezeichnet wird, als Greenwashing. Die Reform basiere weiterhin vor allem auf den pauschalen Direktzahlungen und führe die neuen Umweltmaßnahmen in einer stark abgeschwächten Form ein. Sie biete Mitgliedstaaten, die eine umwelt- und klimaverträglichere Landwirtschaft tatsächlich fördern wollen, jedoch auch Spielräume.

Die nun beschlossene Reform sei „ein monumentales Versagen der politischen Führung“, sich der Biodiversitäts- und Klimakrise zu stellen, erklärte Célia Nyssens, Referentin für Agrarpolitik beim Europäischen Umweltbüro (EEB). Das EEB, BirdLife und Greenpeace EU hatten während der Verhandlungen zehn grüne Tests für eine mit dem Green Deal kompatible GAP aufgestellt. Die nun beschlossene GAP-Reform erfülle nur zwei dieser zehn Anforderungen, stellten die drei Organisationen am Dienstag in einer Analyse des Kompromisstexts fest.

Auch das Institute for European Environmental Policy (IEEP) stellte mit Besorgnis fest, dass „die Mitgesetzgeber eine Einigung über die Zukunft der Gemeinsamen Agrarpolitik erzielt haben, die das ursprünglich von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Niveau der Umwelt- und Klimaambitionen deutlich reduziert“. Es sei „jedoch noch nicht alles verloren“: Die Mitgliedstaaten stünden jetzt in der Verantwortung, „das hohe Maß an Flexibilität zu nutzen“, das die Reform ihnen biete, um die nationalen Strategiepläne „zu den waren Motoren des Übergangs zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft zu machen“, erklärte Faustine Bas-Defossez vom IEEP.

Sarah Martin, Anwältin für Landwirtschaft bei der Umweltrechtsorganisation ClientEarth, erklärte: „Die neue GAP sollte zeigen, wie ernst es der EU mit der Bekämpfung des Klimawandels und der Biodiversitätskrise ist, aber stattdessen wurden nur in letzter Minute oberflächliche Versuche hinzugefügt, die Politik mit dem europäischen Green Deal in Einklang zu bringen.“ Die EU-Institutionen hätten mit ihrem Kompromiss „ein Drittel des EU-Haushalts in eine Politik gesteckt, die mit dem Green Deal unvereinbar ist.“

Marco Contiero, Direktor für EU-Agrarpolitik bei Greenpeace, kritisierte die mangelnde Berücksichtigung wissenschaftlicher Erkenntnisse: „Wenn es um die Landwirtschaft geht, hört die EU nicht auf die Wissenschaft, auf Kleinbauern oder sogar auf ihre eigenen Prüfer.“

Tobias Reichert, Referent für Agrarpolitik bei Germanwatch, forderte die Mitgliedsländer auf, „ihre nationalen Pläne nun so umsetzen, dass sie den Klima- und Biodiversitätszielen der EU gerecht werden.“ Die Vorgaben aus Brüssel ließen immerhin „Spielräume, die nun genutzt werden müssen – insbesondere auch hierzulande“, so Reichert.

Laut André Prescher, Nabu-Experte für EU-Haushalts- und Agrarpolitik, sende die Einigung gleichzeitig „ein fatales Signal an die Mitgliedstaaten, die damit die Agrarpolitik fast wie gewohnt weiterbetreiben können.“ Nach der Bundestagswahl müsse „die neue Bundesregierung deutlich mehr Anstrengungen unternehmen“ als bisher im deutschen Strategieplan verankert: „Wir müssen noch entschiedener mit dem Einstieg in den Ausstieg aus den pauschalen Flächenprämien beginnen, etwa durch einen Mix aus Vorgaben und attraktiver Förderung für Öko-Regelungen und Agrar-Umweltmaßnahmen“, so Prescher.

Sowohl Nyssens als auch Contiero forderten das EU-Parlament auf, dem Kompromiss nicht zuzustimmen.

Norbert Lins (EVP, Deutschland), Verhandlungsführer für das EU-Parlament, lobte dagegen „eine neue, ambitionierte und fairere Agrarreform mit den Landwirtinnen und Landwirten im Zentrum.“ Das EU-Parlament habe sich in den harten Diskussionen durchgesetzt, sich „als ebenbürtiger Co-Gesetzgeber bewiesen“ und sei „den Abschwächungsversuchen der Mitgliedstaaten geeint begegnet.“

Maria Noichl, Schattenberichterstatterin für die Fraktion der Sozialdemokraten, stellte klar: „Mit dieser Agrarreform sind die europäischen Klima- und Umweltziele nicht erreichbar. Die europäische Agrarpolitik kann mehr.“

Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen/EFA-Fraktion und Schattenberichterstatter, kündigte bereits an, dass seine Fraktion „diese Einigung so nicht akzeptieren“ werde. Statt die europäische Agrarpolitik „zum Nutzen von Umwelt, Klima, Artenvielfalt, Böden, Landwirtinnen und Landwirten auszurichten“, seien nur „eine Reihe wolkiger Überschriften“ übriggeblieben, „unter denen das allermeiste beim Alten bleibt.“

So geht es weiter

Noch müssen die überarbeiteten Verordnungen bis in die letzten technischen Details ausformuliert und in die Amtssprachen der EU übersetzt werden. Voraussichtlich im Herbst stimmen die Abgeordneten des EU-Parlaments über die Kompromisse ab. [km]

Trilogergebnisse zur Strategieplanverordnung
Rat: Farming ministers confirm CAP reform deal
Rat: Rat und Parlament erzielen vorläufige Einigung über die Zukunft der GAP
EU-Parlament: EU farm policy reform: Parliament and Council strike a deal

EEB: New EU farm policy will worsen environmental crises for years

EEB, Birdlife und Greenpeace EU: Does the new CAP measure up? – NGOs assessment against 10 tests for a Green Deal-compatible EU Farming Policy

IEEP: What is left for environment and climate in the new CAP?


NABU: Ernüchterndes Ergebnis nach jahrelangem Ringen um die EU-Agrarpolitik


NABU GAP-Ticker: Kniefall des Europaparlaments vor EU-Agrarministern


Clientearth: New farm policy deal sets EU green goals up for failure – ClientEarth reaction

Greenpeace EU: Fake green deal reached on EU farm plan

Germanwatch: EU-Agrarpolitik: Schwache Vorgaben aus Brüssel – Mitgliedsstaaten müssen Spielräume nutzen

EVP: Lins/Jahr: Künftige EU-Agrarpolitik wird fairer und nachhaltiger
Maria Noichl: Agrarpolitik kann mehr - Einigung auf EU-Agrarreform
Martin Häusling: GAP-Trilog: Agrarwende bleibt aus - Schöne Überschriften, wenig Inhalt

Agrarrat: Was sonst noch geschah

Die Landwirtschaftsminister*innen der Mitgliedstaaten stimmten nicht nur der GAP-Reform zu, sondern beschäftigten sich auf ihrem Treffen Anfang der Woche auch mit weiteren umwelt- und tierschutzrelevanten Themen. So sprachen sich viele Teilnehmer*innen für das von der EU-Kommission vorgeschlagene Schutzziel für Bienenvölker (10 Prozent) aus. Wie die Organsiation PAN Europe feststellte, stehe dieses 10-Prozent-Ziel jedoch im Widerspruch mit den Strategien des Green Deal. Die Vertreter*innen Österreichs und der Niederlande brachten das Thema Pelztierzucht auf die Agenda und forderten die EU-Kommission auf, Maßnahmen für ein Verbot der Pelztierzucht in Europa vorzulegen.

Studienvorstellung: Pestizidexporte in Drittstaaten

Am 27. April stellen das Pestizid Aktionsnetzwerk Germany (PAN Germany) und weitere Organisationen die Studie "Doppelstandards und Ackergifte von Bayer und BASF: Ein Blick hinter die Kulissen des internationalen Handels mit Pestizidwirkstoffen" vor. Anschließend laden sie zur Diskussion ein. Die Studie untersucht, wie europäische Firmen Wirkstoffe ins Ausland exportieren, die aufgrund ihrer schädlichen Auswirkungen in der EU verboten sind.

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Berlin - Anlässlich der heutigen Sitzung der europäischen Staats- und Regierungschef*innen appellieren zahlreiche Organisationen aus Umwelt, Tierschutz und Landwirtschaft an die Bundesregierung, sich gegen eine massive Abschwächung von Umweltanforderungen in der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP) auszusprechen. ...