Menü
Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzorganisationen
Startseite
Aktuelles & Termine
Aktuelles & EU-News
Sozial-ökologischer Fortschritt oder unerfüllte Versprechen?
News | 06.11.2023
# sozial-ökologische Transformation #Politik und Gesellschaft

Sozial-ökologischer Fortschritt oder unerfüllte Versprechen?

Der Paritätische für Gemeinnützigkeit
© Der Paritätische
Der Paritätische – Vorfahrt für Gemeinnützigkeit

Nach fast zwei Jahren Amtszeit der Ampel-Regierung ist die Bilanz zwiegespalten: Versprechen von sozial-ökologischem Fortschritt und einzelnen Erfolgen stehen Enttäuschungen und ungelöste Herausforderungen gegenüber. In der zweiten Hälfte der Regierungszeit droht die Steuer- und Haushaltspolitik eine Gefahr für das Voranbringen der sozial-ökologischen Transformation zu werden.

Sozial-ökologischen Fortschritt und eine gesellschaftliche Liberalisierung verspricht der Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung. Und tatsächlich enthält er zahlreiche Verabredungen und Maßnahmen, die vom Paritätischen unterstützt werden. Wie steht es um die Umsetzung dieser Vorhaben, nachdem die Bundesregierung aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP nun seit knapp zwei Jahren im Amt ist? Die Bilanz fällt durchwachsen aus. Neben sozialen Fortschritten, etwa beim Wohngeld oder zeitweise beim Mindestlohn, stehen große Enttäuschungen beim Bürgergeld oder der Kindergrundsicherung. Drängende Probleme, zum Beispiel im Bereich der Pflege, des sozial gerechten und wirksamen Klimaschutzes oder der Inklusion und Teilhabe, sind bislang nicht oder nicht hinreichend bearbeitet.

An der Schnittstelle von Klima- und Sozialpolitik, beim Voranbringen der dringend notwendigen sozial-ökologischen Transformation, wurden zwar einzelne Fortschritte erreicht. Die Begrenzung der Umlage des CO2-Preises auf Mieter*innen ist hier beispielsweise zu nennen. So kann seit 1. Januar 2023 der CO2-Preis in Abhängigkeit vom energetischen Zustand des Gebäudes nur noch begrenzt umgelegt werden. Insgesamt jedoch überwiegen die ausgebliebenen Gesetzgebungen oder jene, die zumindest teilweise schief gegangen sind. So unterläuft die Bundesregierung mit der Reform des Gebäudeenergiegesetzes absehbar die ökologischen Ziele. Und sie hat durch das parteipolitische Gegeneinander, aber auch durch eine fehlende frühzeitige Antwort darauf, wie die soziale Flankierung aussehen soll, viel Vertrauen in das Gelingen der Wärmewende insgesamt verspielt. Keine gesetzgeberischen Aktivitäten gab es bislang zu einer Reform der Modernisierungsumlage beziehungsweise des Umstiegs auf eine Teilwarmmiete. Gleiches gilt für die Einführung eines Klimageldes, wo die rechtlichen und administrativen Voraussetzungen geschaffen wurde beziehungsweise derzeit geschaffen werden. Nach Auskunft der Bundesregierung ist mit der Einführung eines Klimageldes in dieser Legislaturperiode trotz des steigenden CO2-Preises jedoch nicht mehr zu rechnen – ein großes Versäumnis.

Entlastungspakete im sozialen Ungleichgewicht

Bei der Erarbeitung des Koalitionsvertrags noch unerwartet, hatte die Bundesregierung ab dem Frühjahr 2022 auf rapide steigende Preise, vor allem bei Lebensmitteln und Energie, zu reagieren. Sie tat dies mit drei umfangreichen Entlastungspaketen in einem Umfang von rund 100 Milliarden Euro. Dabei enthielten die Pakete einige Maßnahmen, die bereits im Koalitionsvertrag vereinbart waren, etwa die Abschaffung der EEG-Umlage, aber auch neue Maßnahmen wie Energiekostenzuschüsse oder das dreimonatige 9-Euro-Ticket für den ÖPNV.

Jonas Pieper
Nach Auskunft der Bundesregierung ist mit der Einführung eines Klimageldes in dieser Legislaturperiode trotz des steigenden CO2-Preises jedoch nicht mehr zu rechnen – ein großes Versäumnis.
Jonas Pieper, Paritätischer Gesamtverband
Referent für übergreifende Fachfragen

Zweifellos hat die Bundesregierung große finanzielle Anstrengungen unternommen, die Auswirkungen der Inflation auf Haushalte und Unternehmen abzufedern. In der Verteilungswirkung jedoch floss nur ein geringer Anteil zielgerichtet an Bedürftige. Aus den ersten beiden Entlastungspaketen gingen insgesamt gut 23 Milliarden Euro an Privathaushalte. Davon lassen sich nur zwei Milliarden einer zielgerichteten Armutspolitik zuordnen: die Einmalzahlung in der Grundsicherung von 200 Euro, die 20 Euro monatliche Soforthilfe für Kinder in Hartz IV und der Heizkostenzuschuss für Wohngeldbezieher*innen sowie an Azubis und Studierende. Demgegenüber standen zahlreiche Maßnahmen nach dem Gießkannenprinzip oder solche, bei denen der Entlastungseffekt mit dem Einkommen steigt. Ähnlich verhielt es sich mit dem dritten Entlastungspaket, beispielsweise beim Strom- und Gaspreisdeckel oder dem Abbau der sogenannten kalten Progression. Von armutspolitisch spürbarer Bedeutung war dagegen das Wohngeld Plus-Gesetz.

Achillesferse der Ampel: Steuerpolitik und ihre Auswirkungen

Vor Beginn der zweiten Hälfte der Legislaturperiode stellt sich heraus, was bereits mit dem Koalitionsvertrag zu befürchten war: Der Ausschluss von Steuererhöhungen, auch für die sehr hohen Einkommen, Vermögen und Erbschaften in diesem Land, ist die Achillesferse der Ampel-Regierung. Zahlreiche Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag sind angesichts der vorab getroffenen steuerpolitischen Einschränkungen schlicht nicht finanzierbar. Die Lohnersatzleistung im Falle pflegebedingter Auszeiten, deutlich mehr Sozialwohnungen oder die Einführung eines Klimageldes rücken auch durch die offenen Finanzierungsfragen in den Bereich kaum noch umzusetzender Vorhaben. Der Regierungsentwurf zum Bundeshaushalt 2024 schlägt dagegen sogar äußerst massive Kürzungen in zahlreichen Bereichen des Sozialen vor: So sind in der Migrationsberatung für erwachsene Zugewanderte (MBE) Kürzungen von 30 Prozent, im Programm der bundesweiten, behördenunabhängigen Asylverfahrensberatung (AVB) von 50 Prozent und im Bundesprogramm der psychosozialen Zentren um fast 60 Prozent geplant. Für die Freiwilligendienste sind massive Einsparungen von knapp einem Viertel vorgesehen. Die Haushaltspläne der Ampel bedeuten in der zweiten Regierungshälfte massive Einschnitte bei zahlreichen sozialen Angeboten und sind vielerorts eine Gefahr für die soziale Infrastruktur. Gemeinsam mit den drohenden Kürzungen im Umweltschutz und den fehlenden Mitteln für die notwendigen Investitionen in die Dekarbonisierung sind diese Pläne eine ernsthafte Gefahr für das Gelingen der sozial-ökologischen Transformation.

Der Autor

Dr. Jonas Pieper ist Referent für übergreifende Fachfragen beim Paritätischen Gesamtverband.

Das könnte Sie interessieren

Gesetze unter Zeitdruck
News | 15.05.2024
# sozial-ökologische Transformation #Politik und Gesellschaft

Politische Partizipation: Zivilgesellschaft bekommt zu wenig Zeit

Werden Gesetze erarbeitet oder geändert, können sich zivilgesellschaftliche Verbände beteiligen und die Entwürfe durch Stellungnahmen beurteilen. Die Bundesministerien räumen ihnen dafür aber zu wenig Zeit ein. Das ergab eine Untersuchung von Mehr Demokratie, FragDenStaat und Green Legal Impact....