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Schneller planen ohne der Umwelt zu schaden
News | 01.12.2021
#Politik und Gesellschaft #Biodiversität und Naturschutz

Schneller planen ohne der Umwelt zu schaden

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Foto: Sonja Herpich/Bioland

Seit über 30 Jahren wird darüber diskutiert, wie Planungs- und Genehmigungsverfahren von Infrastrukturprojekten beschleunigt werden können. Im Schneckentempo und offenbar „planlos“, denn eine tatsächlich effektive Innovation blieb bis heute aus. Für den Umbau der Infrastruktur mit dem Ziel Klimaneutralität sind schnellere Planungsprozesse aber unerlässlich. Michael Zschiesche vom Unabhängigen Institut für Umweltfragen empfiehlt ein wissenschaftlich begleitetes Monitoring, damit das Planungsrecht zukunftstauglich wird.
 

Politiker*innen und Investoren behaupten häufig, Umweltrecht verhindere eine zügige Planung. Ist da was dran?
Nein. Das Umweltrecht bildet einen von vielen Standards in Planungsverfahren, die sich die Parlamente in Form von Gesetzen gegeben haben. In der Öffentlichkeit wird häufig der Eindruck erweckt, Standards fielen vom Himmel. Das ist Unsinn. Man braucht am Ende einen vernünftigen Ausgleich zwischen Gründlichkeit und Schnelligkeit. Wir Deutschen bilden uns immer viel auf unsere Qualitätsstandards ein. Zügige Planungen sind sicher wichtig. Aber sie sollten kein Selbstzweck sein. Sonst leidet am Ende die Qualität. Und das ist das Gegenteil von Nachhaltigkeit.   

Was sind die wahren Gründe dafür, dass notwendige und sinnvolle Projekte von der Planung bis zur Durchführung viel zu lange brauchen?
Es gibt nicht den einen Grund. Es ist nicht mal so, dass man allgemeingültig die drei oder vier Hauptgründe benennen kann. Natürlich ist die unzureichende Personalausstattung in den Genehmigungsbehörden ein Faktor für langsame Verfahren. Auch die unzureichende Vollständigkeit von Antragsunterlagen seitens der Unternehmen oder der öffentlichen Antragsteller, weiterhin ein Mangel an Gutachtern, ganz generell das Management des Genehmigungsverfahrens. Man könnte die Aufzählung fortführen. Was auffällt: Es sind in der Regel Faktoren, die das Zusammenspiel und die Zusammenarbeit verschiedener Personen und Institutionen betreffen. Denn ganz entscheidend für eine zügige Bearbeitung ist, dass alle Beteiligten das wollen. Ich denke, hier liegt die eigentliche Ursache für Verzögerungen. Es gibt gewissermaßen zu viele Mitspieler*innen in einem Genehmigungsprozess und daher sehr viele Möglichkeiten, ein Vorhaben zu verlangsamen. Und häufig regiert eine Kultur des Bedenkenhabens in den Genehmigungsbehörden und nicht eine Kultur des Ermöglichens. Eins jedenfalls hat die Wissenschaft auch schon herausgearbeitet: Die Öffentlichkeitsbeteiligung ist kein Faktor, der für die zu lange Dauer eines Genehmigungsverfahrens wirklich relevant ist. Auch wenn in der öffentlichen Debatte gern das Gegenteil behauptet wird.

 

„Zügige Planungen sind sicher wichtig. Aber sie sollten kein Selbstzweck sein. Sonst leidet am Ende die Qualität.“
Michael Zschiesche, UfU

Kann die Planung denn verbessert werden, ohne dass Öffentlichkeitsbeteiligung und Umweltschutz auf der Strecke bleiben?
Ja. Wenn all die Faktoren, die ich hinsichtlich Verzögerungen genannt habe, wirksam angegangen würden. Die Öffentlichkeitsbeteiligung ist praktische Demokratie im Kleinen. Ich würde sagen ähnlich bedeutsam und selbstverständlich wie Wahlen oder das Demonstrationsrecht. Daher kann es nicht darum gehen, die Öffentlichkeitsbeteiligung weiter einzuschränken oder gar abzuschaffen. Das würde sich früher oder später rächen und in Form unkontrollierten Protests zurückkommen. Ähnlich ist es mit dem Umweltschutz. Gertrude Lübbe-Wolf, Verfassungsrichterin und vorher Umweltrechtlerin, sagte sinngemäß über Genehmigungsverfahren, diese seien das einzig wirklich auf breiter Front wirksame Instrument der Durchsetzung des geltendes Umweltrechts. Ich denke, das erklärt, warum es immer auch um wirksamen Umweltschutz in solchen Planungsverfahren geht.   

Warum ist es so wichtig, an Umweltverträglichkeitsprüfungen festzuhalten?
Mit Umweltverträglichkeitsprüfungen werden die Umweltauswirkungen konkret festgestellt. Das ist wichtig, um zu rechtfertigen, ob ein Vorhaben berechtigt ist, in Natur und Umwelt einzugreifen. Klar ist, das Instrumentarium muss auch weiterentwickelt werden. Und das passiert ja auch. Klimaschutz beispielsweise wird als Schutzgut wichtiger und wird stärker geprüft.     

Zu einem effektiven Verfahren gehören Transparenz und Partizipation von Anfang an. An welchen Stellschrauben muss hier gedreht werden?
Ich würde Bürger*innen und Umweltverbände frühzeitiger und an dieser Stelle des Verfahrens umfassender beteiligen. Frühzeitige Beteiligung, wie in Baden-Württemberg praktiziert, sollte es in ganz Deutschland geben. Zu einem frühen Zeitpunkt können Weichen noch anders gestellt werden. Natürlich sollte es auch um Verfahrenseffizienz gehen. Das heißt, man kann auch nicht warten, bis der Letzte etwas zum Vorhaben gesagt hat oder man fängt mitten in einem Verfahren noch mal von vorn an, weil einige den Startpunkt für die Beteiligung verschlafen haben

„Turn- oder Stadthallen sind nicht für vertrauenswürdige Gespräche gebaut worden, sondern für Unterhaltung. Aber Dialogformate wie das zur Schiene Nord sind ein gutes Beispiel für bessere Kommunikation.“
Michael Zschiesche, UfU

Welche Bedeutung haben in diesem Zusammenhang Dialogformate, wie sie etwa die Deutsche Bahn im „Dialogforum Schiene Nord“ praktizierte?
Die sogenannten förmlichen Verfahren der Beteiligung sind häufig unzureichend. Der Erörterungstermin reicht nicht aus, um wirklich konstruktiv miteinander ins Gespräch zu kommen. Mit dem Bau des Stuttgarter Bahnhofs 2010 haben die Bahn und danach ganz Deutschland ihre entsprechenden Erfahrungen gemacht. Insofern ist es nur logisch, früher ins Gespräch zu kommen, um die kritischen Punkte eines Projektes oder eines Sektors zu bereden. In der Öffentlichkeitsbeteiligung eines Erörterungstermins prallen ja häufig die Interessen frontal und sehr eruptiv aufeinander. Auch weil es nur diese eine direkte Gesprächsmöglichkeit mit dem Vorhabenträger und der Genehmigungsbehörde gibt. Es gilt aber auch: Trotz unterschiedlicher Interessen und Sichtweisen muss ein Gespräch nicht notwendigerweise unkonstruktiv sein. Hier hat die Bahn gelernt. Man kann konstruktiv über konfliktträchtige Themen sprechen, ohne immer einer Meinung zu sein. Man braucht dafür vielleicht etwas mehr Zeit, vor allem aber bessere Gesprächsformate. Turn- oder Stadthallen sind nicht für vertrauenswürdige Gespräche gebaut worden, sondern für Unterhaltung. Aber Dialogformate wie das zur Schiene Nord sind ein gutes Beispiel für bessere Kommunikation.
 
In einem offenen Brief werfen Umweltorganisationen der scheidenden Bundesregierung in Sachen Planungsrecht Symbolpolitik vor, mit der sie von eigenen klimapolitischen Versäumnissen ablenkt. Was muss die künftige Regierung als Erstes angehen, um dies zu ändern?
Die echten Probleme im Planungsrecht angehen, keine Scheinfragen klären oder den Rechtsschutz, der ja völkerrechtlich und europarechtlich zwingend ist, auszuhebeln versuchen wie mit dem Maßnahmenvorbereitungsgesetz. Ich würde auch empfehlen, hierfür endlich mal ein Monitoring zu installieren und es regelmäßig wissenschaftlich auszuwerten. Damit wäre schon viel gewonnen.

[Interview: Marion Busch]

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Der Interviewpartner

Dr. Michael Zschiesche ist Geschäftsführer und Vorstandsvorsitzender des Unabhängigen Instituts für Umweltfragen (UfU). Er leitet das Fachgebiet Umweltrecht & Partizipation.

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