Breite Opposition gegen neue Gentechnik

Kommende Woche positioniert sich der Agrarrat zum Verordnungsentwurf zu neuen gentechnischen Verfahren. Zahlreiche Organisationen lehnen das Gesetzesvorhaben ab. Kritik kommt auch aus Landwirtschaft, Einzelhandel und Wissenschaft.
Am 10. und 11. Dezember tagt der Rat fĂŒr Landwirtschaft und Fischerei in BrĂŒssel. Auf der Tagesordnung steht auch die allgemeine Ausrichtung zur vorgeschlagenen Verordnung ĂŒber neue genomische Techniken (NGT). Gegen das Gesetzesvorhaben zur Liberalisierung der neuen Gentechnik gibt es schon lĂ€nger breiten Widerstand. Eine Vielzahl von Stimmen aus Zivilgesellschaft, Landwirtschaft, Einzelhandel, Wissenschaft und der Biobranche appellieren an die EU-Gesetzgeber die geplante Deregulierung grundlegend zu ĂŒberdenken.
Ablehnung seitens Umwelt-, Verbraucher- und Landwirtschaftsorganisationen
So fordern 139 VerbĂ€nde und Organisationen aus der Zivilgesellschaft dazu auf, den Kommissionsvorschlag zur Deregulierung der neuen Gentechnikverfahren abzulehnen. In dem VerbĂ€ndepapier pochen sie auf Einhaltung des europĂ€ischen Vorsorgeprinzips, einer umfassenden RisikoprĂŒfung und die Kennzeichnungspflicht fĂŒr NGT. Damit sollen Wahlfreiheit fĂŒr Verbraucherinnen und Verbraucher und das âRecht auf gentechnikfreie Erzeugungâ gewahrt bleiben. Zudem sollten Nachweisverfahren weiter Voraussetzung eines Zulassungsverfahrens bleiben und Patente auf Lebewesen ausgeschlossen werden. Zahlreiche NGOs und AnbauverbĂ€nde unterstĂŒtzen zudem eine aktuelle Petition mit dem Titel "Kennzeichnung und Regulierung aller Gentechnik-Pflanzen erhalten!", die sich an die zustĂ€ndigen deutschen Minister*innen, Bundeskanzler Olaf Scholz und die Abgeordneten des Europaparlaments richtet und zu Redaktionsschluss knapp 47.000 mal unterzeichnet wurde. DarĂŒber hinaus starteten die BioverbĂ€nde eine Mailaktion, bei der sich die BĂŒrger*innen direkt die an EU-Parlamentarier*innen richten können.
Bereits zu letzten Sitzung der Runde der Agrarminister*innen am 20. November hatten der Bund fĂŒr Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), die Arbeitsgemeinschaft bĂ€uerliche Landwirtschaft (AbL), der Bund Ăkologische Lebensmittelwirtschaft (BĂLW) sowie die Jugendorganisationen von AbL (jAbL) und BUND (BUNDjugend) in einem offenen Brief an den deutschen Landwirtschaftsminister Cem Ăzdemir appelliert, den Gesetzesvorschlag abzulehnen. Auf Treckern statt Schlitten ĂŒberbrachten AbL und jAbL zudem pĂŒnktlich zum Nikolaustag am 6. Dezember die Ablehnung von âGeschenken fĂŒr die Gentechnik-Industrieâ an das Bundeslandwirtschaftsministerium. Die Aktion kommentierte Annemarie Volling, Gentechnik-Expertin der AbL, mit den Worten: âWer jetzt die bestehenden Gentechnik-Regelungen abschafft, ruiniert die gentechnikfreie, bĂ€uerliche Landwirtschaft!â
Auch die Initiative âSave Our Seedsâ und die Aurelia Stiftung protestierten jĂŒngst mit einer Plakataktion gegen die Neue Gentechnik. Auf einem groĂem Banner, das am 4. Dezember von einem Trecker durch das Berliner Regierungsviertel und vorbei an der SPD-Parteizentrale gezogen wurde, waren neben dem Bild des Bundeskanzlers Olaf Scholz die Slogans âSchĂŒtzt dieser Mann unsere Wahlfreiheit?â und âWort halten, Olafâ zu lesen. Die Initiator*innen verwiesen damit auf die Website www.scholz-gentechnik.de und das Wahlversprechen von Olaf Scholz, sich fĂŒr eine strikte Regulierung der neuen Gentechniken einzusetzen.
Biobranche besorgt, Einzelhandel fĂŒr Kennzeichnung und Wahlfreiheit
Die EU-Vereinigung der ökologischen Landbaubewegungen (IFOAM-Organics Europe) forderte die Abgeordneten des EuropĂ€ischen Parlaments und die Mitgliedstaaten auf, die Entscheidung der ökologischen Betriebe zu respektieren, auf Gentechnikfreiheit zu setzen und keine NGT verwenden zu wollen. Jan Plagge, PrĂ€sident von IFOAM Europe erklĂ€rte: âBestimmte NGTs von der Risikobewertung und RĂŒckverfolgbarkeit auszunehmen, hĂ€tte weitreichende Folgen fĂŒr die Lebensmittelproduktion in Europa, weit ĂŒber den Ăko-Markt hinaus [âŠ].â Er betonte, dass die Biobewegung im Juni mit ĂŒberwĂ€ltigender Mehrheit dafĂŒr gestimmt habe, gentechnikfrei zu bleiben.
Auch BranchengröĂen des Lebensmitteleinzelhandels hatten sich zuletzt kritisch zum Verordnungsentwurf positioniert. In einer Stellungnahme warnen Konzerne des Einzelhandels aus Deutschland und Ăsterreich, darunter die REWE-Group, Spar, tegut und Hofer, vor der Deregulierung und sprechen sich fĂŒr eine Kennzeichnungspflicht sowie eine FolgenabschĂ€tzung fĂŒr Patente auf Saatgut aus. So mĂŒsse die âlĂŒckenlose RĂŒckverfolgbarkeit und Kennzeichnung von NGTs in der gesamten Warenketteâ und der Fortbestand der gentechnikfreien Produktion gewĂ€hrleistet werden, heiĂt es in dem offenen Brief des Lebensmitteleinzelhandels an Kommission und die Mitglieder des Europaparlaments. Â
Wissenschaft kritisch und kontrovers
Aber auch aus der Wissenschaft mehren sich die kritischen Stimmen zum geplanten Gesetzesvorhaben. Als âhochgradig besorgniserregendâ bezeichnete Angelika Hilbeck vom EuropĂ€isches Netzwerk der Wissenschaftler fĂŒr soziale und ökologische Verantwortung (ENSSER) den Verordnungsentwurf. Die neuen Verfahren seien weder sicher noch prĂ€zise. In einem gemeinsamen Statement warnen Wissenschaftler*innen zudem davor, NGT-Pflanzen ohne RisikoprĂŒfung zuzulassen. Der Gesetzesvorschlag ignoriere die Unterschiede zwischen Neuer Gentechnik und konventioneller ZĂŒchtung und ignoriere damit auch die Risiken von NGT. Dahingegen hatten Leopoldina und die Deutsche Forschungsgemeinschaf (DFG) ihre UnterstĂŒtzung fĂŒr die Deregulierung geĂ€uĂert. DemgegenĂŒber steht jedoch wiederum die EinschĂ€tzung des Bundesamtes fĂŒr Naturschutz (BfN), das auf die Risiken von NGT verweist, auf die Einhaltung des Vorsorgeprinzips drĂ€ngt und mit einem Rechtsgutachten darauf hinweist, dass der Verordnungsentwurf gegen Unionsrecht verstoĂe. [bp]