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EU-Kommission will unbegrenzte Zulassung von Pestiziden
EU-News | 17.12.2025
#Biodiversität und Naturschutz #Chemikalien #EU-Umweltpolitik #Landwirtschaft und Gentechnik

EU-Kommission will unbegrenzte Zulassung von Pestiziden

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© Foto: Pixabay

Die EU-Kommission hat ihre Vorschläge zum „Food and Feed-Omnibus“ vorgelegt. Zukünftig sollen Pestizid-Wirkstoffe zeitlich unbegrenzt zugelassen werden. Umweltverbände und Wissenschaft kritisieren die Pläne scharf.

Der Angriff auf das europäische Umweltrecht geht in die nächste Runde: Am Abend des 16. Dezember hat die EU-Kommission ihre Vorschläge zur „Vereinfachung“ der Lebens- und Futtermittelsicherheit vorgelegt. Mit diesem „Food and Feed – Omnibus“ will die Brüsseler Behörde unter anderem das Zulassungsverfahren für chemisch-synthetische Pestizide deregulieren: Zukünftig sollen viele Pestizid-Wirkstoffe zeitlich unbegrenzt zugelassen werden. Eine regelmäßige, wissenschaftsbasierte Risikoprüfung der Substanzen würde somit entfallen. 

Unbegrenzte Zulassung geplant

Bislang muss die Genehmigung eines Pestizids in der EU regelmäßig erneuert werden. Im aktuellen Verfahren wird die Genehmigung eines Wirkstoffes für 7 bis 15 Jahre erteilt. Danach ist ein erneuter Antrag zu stellen. Dabei kommt es schon bei der heutigen Zulassungspraxis zu Problemen (Webseite des Umweltbundesamtes zur Problematik bei Pestizid-Zulassungen): Teils werden Risiken für Umwelt und Biodiversität ignoriert, Daten sind veraltet und die Wechselwirkungen sowie das Gesamtrisiko von Pestizid-Mischungen werden nicht betrachtet. Mit der nun vorgeschlagenen Abschaffung der wissenschaftlichen Neubewertung der Wirkstoffe („mit Ausnahme der gefährlichsten“), werden die Anforderungen an die Pestizidzulassungen noch weiter abgesenkt.

Umweltverbände und Wissenschaft alarmiert

Durch einen Leak der Kommissionsvorschläge vorab alarmiert, warnten Umweltverbände bereits im Vorfeld der Veröffentlichung vor einer Aushöhlung des europäischen Vorsorgeprinzips. In einem Offenen Brief vom 9. Dezember an Bundeslandwirtschaftsminister Rainer und Bundesumweltminister Schneider appellierten zehn Organisationen – darunter NABU, BUND, das Umweltinstitut München, das Pestizid-Aktions-Netzwerk (PAN) und der DNR – an die Bundesregierung „klare politische Haltung gegen das aktuelle Omnibus-Paket“ zu zeigen, welches Schutzstandards abzuschwächen drohe. Eine gemeinsame Eil-Aktion von Foodwatch und dem Umweltinstitut München mobilisierte zudem gegen die Pläne zur Deregulierung der Pestizid-Zulassung. Mit einer Erklärung an die EU-Kommission äußerten auch zahlreiche Wissenschaftler*innen aus den Bereichen Gesundheit, Toxikologie und Ökologie ihre Besorgnis über die Pläne der Kommission.  

Was will die Kommission?

Laut EU-Kommission soll das Vereinfachungspaket zu Einsparungen von über einer Milliarde Euro führen, darunter über 428 Millionen Euro jährlich für Unternehmen sowie 661 Millionen Euro für nationale Verwaltungen. Neben den Anpassungen im Zulassungsverfahren von chemisch-synthetischen Pestiziden sieht der Kommissionsvorschlag auch Anpassungen bei biologischen Mitteln und Bioziden vor. Als zentrale Maßnahmen des Pakets nennt die Kommission:

  • vereinfachte Verfahren für den Marktzugang von Produkten zur biologischen Schädlingsbekämpfung
  • gezieltere und effizientere Verfahren zur Erneuerung der Zulassung von Pestiziden und Bioziden
  • gezieltere und effizientere Verfahren zur Erneuerung der Zulassung von Futtermittelzusatzstoffen sowie digitale Kennzeichnungsoptionen für Futtermittelzusatzstoffe
  • vereinfachte Maßnahmen für Fermentationsprodukte, die unter Verwendung von gentechnisch veränderten Mikroorganismen (GMM) hergestellt werden
  • strengere Einfuhrvorschriften für Produkte mit Pestizidrückständen, um gleiche Wettbewerbsbedingungen zu gewährleisten
  • vereinfachte Akkreditierungsvorschriften für amtliche Laboratorien
  • ein pragmatischerer Ansatz bei den Grenzkontrollen für pflanzliche Erzeugnisse
  • angepasste Anforderungen an die Überwachung und Risikominderung im Zusammenhang mit der bovinen spongiformen Enzephalopathie (BSE).

Für den biologischen Pflanzenschutz sieht der Vorschlag eine vereinfachte Zulassung und den Abbau von Hindernissen bei der Markteinführung vor. So wird eine EU-weite Definition für „biocontrol active substance“ vorgeschlagen und die Mitgliedstaaten verpflichtet, Anträge für diese Produkte vorrangig zu behandeln. Zulassungen für biologische Mittel sollen bereits erteilt werden dürfen, während die Bewertungsverfahren noch laufen. Außerdem sollen die Möglichkeiten zur gegenseitigen Anerkennung von Genehmigungen unter den Mitgliedstaaten verbessert und die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) anstelle eines Mitgliedstaats mit der ersten Bewertung eines Wirkstoffs beauftragt werden können. 

NGOs: Weihnachtsgeschenk für Industrie, Risiko für Umwelt und Gesundheit 

Umwelt- und Verbraucherschutzorganisationen reagieren ablehnend auf die Pläne der EU-Kommission. Das Pestizid-Aktions-Netzwerk (PAN Europe) sieht trotz kleiner Verbesserungen im Vergleich zum Leak weiterhin zentrale Grundpfeiler des europäischen Pflanzenschutzrechts gefährdet. „Dieser Vorschlag ist nach wie vor stark von den Forderungen der Pestizidindustrie beeinflusst. Die ersten Opfer dieser Einschränkung des Gesundheits- und Umweltschutzes werden Landwirt*innen und ländliche Gemeinden sein, die chronisch giftigen Pestiziden ausgesetzt sind“, erklärte PAN Europe-Geschäftsführer Martin Dermine.

Noch deutlicher fällt die Kritik des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) aus. Pestizid-Expertin Corinna Hölzel spricht von einem „fatalen Dammbruch“, durch den bewährte Schutzmechanismen ausgehebelt würden. Die geplante dauerhafte Zulassung der meisten Pestizide ohne regelmäßige Neubewertung ignoriere wissenschaftliche Erkenntnisse darüber, dass viele Risiken erst nach Jahren sichtbar würden. Statt Vorsorge und Wissenschaft heiße es nun: „Freie Fahrt für Gifte.“ Aus Sicht des BUND bedeuten die Vorschläge einen massiven Rückschritt für den Gesundheits- und Umweltschutz und kämen einem Geschenk an die Pestizidindustrie gleich. Die EU-Kommission mache den Konzernen „ein großes Weihnachtsgeschenk – Natur und Menschen gehen leer aus“, so Hölzel weiter.

Auch für Fabian Holzheid, Geschäftsführer am Umweltinstitut München, ist klar: „Die wiederkehrende Überprüfung von Pestiziden ist ein zentrales Element des europäischen Verbraucherschutzes. Wird sie abgeschafft, erhöht sich die Gefahr deutlich, dass Pestizide über Jahrzehnte im Einsatz bleiben, obwohl sie untragbare Risiken für Umwelt und Gesundheit bergen.“ Darüber hinaus sehe das Omnibus-Paket weitere problematische Lockerungen vor. Das Umweltinstitut München weist darauf hin, dass Abverkaufs- und Aufbrauchfristen für Pestizide unter bestimmten Umständen künftig auf bis zu drei Jahre verlängert werden können, selbst wenn die Genehmigung eines Wirkstoffs widerrufen wurde. Und auch Notfallzulassungen sollen erleichtert werden. Dem Kommissionsvorschlag zufolge sollen besonders gefährliche Pestizide bis zu fünf Jahre lang zugelassen werden können, unter der Voraussetzung, dass keine „zumutbare“ Alternative verfügbar ist. Damit gebe die Kommission einer zentralen Forderung der Pestizidindustrie nach: kein Verbot ohne Alternative. „Dem Missbrauch von Notfallzulassungen und Aufbrauchfristen wird mit dem vorliegenden Entwurf Tür und Tor geöffnet“, erklärte Holzheid. [bp]

Pressemitteilung EU-Kommission 

Gesetzestext

Q&A der EU-Kommission

Pressemitteilung PAN Europe

Pressemitteilung BUND

Pressemitteilung Umweltinstitut München

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