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Ein Deutschlandticket macht noch keine Verkehrswende
News | 03.11.2023
#Mobilität

Ein Deutschlandticket macht noch keine Verkehrswende

Verkehrswende braucht Bundesmobilitätsgesetz
© Jörg Farys
Verkehrswende braucht Bundesmobilitätsgesetz

Die Ampel-Koalition ist vor zwei Jahren mit dem Ziel angetreten, „die 2020er-Jahre für einen Aufbruch in der Mobilitätspolitik zu nutzen und eine nachhaltige, effiziente, barrierefreie, intelligente, innovative und für alle bezahlbare Mobilität zu ermöglichen”. Für eine echte Kehrtwende braucht es ein Bundesmobilitätsgesetz.

Die Ampel-Koalition feiert die Einführung des Deutschlandtickets als ihren größten Erfolg und knüpft damit an die Tarifrevolution des 9-Euro-Tickets aus dem letzten Jahr an. Seit Mai 2023 sind die Abonnent*innen des Deutschlandtickets im ganzen Land für 49 Euro mit den Öffis klimafreundlich mobil. Es könnte ein Gamechanger für die Verkehrswende werden, erste Analysen zum Fahrgastzuwachs machen Mut. Doch das allein reicht nicht aus: Noch immer verfehlt der Verkehrssektor Jahr um Jahr seine Klimaziele, das Bus- und Bahnangebot auf dem Land lässt vielerorts zu wünschen übrig und die Abhängigkeit vom Auto wird durch die Ausbaupläne für Straßen zementiert. Während das Straßennetz wächst, hinkt die Bundesregierung bei der Barrierefreiheit von Bussen, Bahnen und Bahnhöfen hinterher. Zwei Jahre Ampel haben kaum etwas an der Vorrangstellung und den Privilegien des Autos geändert.

Dagegen wurde im Güterverkehr ein wichtiger Schritt in Richtung Klimaschutz und Kostenwahrheit vollzogen: Die Lkw-Maut wurde auf alle Lkw ab 3,5 Tonnen ausgedehnt und der CO2-Ausstoß fließt künftig in die Berechnung mit ein. Gleichzeitig wurde der Finanzierungskreislauf „Straße finanziert Straße“ durchbrochen, indem der Großteil der Mehreinnahmen in den Schienenausbau fließen soll. Damit kommt die Koalition in diesem Jahr endlich ihrem Versprechen nach, mehr Geld in die Schiene als in die Straße zu investieren. Noch laufen die Beratungen, aber für den Haushalt 2024 ist tatsächlich mehr Geld für die Schiene eingeplant. Darüber hinaus will die Koalition bis 2027 dringende Investitionen in Höhe von 45 Milliarden Euro tätigen. Das ist angesichts der überfälligen Sanierung des heruntergewirtschafteten Schienennetzes auch unbedingt nötig. Ob selbst diese Sanierung aber reicht, damit bis 2030 der Deutschlandtakt starten kann, steht weiter in den Sternen – Verkehrsstaatssekretär Michael Theurer rechnet erst 2070 damit.

Auch auf kommunaler Ebene geht die Verkehrswende nur schleppend voran. Inzwischen fordern fast 1.000 Städte und Gemeinden im Rahmen der Initiative „Lebenswerte Städte durch angepasste Geschwindigkeiten“ mehr Handlungsspielraum für Kommunen bei der Verkehrswende. Die angestoßene Reform des Straßenverkehrsrechts gibt Kommunen künftig mehr Freiheiten, aber sie bleibt hinter ihren Möglichkeiten zurück. So sind den Kommunen beispielsweise weiterhin die Hände gebunden, wenn sie Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit innerorts einführen wollen. Wie beim Tempolimit auf Autobahnen weigern sich die FDP und das von ihr geführte Verkehrsministerium, an der herrschenden Vorrangstellung des Autos zu rütteln.

Für eine echte Kehrtwende braucht es ein Bundesmobilitätsgesetz

Beim Thema Verkehrsinfrastruktur sind die gegensätzlichen Positionen der Ampel besonders deutlich. Monatelang wurde über die Prioritäten beim Infrastrukturausbau gestritten. Auch hier sind es das Verkehrsministerium und die FDP, die weiter auf den Ausbau von Autobahnen setzen und ihn beschleunigen wollen, was naturgemäß auf Ablehnung bei den Grünen und den Umweltverbänden stößt. Jetzt gab es zwar eine Einigung, aber es ist fraglich, ob nun wirklich schneller geplant und gebaut wird. Denn die Erfahrung aus den vielen Gesetzesänderungen zur Planungsbeschleunigung der letzten Jahre zeigt, dass der Ausbau weniger an den rechtlichen Vorgaben und den Klagen und Einsprüchen von Umwelt- und Naturschutzverbänden hakt als an fehlendem Geld, Personal und mangelnder Digitalisierung. Deshalb müssen jene Projekte Vorrang bekommen, die nachhaltige Mobilität für alle am besten fördern. Hier setzt auch der Vorschlag des VCD für ein Bundesmobilitätsgesetz an, das übergeordnete Leitziele für die Planung und Gestaltung von Verkehr und Mobilität festlegen würde, wie zum Beispiel Umweltschutz und die Vision Zero, also null Tote im Verkehr.

Michael Müller-Görnert
Der Ausbau der Infrastruktur hakt weniger an den rechtlichen Vorgaben oder Klagen und Einsprüchen von Umwelt- und Naturschutzverbänden als an fehlendem Geld, Personal und mangelnder Digitalisierung.
Michael Müller-Görnert, VCD
Verkehrspolitischer Sprecher

Besonders beim Klimaschutz im Verkehr lässt die Ampel vieles schleifen: Der Verkehrssektor hat auch dieses Jahr sein Ziel aus dem Klimaschutzgesetz verfehlt, doch die Konsequenzen bleiben aus. Denn auf Betreiben der FDP hat die Ampel das Klimaschutzgesetz geändert und damit die Jahresziele quasi abgeschafft. Verkehrsminister Wissing wurde dadurch mehr oder weniger aus der Verantwortung entlassen. Entsprechend sind die von ihm vorgelegten Maßnahmen für das Klimaschutzprogramm kaum geeignet, die Klimalücke bis 2030 zu schließen. Zumal sein größter Hebel kaum noch erreichbar ist: Es wird nicht gelingen, die Anzahl an E-Autos auf deutschen Straßen in den kommenden sechs Jahren auf 15 Millionen zu erhöhen. Stattdessen pocht Wissing vehement auf E-Fuels und hat in Brüssel Porzellan zerschlagen, weil das bereits geeinte Dossier zu den CO2-Grenzwerten für Pkw nochmal neu verhandelt werden musste. Das ist nicht nur politisch fahrlässig, sondern für den Klimaschutz äußerst gefährlich. Denn E-Fuels sind eine Mogelpackung: Sie sind und bleiben knapp und teuer und werden ausschließlich dort gebraucht, wo keine direkte Elektrifizierung möglich ist.

Deutschlandtakt statt Bremsblockade

Die verkehrspolitische Halbzeitbilanz ist daher mehr als durchwachsen und gemeinsames Handeln der Koalition bleibt die Ausnahme. Künftig muss die Ampel vor allem eins tun: geschlossen auftreten und kommunizieren. Denn die Herausforderungen werden immer größer. Vor allem die FDP muss endlich ihre Oppositionsrolle in der Regierung aufgeben und darf bei wichtigen klimapolitischen Maßnahmen nicht länger auf die Bremse treten. Bislang blockiert die Partei fast alle sinnvollen Maßnahmen im Namen einer vermeintlichen Freiheit – und riskiert damit tragischerweise, dass wir unsere gesellschaftliche Freiheit langfristig verlieren.

In den kommenden zwei Jahren muss die Koalition den Deutschlandtakt auf die Spur setzen und kleinere Ausbaumaßnahmen für mehr Kapazität des Schienennetzes rasch umsetzen. Schließlich hat die Regierung auch hier hehre Ziele: Bis 2030 soll der Personenverkehr auf der Schiene verdoppelt, der Anteil des Güterverkehrs von 18 auf 25 Prozent erhöht werden. Gleichzeitig müssen mit dem Ausbau- und Modernisierungspakt die Finanzierung von Bus und Bahn neu aufgestellt und das Angebot durch verbindliche Erreichbarkeitskriterien vor allem auf dem Land deutlich ausgebaut werden.

Das Geld dafür wäre da, wenn klimaschädliche Subventionen abgeschafft werden. Auch das hat die Ampel im Koalitionsvertrag festgelegt – sie muss es jetzt dringend angehen. Denn das Dienstwagen- und Dieselprivileg können und dürfen wir uns nicht länger leisten. Zwei Jahre bleiben der Ampel noch, um ihren Kurs zu korrigieren und die richtigen Prioritäten zu setzen: Klimaschutz, bezahlbare Mobilität für alle und soziale Gerechtigkeit gehören dabei ganz nach vorn.

Der Autor

Der Diplom-Geograf Michael Müller-Görnert ist verkehrspolitischer Sprecher des Verkehrsclubs Deutschland, VCD.

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