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Gebäuderichtlinie: Verläuft die „Renovierungswelle“ im Sande?
EU-News | 15.06.2023
#Klima und Energie

Gebäuderichtlinie: Verläuft die „Renovierungswelle“ im Sande?

Thermische Isolierung
© AdobeStock/Zigmunds
Thermische Isolierung

Hintergrundbeitrag von Yvonne Martin, DNR

Am 6. Juni haben EU-Parlament, Rat und EU-Kommission das Trilogverfahren zur Novellierung der Energy Performance of Buildings Directive (EPBD) gestartet. Umweltverbände verlangen noch größere Anstrengungen, um die Klimaziele und eine Dekarbonisierung des Gebäudesektors bis 2050 zu erreichen. Doch der Kompromissvorschlag steht bereits jetzt auf tönernen Füßen. Strittige Punkte sind die Mindeststandards für die energetischen Anforderungen an Gebäude, Zeitpläne und Ausnahmeregelungen.

Notwendig wurde die Novellierung der Gebäuderichtlinie, weil der Gebäudesektor in der EU zwar für rund 40 Prozent des EU-weiten Energieverbrauchs und 36 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich ist, aber die bisherigen Vorgaben nicht genügen, um die Einhaltung der Klimaziele im notwendigen Maß voranzubringen. Noch immer verbraucht der Gebäudebestand in der EU zu viel Energie, um nachhaltig aus erneuerbaren Ressourcen versorgt zu werden. Deshalb hat die EU-Kommission in ihrem im Dezember 2021 vorgelegten Vorschlag die Einführung verbindlicher Mindeststandards für die Energieeffizienz von Gebäuden (MEPS) vorgesehen. Effizienzverbessernde Maßnahmen wären somit für alle Gebäude mit der schlechtesten Energiebilanz verpflichtend.

Diese Vorgabe schwächte der Rat in seiner Verhandlungspositionierung ab. Er will den Geltungsbereich der MEPS zunächst auf gewerblich genutzte Gebäude beschränken, großzügigere Ausnahmeregelungen von der Sanierungspflicht für einzelne Gebäude zulassen, für Wohngebäude statt eines Einzelhausansatzes Durchschnittsziele für den Gesamtbestand vorgeben und verbindlich zu erreichende Emissions- und Effizienzstandards zeitlich verschieben. Das EU-Parlament hingegen spricht sich wie die Kommission für verbindliche Mindeststandards für alle Gebäude aus. Bei den Neubauten geht der Parlamentsvorschlag über die Vorlage der Kommission hinaus: öffentliche Gebäude sollen ab 2026 emissionsfrei sein, alle anderen neu gebauten Gebäude ab 2028.

Schwierige Verhandlungen zeichnen sich ab. Der Deutsche Naturschutzring (DNR) fürchtet, dass der Kompromissvorschlag des EU-Parlaments, der in seinen Augen bereits jetzt „hinter den Notwendigkeiten“ zurückbleibt, noch stärker verwässert wird. Dabei kommt das EU-Parlament in seinem Vorschlag den Mitgliedstaaten bereits weit entgegen. So soll es möglich sein, die Mindestanforderungen an die Gesamtenergieeffizienz von bestimmten Wohngebäuden aus „Gründen der wirtschaftlichen und technischen Realisierbarkeit und der Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte“ anzupassen und bis zu 22 Prozent der Wohngebäude (zum Beispiel denkmalgeschützte Gebäude) von einer Renovierungspflicht zu befreien.

Desinformationskampagnen zeigen Wirkung

Dessen ungeachtet machen die Mitgliedstaaten weiter Druck; nicht nur Staaten mit einer geringen Quote von energieeffizientem Gebäudebestand, sondern auch das im EU-Vergleich mit ausreichend Ressourcen ausgestattete Deutschland. Deutschland muss allerdings aufgrund der massiven Klimaziellücke im Gebäudesektor ohnehin deutlich ambitioniertere Maßnahmen ergreifen, um die Effizienz im Gebäudebestand zu verbessern. In der „WirtschaftsWoche“ erklärte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), die vom EU-Parlament in die Debatte eingebrachte zeitliche Verschärfungen bei den Neubauten sei „nicht tragbar“, machte eine Änderung gar zur Voraussetzung einer Zustimmung Deutschlands zur EPBD. In der „Welt“ äußerte sich Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) ablehnend gegenüber den verpflichtenden MEPS für Einzelhäuser und plädierte für eine „stärkere Flexibilität bei der Umsetzung der Richtlinie“ und den vom Rat vorgeschlagenen gebäudeübergreifenden Ansatz. Zeigt die „Heizhammer“-Kampagne Wirkung?

Hélène Sibileau, Analystin am Buildings Performance Institute Europe (BPIE) sieht „populistische Medien, die Fehlinformationen über das Gesetzesvorhaben verbreiten“, ganz klar in der Mitverantwortung für die schwierige Ausgangslage bei den Trilog-Verhandlungen der EPBD. Der Grünen-Abgeordnete Ciarán Cuffe, Verhandlungsführer des EU-Parlaments, gibt sich indessen kämpferisch und betont die Chancen, die die Novellierung der Richtlinie bietet. Er wird nicht müde darauf hinzuweisen, dass im Trilog auch die Energiesicherheit und eine größere Unabhängigkeit von russischem Gas verhandelt wird: „I think we just have to keep repeating this until we're blue in the face!”

Politikempfehlung für die Verhandlungen

Doch nicht nur die Chancen, auch die Herausforderungen, vor der die EU bei der Dekarbonisierung ihres Gebäudesektors steht, sind enorm: Um den Zielen des „Fit for 55“-Pakets zu entsprechen, müssen bis 2030 die Treibhausgasemissionen von Gebäuden um 60 Prozent sinken, deren Energieverbrauch um 14 Prozent. Zwischen 17 und 22 Prozent des Gebäudebestands in der EU müssen bis 2033 renoviert werden; das sind etwa 35 Millionen Gebäudeeinheiten. Das bedeutet, die jährliche energetische Sanierungsrate muss mindestens verdoppelt werden. Dies soll durch die sogenannte „Renovierungswelle-Strategie“ erreicht werden, zu deren Instrumenten die Gebäudeeffizienzrichtlinie zählt. Durch die Überarbeitung der EPBD-Richtlinie kommen Investitionskosten von mehr als 282 Milliarden Euro auf die Mitgliedstaaten zu, schätzt das EU-Parlament.

Diesem Investitionsaufwand müssen jedoch nicht nur eingesparten Treibhausgasemissionen, sondern auch die gesenkten Energiekosten für Bewohner*innen und die großen Wertschöpfungspotenziale von energetischen Sanierungen gegenüber gestellt werden“, fordert die bei der Deutschen Umwelthilfe (DUH) tätige Projektmanagerin Energie und Klimaschutz, Elisabeth Staudt. „Nicht umsonst betont die Europäische Kommission die Rolle der Gebäuderichtlinie als wichtiges Instrument im Kampf gegen Energiearmut,“ ergänzt Staudt.

Um hier voranzukommen und das Ziel einer Dekarbonisierung bis 2050 zu erreichen, plädiert das BPIE in seiner Politikempfehlung für die Trilogverhandlungen, auf keinen Fall hinter die Positionierung des EU-Parlaments zurückzufallen. In einigen Punkten sollte sie sogar verschärft werden:

  • Nullemissionsgebäude (ZEB): Die ZEB-Definition sollte auf klar definierte niedrige Schwellenwerte für die Gesamtenergieeffizienz beruhen. Diese müssen gegebenenfalls EU-weit und nach einheitlichen Standards angepasst werden können. Dies ist mit der Vorlage des EU-Parlaments leichter möglich. Sichergestellt werden muss, dass ein Nullemissionsgebäude tatsächlich nur mit Erneuerbaren Energien versorgt wird, möglichst on-site produziert, und zwar über die gesamte Lebensdauer, mit begrenzten Ausnahmen, so wie es das Parlament vorschlägt. Es sollte den Mitgliedsstaaten für Neubauten ermöglicht werden, ein Verbot auszusprechen für mit fossilen Brennstoffen betriebene Heizkessel. Die im Vorschlag des Parlaments vorgesehenen Ausnahmen sollten gestrichen werden oder zumindest stark reduziert werden, empfiehlt das BPIE.
     
  • Mindeststandards für die Energieeffizienz von Gebäuden (MEPS): Parlament und Rat sind sich darüber einig, dass MEPS eingeführt werden sollen und dass diese für alle Gebäudesegmente gelten sollten. Folgende Empfehlungen spricht das BPIE aus: Nicht-Wohngebäude müssen ab 2027 mindestens die Energieausweis-Klasse E und ab 2030 die Klasse D erreichen, wie im Vorschlag des Parlaments vorgesehen. Dies soll auch für die von öffentlicher Hand gemieteten Gebäude gelten. Wenn es, wie im Vorschlag des Rats vorgesehen, zu Ausnahmen kommen sollte, müssen diese zeitlich begrenzt und klar definiert werden. Wohngebäude: Hier sollte sich ebenfalls der Vorschlag des Parlaments durchsetzen, wonach Wohngebäude mindestens die Klasse „E“ ab 2030, und mindestens die Klasse „D“ ab 2033 erreichen müssen. Diese soll für alle Gebäude gelten; der gebäudeübergreifende Ansatz des Rats muss verworfen werden. Allerdings weisen sowohl der Standpunkt des Parlaments als auch der des Rates eine ähnliche Schwäche auf: Wie es ab 2035 weitergehen soll, wird nicht thematisiert. Beide EU-Institutionen geben die Verantwortung für die Festlegung von Meilensteinen für 2040 auf die nationalstaatliche Ebene ab. Außerdem bieten beide Vorschläge keine Anreize für über die Mindestanforderung hinausgehende Renovierungen. Zwar ist mit dem Vorschlag des Parlaments eine Sanierung der Gebäude mit der schlechtesten Leistung zu erwarten, aber es droht auch in diesem Fall ein Lock-in in der zweitschlechtesten Performance-Klasse.
     
  • Energieausweise (EPC): Ein wesentlicher Aspekt in der EPBD-Novellierung ist die Neuskalierung der Energieausweise. Der Vorschlag der EU-Kommission sieht vor, dass Nullemissionsgebäude zukünftig der Kategorie A zugeordnet werden sollen. Die 15 Prozent der ineffizientesten Gebäude eines Mitgliedstaates sollen die Kategorie G erhalten. Die erhobenen Daten sollen zudem besser zugänglich sein. Sie müssen z.B. bei Verkauf und Neuvermietung veröffentlicht werden. Die Ausweise müssen für alle öffentlichen Gebäude sowie grundsanierte Gebäude ausgestellt werden. Bis 2025 sollen sie EU-weit harmonisiert sein. Das BPIE empfiehlt: Weil das Parlament die meisten der von der Kommission vorgeschlagenen Änderungen beibehält oder darüber hinausgeht und auch Vorschläge zur Verbesserung bei der Ausstellung, Qualität und Zuverlässigkeit der Energieausweise macht, sollte die Vorlage des EU-Parlaments beschlossen werden.
     
  • Finanzierung: In Bezug auf die Ausgestaltung der Verwendung der finanziellen Unterstützung für die Gebäudesanierung und Dekarbonisierung hat das Parlament laut BPIE eine klarere und zukunftsorientiertere Position als der Rat. Der Ansatz des Rates würde zu einer suboptimalen Nutzung der öffentlichen Gelder und folglich auch von privatem Geld führen. Positiv zu vermerken sei, dass beide Institutionen finanzielle Anreize vorrangig auf schutzbedürftige Haushalte ausrichten möchten. Auch bei der Festlegung von Schwellenwerten für die Energieeffizienz je nach Gebäudetyp und Klimazone stehe der Parlamentsvorschlag stärker im Einklang mit den Klimazielen.
     
  • Renovierungspässe: Das Parlament will die Renovierungspässe bis 2024, der Rat bis 2025 umsetzen. Je früher, desto besser, findet das BPIE. Beide Institutionen versäumten es jedoch, Renovierungspässe zu einem obligatorischen Instrument für Gebäudeeigentümer*innen zu machen, kritisiert das BPIE – sogar im Zusammenhang mit der Gewährung öffentlicher finanzieller Unterstützung.

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