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Verursacherprinzip: Steuerzahler*innen in der EU kommen oft für Umweltschäden auf
EU-News | 07.07.2021
#EU-Umweltpolitik

Verursacherprinzip: Steuerzahler*innen in der EU kommen oft für Umweltschäden auf

In einem Bericht stellt der Europäische Rechnungshof (ECA) fest, dass das Verursacherprinzip in Umweltbereichen und den Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich gehandhabt wird. Der Hof empfiehlt, die Landwirtschaft in die Pflicht zu nehmen und den Bodenschutz zu stärken.

Eigentlich ist die Sache klar: Wer Umweltschäden verursacht, muss die Kosten für deren Beseitigung tragen. So regelt es das Verursacherprinzip (Polluter Pays Principle) auf EU-Ebene. Doch in der Praxis sei dies nicht immer der Fall, lautet ein Ergebnis des Sonderberichts des ECA, der am Montag erschienen ist.

Darin haben die Prüfer*innen in vier analysierten Umweltpolitikbereichen – „Verschmutzung durch die Industrie“, „Abfall“, „Wasser“ und „Boden“ – eine sehr unterschiedliche Anwendung in allen EU-Mitgliedstaaten festgestellt. In der Industrie gelte das Verursacherprinzip zwar für „die umweltschädlichsten Anlagen“, doch die gesellschaftlichen Kosten der Restverschmutzung, etwa Luftverschmutzung durch kleine Anlagen, blieben hoch. Im Abfallrecht werde nicht immer sichergestellt, dass die Verursacher die gesamten Kosten der Verschmutzung trügen. Bei der Wasserverschmutzung das gleiche Bild: Die Landwirtschaft, die laut ECA-Bericht „den größten Druck auf die erneuerbaren Süßwasserressourcen ausübt“, trage den geringsten Teil der Kosten für Wasserver- und Abwasserentsorgung.

Allerdings lasse sich der Grundsatz der Kostendeckung „nur schwer“ auf Verschmutzung aus „diffusen Quellen“ anwenden, räumt der Hof ein. In der Landwirtschaft sei es schwierig, die Verursacher zu ermitteln.
Andererseits bestehe enormer Handlungsbedarf, denn die aus diffusen Quellen stammende landwirtschaftliche Verschmutzung durch Nitrat und Pestizide sei Hauptursache dafür, dass das Grundwasser keinen guten chemischen Zustand erreicht, argumentiert der ECA. Die Nitratbelastung stelle ein großes Risiko für die Zukunft der Grundwasserkörper dar. Exemplarisch dafür hatte die EU-Kommission diese Woche Deutschland erneut für die nationale Düngeverordnung gerügt (EU-News vom 08.07.2021).

Nach Informationen des Nachrichtenportals Euractiv zeigte sich EU-Landwirtschaftskommissar Janusz Wojciechowski anscheinend offen für die Einführung des Verursacherprinzips in die EU-Agrarpolitik.

Noch problematischer stelle sich die Lage beim Schutz von Böden dar, da ein allgemeiner EU-Rechtsrahmen fehle. Die Dekontaminierung verschmutzter Böden sei aber teuer: Die EU-Kommission schätzte die Gesamtkosten für die Sanierung verunreinigter Böden in der EU im Jahr 2006 auf 119 Milliarden Euro. Mehr als 42 Prozent der Sanierungsmaßnahmen würden aus öffentlichen Mitteln einschließlich EU-Mitteln finanziert. Die Gründe: Zahlreiche Aktivitäten, die Böden vergifteten, liegen lange Zeit zurück. Die Verursacher existieren entweder nicht mehr, können nicht ermittelt werden oder sind insolvent. Darüber hinaus ist bei Bodenverunreinigungen aus diffusen Quellen – ebenso wie bei der Wasserverschmutzung – die Anwendung schwierig, weil die Verschmutzung nicht eindeutig einem bestimmten Verursacher zugeschrieben werden könne.

Der ECA hat ermittelt, dass in der EU fast drei Millionen Standorte potenziell kontaminiert sind, vor allem durch industrielles Gewerbe und durch Abfallbehandlung und -entsorgung.

Ein weiteres Problem ist aus Sicht des Rechnungshofes, dass wichtige Begriffe der Umwelthaftungsrichtlinie, vor allem „Umweltschaden“ und „Erheblichkeit“, nach wie vor nicht definiert sind.

Nicht zuletzt hatte der Hof die Ausgaben und Maßnahmen der EU im Zeitraum des Mehrjährigen Finanzrahmens 2014-2020 untersucht und gelangte zum Ergebnis, dass „bisweilen“ aus dem LIFE-Programm oder den Strukturfonds Sanierungsmaßnahmen finanziert würden, für die „gemäß dem Verursacherprinzip die Verursacher hätten aufkommen müssen“.

„Für eine effiziente und gerechte Verwirklichung der Ziele des europäischen Grünen Deals müssen die Verursacher für ihre Umweltschäden aufkommen“, forderte Viorel Ștefan, das für den Bericht zuständige Mitglied des Europäischen Rechnungshofs. „Bislang werden diese Kosten jedoch viel zu oft auf die europäischen Steuerzahler abgewälzt.“

Mit der Einheitlichen Europäischen Akte wurde im Jahr 1987 ein neuer Abschnitt über Umwelt in den EWG-Vertrag eingefügt, wonach die Umweltpolitik der Union unter anderem auf dem Verursacherprinzip beruht. Seit dem Vertrag von Lissabon ist das Verursacherprinzip in Art. 191 Abs. 2 AEUV erwähnt.

ECA-Sonderbericht: Das Verursacherprinzip: uneinheitliche Anwendung im Rahmen der umweltpolitischen Strategien und Maßnahmen der EU 

Euractiv: Agri Commissioner backs call for polluter pays principle in farming 

Redakteurin: Ann Wehmeyer

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