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EU-Kommission legt Fahrplan für „Nature Credits“ vor
EU-News | 09.07.2025
#Biodiversität und Naturschutz #EU-Umweltpolitik #Landwirtschaft und Gentechnik

EU-Kommission legt Fahrplan für „Nature Credits“ vor

Blick auf eine Person am Laptop und Tablet - darüber grafische Darstellungen mit Balkendiagrammen mit der Betitelung "Nature Reserve"
© AdobeStock / Visual Vault

Die EU-Kommission will mit Naturzertifikaten privates Kapital für den Naturschutz mobilisieren. Nun hat sie einen Fahrplan vorgelegt. Umweltorganisationen warnen jedoch vor Scheinlösungen, Greenwashing und einer Schwächung öffentlicher Naturschutzfinanzierung. Passt die Natur in ein Zertifikat?

Am 7. Juli hat die EU-Kommission ihren Fahrplan („roadmap“) zur Etablierung eines europäischen Marktes für „Nature Credits“ vorgelegt. Mittels Naturzertifikaten sollen zukünftig private Gelder und Investitionen für Naturschutzmaßnahmen mobilisiert werden (EU-News vom 26.06.2025). Laut Kommission sollen die Gutschriften dazu beitragen, Finanzierungslücken zum Schutz der Biodiversität zu schließen und gleichzeitig neue Einkommensmöglichkeiten für den Landwirtschafts-, Fischerei-, und Forstsektor sowie Landeigentümer*innen und Kommunen zu generieren. Als potenzielle Käufer*innen für Naturzertifikate kommen sowohl Privatunternehmen und Finanzinstituten als auch öffentlichen Einrichtungen und Finanzanleger in Betracht. Für EU-Umweltkommissarin Jessika Roswall haben Naturzertifikate das Potenzial „private Investitionen anzuziehen und gleichzeitig diejenigen zu belohnen, die unser Land und unsere Meere bewahren“.

Privates Geld für den Schutz der Biodiversität

Die EU habe sich für die Jahre 2026 und 2027 verpflichtet, zehn Prozent ihres Haushalts für die biologische Vielfalt bereitzustellen und ihre Ausgaben für die Biodiversität auf 7 Milliarden Euro zu verdoppeln. Da jährlich etwa 65 Milliarden Euro für Investitionen zu Schutz und Wiederherstellung der Natur benötigt würden, sei eine Kombination öffentlicher und privater Finanzmittel unerlässlich. Durch Naturkredite könnten laut EU-Kommission die bestehenden öffentlichen Mittel zur Förderung der Biodiversität durch private Gelder ergänzt werden, um den hohen Finanzierungsbedarf abzudecken. Der Fahrplan zielt auch darauf ab klare Standards, robuste Kriterien und eine verlässliche Zertifizierung zu entwickeln. Um Greenwashing zu vermeiden und zuverlässige Rahmenbedingungen zu implementieren, soll dabei aus den Erfahrungen bisheriger Zertifikatssysteme, wie dem freiwilligen Kohlenstoffmarkt, gelernt werden.

Scharfe Kritik: Greenwashing-Gefahr, Ablenkungsmanöver und „Offsetting“

Auf die Schwachstellen und Schlupflöcher der Mechanismen des freiwilligen Kohlenstoffmarktes haben Umweltorganisationen stets hingewiesen. Auf sehr deutliche Ablehnung trafen nun auch die EU-Pläne zu Naturzertifikaten. Für Clara Bourgin von Friends of the Earth Europe (FoEE) sind Naturzertifikate ein „Vorwand für Untätigkeit“ und ein „Greenwashing-Shortcut“, der es Konzernen erlaube, „die Natur weiter zu zerstören, solange sie dafür bezahlen“. Wichtiger sei es stattdessen das Umweltrecht zu stärken, die Wiederherstellung der Natur angemessen zu finanzieren und schädliche Subventionen umzulenken. FoEE sieht im Vorschlag der EU-Kommission vorrangig einen „Fahrplan zum Greenwashing“. Im Zentrum der Kritik steht die Bedrohung der öffentlichen Naturschutzfinanzierung, ein mögliches Ablenkungsmanöver von echten Lösungen, die Förderung privater Gewinne, die Projekte nach Profitabilität und nicht nach ökologischer Notwendigkeit auswählen, die Möglichkeit zur Kompensation und damit Legitimation umweltschädlicher Praktiken sowie Verlagerungseffekte, die zu Landraub und Menschenrechtsverletzungen außerhalb Europas führen können.

Problematische Messbarkeit und schlechtes „Best-Practice“   

Marlène Ramón Hernández von Carbon Market Watch (CMW) ergänzt darüber hinaus, das Risiko der Eindimensionalität: „Bei den Naturkrediten geht es darum, die komplexe Natur von Millionen von Arten, die in einem ebenso komplexen Netz von Abhängigkeiten agieren, auf einige wenige Kennzahlen zu verdichten. Dies birgt die Gefahr einer groben Vereinfachung und falschen Darstellung der Realität.“ Auch CMW betont, dass öffentliche Naturschutzfinanzierung nicht unterminiert werden darf und die Kompensationslogik die Gefahr berge, dass Narrativ zu verankern, Naturzerstörung sei in Ordnung, da der Schaden angeblich ausgeglichen werden könne. Auch sei der EU-Zertifizierungsrahmen zur Kohlenstoffentnahme (CRCF), auf den sich die EU-Kommission bezieht, eben kein gutes Beispiel für strenge Kriterien, sondern drohe, ohne eine grundlegende Verbesserung der Methodik die Klimamaßnahmen der EU ernsthaft zu unterminieren. Außerdem beziehe sich die Kommission als Positivbeispiel auf ein Pilotprojekt in Estland, bei dem die Waldschutzorganisation FERN erst kürzlich nachgewiesen hat, wie in dem Vorzeigeprojekt nachweislich genau die biologische Vielfalt zerstört wurde, die es eigentlich schützen sollte.

Mit der Vorstellung des Fahrplans hat die EU-Kommission auch einen Aufruf zur Einreichung von Interessenbekundungen für eine Expert*innengruppe veröffentlicht. Diese soll Mitgliedstaaten, Interessenvertreter und Expert*innen zusammenbringen. Die Expert*innengruppe soll Zertifizierungsmethoden und Governance-Grundsätze für Naturzertifikate entwickeln. Die ersten Ergebnisse sollen bis Mitte 2026 vorliegen. Außerdem besteht die Möglichkeit, sich bis zum 30. September 2025 an einer öffentlichen Konsultation zum Kommissionsvorschlag für die „Roadmap towards Nature Credits“ zu beteiligen. [bp]

Pressemitteilung der EU-Kommission

Roadmap towards Nature Credits

Pressemitteilung von Friends of the Earth Europe

Linkedin-Beitrag von Carbon Market Watch  

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