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EU-Nature Credits: Hype oder Flop?
EU-News | 26.06.2025
#Biodiversität und Naturschutz #Bodenschutz #Klima und Energie #Wirtschaft

EU-Nature Credits: Hype oder Flop?

Wirtschaft
© AdobeStock/BooblGum

Das Vorhaben der EU-Kommission, einen europäischen Markt für „Nature Credits“ zu etablieren, sorgt unter Umweltverbänden für gemischte Reaktionen. Kann ein solcher Markt tatsächlich der Natur zugutekommen – oder wird er letztlich doch nur ein Greenwashing-Instrument und Ablenkungsmanöver von der dringend nötigen öffentlichen Naturschutzfinanzierung? 

Eine Einordnung der Debatte von Lukas Traup, NABU

Das Geld ist knapp in der EU – und die Liste der politischen Prioritäten wird. Nach Jahren des Green Deal hat sich der politische Wind in Brüssel gedreht. Der Naturschutz gerät zunehmend ins Hintertreffen und wird in den aktuellen Haushaltsverhandlungen eher als ein „nice to have“ gehandelt – ein Luxus, den man sich nur leisten kann, wenn genug Mittel vorhanden sind. Vor diesem Hintergrund ist es wenig überraschend, dass die EU-Kommission nun ein marktbasiertes Instrument zur Naturschutzfinanzierung ins Spiel bringt: Nature Credits.

Was kann ein europäischer Nature-Credits-Markt überhaupt leisten?

Klar ist: Der Naturschutz in Europa ist auf Ordnungsrecht und eine substanzielle öffentliche Finanzierung angewiesen. Der fortschreitende Verlust an Arten und Lebensräumen sowie der in Kürze erwartete „Environmental Implementation Review“, der die Finanzierungslücke im EU-Naturschutz auf jährlich über 30 Milliarden Euro nach oben korrigiert, verdeutlichen das eindrücklich. Ob ein freiwilliger, marktorientierter Nature-Credits-Ansatz diese wohl größer werdende Lücke auch nur annähernd schließen kann, ist höchst zweifelhaft.

Dennoch besteht seitens einiger Wirtschaftsakteure ein wachsendes Interesse an einem standardisierten vertrauenswürdigen Marktplatz für Investitionen in Naturschutz und Natur-Wiederherstellung - sei es aus philanthropischen Motiven, zur Imagepflege oder zur Stärkung der Resilienz eigener Lieferketten. Einzelne NGOs und Umweltorganisationen bedienen diese Nachfrage bereits punktuell, auch ohne einheitlichen EU-Rahmen.

Dass die EU-Kommission es ernst meint mit der Schaffung eines solchen Rahmens, wurde in den vergangenen Monaten deutlich. Ob tatsächlich ein Mehrwert für die Natur entsteht und in welchem Umfang zusätzliche Mittel für die Natur mobilisiert werden können, hängt letztlich aber entscheidend von der konkreten Ausgestaltung und Regulierung eines solchen Systems ab.

Die vielfach herangezogenen Erfahrungen aus dem freiwilligen Kohlenstoffmarkt sind hier vor allem Mahnung und kein Vorbild: Intransparente Projekte, fragwürdige Zertifizierungen, Greenwashing und eine letztlich kaum messbare Wirkung haben dort zu einem massiven Vertrauensverlust geführt. Wenn dieser Fehler nicht wiederholt werden soll, muss der EU-Rahmen für Nature Credits von Anfang an anders gedacht werden.

Portraitfoto von Lukas Traup
Ob tatsächlich ein Mehrwert für die Natur entsteht und in welchem Umfang zusätzliche Mittel für die Natur mobilisiert werden können, hängt letztlich aber entscheidend von der konkreten Ausgestaltung und Regulierung eines solchen Systems ab.
Lukas Traup
Referent für EU-Naturschutzpolitik, NABU

Entwurf der Roadmap wenig konkret und unverbindlich

Ein kürzlich durch die Presse geleakter Entwurf einer Roadmap gibt erste Einblicke, was sich die Kommission vorstellt. Laut der EU-Kommission sollen Nature Credits handelbare Einheiten sein, die auf erfolgreich umgesetzten, zusätzlich erbrachten Naturschutz und Renaturierungs-maßnahmen basieren. Diese müssen über gesetzliche Mindeststandards hinausgehen, messbar und ex-post verifizierbar sein. Die Roadmap beschreibt einen zweistufigen Prozess: zunächst eine Zertifizierung auf Basis vordefinierter Kriterien, anschließend – bei positiver Evaluierung – die Ausstellung von Credits.

Positiv hervorzuheben ist, dass die Kommission Nature Credits ausdrücklich als Ergänzung und nicht als Ersatz für öffentliche Finanzierung versteht. Auch werden einzelne Lehren aus dem freiwilligen CO₂-Markt berücksichtigt, etwa die Notwendigkeit ex-post-Zertifizierung und die Vermeidung von rein kompensatorischer Logik. Zudem betont die Roadmap die Bedeutung von Transparenz, Governance und wissenschaftlich fundierten Methoden.

Jedoch bleibt sie vage, wie diese Anforderungen konkret umgesetzt werden sollen. So wird beispielsweise offengelassen, ob es tatsächlich ein verpflichtendes EU-weites Regelwerk geben wird – oder nur lose, freiwillige Leitlinien. In der aktuellen politischen Lage ist letzteres wahrscheinlicher – was deutliche Risiken für Glaubwürdigkeit und ökologische Wirkung birgt.

Hinzu kommt: Die angedachte Handelbarkeit der Credits, inklusive Pooling, Banking und Sekundärmarkt, erinnert stark an die Dynamiken des freiwilligen CO₂-Markts – mit all den bekannten Problemen. Ein weiteres Fragezeichen betrifft die Flächenfrage. Die Roadmap betont, dass Nature Credits nicht systematisch zur Herausnahme von Flächen aus der landwirtschaftlichen Nutzung führen sollen. Diese Formulierung ist brisant. Denn viele Renaturierungsmaßnahmen – etwa die Wiedervernässung von Mooren– funktionieren nur, wenn die Fläche tatsächlich dauerhaft anders genutzt wird. Wenn wirtschaftliche Nutzung per se Vorrang hat, bleibt das Potenzial eines Nature-Credit-Systems stark begrenzt.

Auch auf der Nachfrageseite ist vieles unklar. Unternehmen, die sich bisher wenig bis gar nicht für Biodiversität engagiert haben, sollen nun als Käufer auftreten – freiwillig, ohne klaren regulatorischen Druck. Die Hoffnung liegt in der eigenen Abhängigkeit von Ökosystemleistungen und EU-Berichterstattungspflichten wie die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) oder die Green Claims Directive. Doch diese Hebel sind derzeit politisch umkämpft, werden deutlich verwässert (EU-News 24.06.2025). Ein freiwilliger Markt allein wird die bestehenden Finanzierungslücken im Naturschutz ohne verpflichtende Einbindung von Unternehmen kaum nennenswert verkleinern können – schon gar nicht, wenn er nicht durch klare Leitplanken gestützt wird.

Klare Kriterien und Glaubwürdigkeit sind das A und O

Insgesamt zeigt der Entwurf der Roadmap, dass die Kommission viele notwendige Eckpfeiler eines funktionierenden EU Nature Credits Systems zwar erkannt hat, bei anderen Punkten jedoch eine deutlich ambitioniertere Herangehensweise notwendig ist. Entscheidend wird am Ende sein, wie konkret, verbindlich und umfassend die künftigen Regelungen ausgestaltet werden und wie die notwendige Nachfrage generiert werden kann. Damit Nature Credits tatsächlich einen Mehrwert für den Naturschutz schaffen, braucht es klare Kriterien, robuste Governance-Strukturen und eine enge Verzahnung mit bestehender Umweltgesetzgebung, wie der Wiederherstellungsverordnung oder der Habitats-Richtlinie. Andernfalls droht ein Markt, der mehr verspricht als er hält – und Glaubwürdigkeit sowie Wirksamkeit vieler Naturschutzprojekte untergräbt, anstatt sie zu stärken.

Über den Autor

Lukas Traup ist NABU-Referent für EU-Naturschutzpolitik in Brüssel und arbeitet derzeit vor allem zu EU-Naturschutzfinanzierung.

 

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