Green Claims, CSRD, CSDDD: EU driftet ins Deregulierungschaos

Während das EU-Parlament um verbindliche Regeln gegen Greenwashing ringt, droht gleichzeitig ein massiver Rückschritt bei zwei zentralen Nachhaltigkeitsvorhaben: Die Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) und die Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) sollen nach Willen des Rates deutlich eingeschränkt werden. Umwelt-, Verbraucher- und Menschenrechtsorganisationen schlagen Alarm.
Die geplante Green Claims Directive soll irreführende Umweltversprechen von Unternehmen unterbinden – doch kurz vor Abschluss der Verhandlungen gerät das Vorhaben ins Wanken. Nach einem Brief der Europäischen Volkspartei (EVP) kursierten plötzlich Hinweise, die Kommission wolle die Richtlinie noch vor dem letzten Trilog zurückziehen. Aus Sicht der Umweltverbände ist dies ein beispielloser Vorgang.
„Die Green Claims Directive sollte Klarheit für Verbraucher*innen und Unternehmen schaffen, aber Verwirrung ist alles, was die EU-Kommission und einige Abgeordnete bisher geliefert haben“, erklärt Margaux Le Gallou von ECOS im Namen mehrerer Umweltorganisationen, darunter Carbon Market Watch und das European Environmental Bureau. „Jeder Tag ohne diese Richtlinie richtet weiteren Schaden an – für Bürgerinnen, Umwelt und Binnenmarkt.“
Die Fakten sind alarmierend: Laut einer Untersuchung der EU-Kommission tragen 76 % der Produkte auf dem EU-Markt eine direkte oder indirekte Umweltaussage – über die Hälfte davon ist nachweislich irreführend oder unbelegt. Umso wichtiger wäre ein verbindlicher Rechtsrahmen. Stattdessen drohe nun das Gegenteil, warnt Lindsay Otis Nilles von der Umweltorganisation Carbon Market Watch: „Ein Rückzug wäre unverantwortlich und völlig fehlgeleitet. Er würde einer deregulierten ‚Vereinfachung‘ den Vorzug geben – auf Kosten des Verbraucherschutzes.“
Omnibus-Vorhaben: Der Ausverkauf der Sorgfaltspflicht
Zeitgleich verschärft der EU-Ministerrat die Aushöhlung bestehender Nachhaltigkeitsregeln. Besonders betroffen: das europäische Lieferkettengesetz. „Das Lieferkettengesetz wäre so kaum mehr ein Schatten seiner selbst“, warnt Cornelia Heydenreich von Germanwatch. Die Zahl der erfassten Unternehmen würde laut Vorschlag drastisch sinken – von rund 4.500 auf etwa 275 allein in Deutschland.
Heydenreich kritisiert insbesondere das Verhalten von Bundeskanzler Friedrich Merz: „Der Kanzler hat durch seine nicht abgestimmten Forderungen gemeinsam mit Emmanuel Macron das nun herrschende Deregulierungschaos mit ausgelöst.“ Der Ministerrat gehe damit sogar noch über die ohnehin bereits abgeschwächten Vorschläge der EU-Kommission hinaus: „Was die Kommission von ihren ursprünglichen Regulierungen übriggelassen hat, wollen die Minister*innen nun auch noch wegkürzen.“
CSRD: Nachhaltigkeitsberichterstattung nur noch für Großunternehmen?
Auch bei der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), der EU-Richtlinie zur Unternehmens-Nachhaltigkeitsberichterstattung, sind tiefgreifende Einschnitte geplant. Die Mitgliedstaaten schlagen vor, die Berichtspflicht künftig erst ab 1.000 Mitarbeitenden und einem Umsatz von 450 Millionen Euro greifen zu lassen. Das würde laut Germanwatch mehr als 40.000 Unternehmen von der Berichtspflicht ausnehmen.
„Der Rat macht es sich zu einfach. Das Prinzip Freistellung statt Vereinfachung ist kein Lösungsansatz“, kritisiert David Ryfisch von Germanwatch. Statt wie empfohlen einen einfachen, aber verpflichtenden Standard für mittelgroße Unternehmen einzuführen, drohe ein Rückfall in alte Muster. Ryfisch warnt: „Transparenz und Transformation dürfen nicht zur Exklusivaufgabe von Großkonzernen werden.“
Dabei seien Nachhaltigkeitsdaten gerade für kleinere und mittlere Unternehmen entscheidend: „Sie gewähren Zugang zu Kapital, ermöglichen besseres Risikomanagement und erhöhen die Resilienz gegenüber Klima-, Technologie- und geopolitischen Risiken.“
Ein gemeinsames Muster: Deregulierung auf Kosten des Gemeinwohls
Ob Green Claims Directive oder Lieferkettengesetz – das Muster ist ähnlich: Unter dem Deckmantel der Vereinfachung werden Schutzstandards zurückgefahren, Beteiligung behindert und der Regulierungsrahmen ausgehöhlt. Was als „Bürokratieabbau“ verkauft wird, birgt langfristig enorme Risiken – für Umwelt, Menschenrechte und faire Märkte.
„Die Verbraucher*innen in Europa haben Besseres verdient, als sich auf einem Markt zurechtfinden zu müssen, der von unbelegten und irreführenden Aussagen dominiert wird“, so Carbon Market Watch. Und auch Germanwatch mahnt: „Vereinfachung darf nicht zum Vorwand werden, um grundlegende Rechte auszuhebeln.“ [ks]
Carbon Market Watch: Don’t scrap the Green Claims Directive, NGOs say
Germanwatch: EU-Staaten attackieren Menschenrechtsschutz und Nachhaltigkeit in der Wirtschaft
Table.Media: Green Claims: Von der Leyen wants to calm the waves (kostenpflichtig)