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Chemikalienpaket schützt Industrie, nicht Gesundheit
EU-News | 09.07.2025
#Chemikalien #EU-Umweltpolitik

Chemikalienpaket schützt Industrie, nicht Gesundheit

Chemikalienlager
© AdobeStock/angelo.gi
Chemikalienlager

Die EU-Kommission hat am 8. Juli ein Gesetzespaket für Chemikalien („Die Mutter aller Industrien“) vorgelegt. Es geht um einen Aktionsplan, ein Vereinfachungspaket (Omnibus VI) sowie neue Vorschriften für die Europäische Chemikalienagentur ECHA. Umweltverbände reagieren empört.

Was steckt im Gesetzespaket drin?

  • Ein Aktionsplan für die chemische Industrie, der die Wettbewerbsfähigkeit und Modernisierung des Chemiesektors in der EU stärken soll. Er befasst sich unter anderem mit Herausforderungen wie hohen Energiekosten, unlauterem globalen Wettbewerb und schwacher Nachfrage sowie Investitionen in Innovation und Nachhaltigkeit.
  • Vereinfachungs-Omnibus für Chemikalien zur weiteren Straffung und Vereinfachung der wichtigsten EU-Rechtsvorschriften für Chemikalien.
  • Vorschlag einer neuen Grundordnung für die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) (zur Stärkung der Governance und der finanziellen Tragfähigkeit).

Der Aktionsplan

Der Chemikalienaktionsplan ist der dritte Sektorplan nach dem Automobilsektor und dem Stahlsektor, der den „neuen ‚Businessplan‘-Ansatz“ widerspiegelt, um strategische Sektoren der europäischen Wirtschaft zu unterstützen. So jedenfalls der Industriekommissar Stéphane Séjourné, der die Chemieindustrie die „Mutter aller Industrien“ nannte, weil diese mehr als 90 Prozent der industriellen Wertschöpfungskette und 1,2 Millionen Arbeitsplätze betreffe. Es sei aber auch ein unter vielen Herausforderungen leidender Industriezweig. Um „die Zukunft der europäischen Chemie hier in Europa“ zu sichern, beruht der Plan auf vier Säulen:

  1. Widerstandsfähigkeit und gleiche Wettbewerbsbedingungen: Gründung einer Allianz für kritische Chemikalien, um den Risiken von Kapazitätsschließungen in diesem Sektor entgegenzuwirken, und Anwendung handelspolitischer Schutzmaßnahmen, um einen fairen Wettbewerb zu gewährleisten;
  2. Erschwingliche Energie und Dekarbonisierung: Zügige Umsetzung des Aktionsplans für erschwingliche Energie, um die hohen Energie- und Rohstoffkosten zu senken;
  3. Leitmärkte und Innovation: Hervorhebung steuerlicher Anreize und steuerlicher Maßnahmen, um die Nachfrage nach sauberen Chemikalien anzukurbeln;
  4. Maßnahmen gegen Per- und Polyfluoralkyl-Stoffe (PFAS): Minimierung der PFAS-Emissionen durch eine solide, wissenschaftlich fundierte Beschränkung bei gleichzeitiger Sicherstellung der weiteren Verwendung in kritischen Anwendungen unter strengen Bedingungen, wenn keine Alternativen verfügbar sind.

Das Vereinfachungspaket (Omnibus VI)

Mit dem sechsten Omnibus zur Vereinfachung werden gezielte Änderungen der EU-Vorschriften für chemische, kosmetische und Düngeprodukte eingeführt, um Belastungen zu verringern, für mehr Klarheit zu sorgen und Innovationen zu fördern, ohne die Sicherheit zu beeinträchtigen.

  • Mit der  CLP-Verordnung (Verordnung über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen) werden die Kennzeichnungsvorschriften für gefährliche Chemikalien vereinfacht, flexiblere, leicht lesbare Designs ermöglicht, die digitale Kennzeichnung ausgeweitet und Werbevorschriften vereinfacht, um Kosten und Komplexität zu verringern.
  • In der Kosmetikverordnung werden durch Änderungen die Verfahren präzisiert und klare Fristen für Ausnahmen von Stoffverboten eingeführt, wodurch Kriterien gestrafft werden. Die Leitlinien betreffen kosmetische Mittel mit Bestandteilen, die als krebserzeugend, erbgutverändernd oder fortpflanzungsgefährdend (CMR) eingestuft sind, um die Verbrauchersicherheit zu gewährleisten. Die Kommission behält sich nach Anhörung des Wissenschaftlichen Ausschusses für Verbrauchersicherheit die Befugnis vor, in Bezug auf Gesundheitsrisiken tätig zu werden.
  • Für die Verordnung über Düngeprodukte schlägt die Kommission vor, erweiterte Registrierungsanforderungen zu streichen und die REACH-Standardvorschriften anzuwenden, um den Marktzugang zu erleichtern. Sie plant auch klarere Kriterien und Methoden zur Bewertung von Mikroorganismen in pflanzlichen Biostimulanzien, um Prozesse zu vereinfachen.

Der Omnibus umfasst Übergangsfristen für die Anpassung, fördert die digitale Dokumentation und steht im Einklang mit früheren Vereinfachungsbemühungen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und zum Bürokratieabbau. Außerdem soll ein Beitrag zur vierten Säule des Chemikalienaktionsplans (Maßnahmen gegen Per- und Polyfluoralkyl-Stoffe – PFAS) geleistet werden, indem Kosten und Bürokratie sinken und die chemische Industrie nach Berechnungen der EU-Kommission jährlich mindestens 363 Millionen Euro einsparen soll.

Neue Grundverordnung für die ECHA

Mit der neu vorgeschlagenen ECHA-Grundverordnung (die Behörde wurde 2007 gegründet) soll ein „unabhängiger Rechtsrahmen geschaffen“ werden, um die ECHA bei der effizienten Verwaltung ihrer gewachsenen Aufgaben zu unterstützen. Beispielsweise erstrecken sich ihre Aufgaben inzwischen neben der Registrierung und Genehmigung der in der ursprünglichen Chemikaliengesetzgebung REACH geregelten Chemikalien auch auf Biozide, Klassifizierung und Kennzeichnung von Chemikalien sowie Trinkwasser. Unter anderem geht es um eine Vereinheitlichung der Haushaltspläne und die Einführung eines Reservefonds, aber auch verbesserte operative Abläufe. Immerhin hat inzwischen auch die Ombudsstelle kritisiert, dass bei Chemikalien die eigentlich dreimonatigen Fristen oft um ein Vielfaches (14,5 Monate und mehr) überschritten werden. Mit der neuen Grundverordnung würden die Regelungen für die ECHA aus REACH gestrichen werden.

Reaktionen: Schwächung von Verbraucherschutz „besorgniserregend“, BUND fordert Rücknahme

Die Umwelt- und Gesundheitsorganisation HEAL sieht ihre ernsthaften Bedenken bestätigt: Das Vereinfachungspaket (Chemie-Omnibus) würde die Verordnung über kosmetische Mittel erheblich schwächen und die Streichung von lang erwarteten Verbesserungen der CLP-Verordnung für Arbeitnehmer*innen und Verbraucherschutz beinhalten. Gleichzeitig zeige der Aktionsplan, dass die Kommission zögert, die industrielle Verwendung von PFAS einzuschränken, obwohl der Großteil der PFAS-Verschmutzung aus industriellen Aktivitäten stamme. Ein „besorgniserregender“ Trend, den Interessen der Industrie Vorrang vor der öffentlichen Gesundheit und der Sicherheit der Verbraucherinnen und Verbraucher einzuräumen, so HEAL. Chemikalienexpertin Esther Smollich erklärte: „Die Europäische Kommission öffnet die Tür für die verlängerte Verwendung bekannter krebserregender Stoffe in alltäglichen Körperpflegeprodukten. Das ist keine Vereinfachung - das ist Deregulierung auf Kosten der öffentlichen Gesundheit und steht in völligem Widerspruch zu Europas Plan zur Krebsbekämpfung.“

Auch Corporate Europe Observatory (CEO) kritisierte, dass das Datum der Veröffentlichung des Gesetzespakets ein schlechter Tag für Umwelt und Verbraucherschutz sei, aber ein guter Tag für die Industrie. Die angekündigte umfassendere Unterstützung für den Sektor kommentierte die CEO-Chemikalienexpertin Vicky Cann: „Die chemische Industrie hat eine lange Tradition in der Verteidigung schädlicher Chemikalien, eine negative Klimabilanz und eine Tendenz zu übertriebener Lobbyarbeit, um wichtige Vorschriften zum Schutz von Gesundheit und Umwelt zu schwächen.“ Dennoch würde sie mit dem Omnibus, mehr staatlichen Beihilfen, neuen Allianzen mit Entscheidungsträgern und Maßnahmen in den Bereichen Chemikalienrecycling, Wasserstoff, Emissionshandel, Kohlenstoffabscheidung und mehr belohnt. Auch bei der PFAS-Regelung sei zu befürchten, dass nur einige wenige Anwendungen verboten würden, die industrielle Verschmutzung aber weitergehe. Maßnahmen zur Sanierung seien zwar wichtig und willkommen, aber es müsse verhindert werden, dass PFAS sich im Trinkwasser, den Böden und menschlichen Blutbahnen anreichere. Dafür sei ein sehr umfassendes Verbot erforderlich, so CEO.

Der BUND forderte die Rücknahme des Omnibus-Gesetzes für Chemikalien. Übereilte Omnibusgesetze dieser Art verstießen gegen EU-Recht, wie ein kürzlich vorgelegtes Rechtsgutachten von ClientEarth zeige. Sie seien „Teil einer massiven Deregulierungs-Kampagne zugunsten einiger Großunternehmen“, so der BUND-Referent für Chemikalienpolitik Manuel Fernández. Das Green Deal-Ziel einer giftfreien Umwelt, müsse bei der Modernisierung des Chemiesektors ein zentrales Anliegen bleiben. „Dazu gehört die schrittweise Abschaffung der gefährlichsten Stoffe“, so Fernández weiter. Die EU müsse stattdessen auf nachhaltige, hochwertige Chemie setzen, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben. [jg]

 

Europäische Kommission: 

Health and Environment Alliance (HEAL): Pressemitteilung 

Corporate Europe Observatory (CEO): Pressemitteilung

BUND: Pressemitteilung

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