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Ein Umbau der Tierhaltung ist dringend nötig
News | 06.10.2021
#Tierschutz #Landwirtschaft und Gentechnik

Ein Umbau der Tierhaltung ist dringend nötig

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c. Pixabay

Im Abschlussbericht der Zukunftskommission Landwirtschaft sind auch eine Reduzierung der Massentierhaltung und bessere Tierschutzstandards vorgesehen. Die bisherigen Standards gelten aus Tierschutzsicht als absolut unzureichend. Wichtigste Maßnahmen dafür sind verbindliche Gesetze, finanzielle Förderung von Haltungsformen, die sich am Tierwohl orientieren, und eine transparente Haltungskennzeichnung.

Die aktuelle Form der „Nutz“tierhaltung ist gesellschaftlich nicht akzeptiert, rechtlich fragwürdig und wirtschaftlich nicht tragfähig. Ein ambitioniertes Handeln der Politik wird dringendst benötigt, um den Millionen der hiesigen Nutztiere alltägliches Leid zu ersparen. Dafür müssen zunächst die klaffenden Lücken in der Gesetzgebung geschlossen werden. Außerdem müssen anspruchsvollere Haltungsverfahren gefördert und schließlich mit einer gesetzlich verpflichtenden Haltungskennzeichnung durch das Einkaufsverhalten unterstützt werden.

Diverse Studien belegen die geringe Akzeptanz der aktuellen Ausgestaltung der Nutztierhaltung. So stellte zuletzt das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung des Bundeslandwirtschaftsministeriums fest: „Die Bedingungen in der intensiven Nutztierhaltung werden sowohl in Bezug auf die Haltungsverfahren wie auch die Züchtung aus Tierschutzgründen zunehmend und teilweise massiv sowohl von fachwissenschaftlicher Seite als auch aus der Mitte der Gesellschaft heraus kritisiert.“

„Die Preise für tierische Produkte sind schon lange viel zu niedrig, [...] für Schweine- und Geflügelfleisch jedoch ruinös, ein wirtschaftliches Arbeiten ist für fast alle Betriebe unmöglich.“
Patrick Müller

Drei Säulen für eine bessere Tierhaltung – schärfere Gesetze, finanzielle Förderung der Mindeststandards und eine verbindliche Haltungskennzeichnung

Erstens müssen unverzüglich die gesetzlichen Lücken in der „Nutz“tierhaltung geschlossen werden. Aktuell bestehen für ganze Tierarten wie Puten, aber auch für Produktionszweige wie die Mastrinderhaltung und damit für Millionen Tiere, keine gesetzlichen Mindestvorgaben für die Haltung. Gleichzeitig sind die bereits existierenden, gesetzlichen Mindeststandards absolut unzureichend. Milchkühe in Anbindehaltung, Schweine auf Vollspaltenböden ohne Stroh und Auslauf sind nur exemplarisch für Haltungsverfahren, die sich nicht an den Bedürfnissen der Tiere orientieren. Heute standardmäßig durchgeführte Amputationen am Tier wie das Abschneiden des Ringelschwanzes bei Schweinen, das Enthornen nahezu jeden Rindes und das Kürzen der sensiblen Schnäbel von Puten, müssen der Vergangenheit angehören. Nicht zuletzt muss geltendes Recht kontrolliert und wirksam durchgesetzt werden.

Zweitens muss der Umbau hin zu anspruchsvolleren Haltungsformen, die sich an den Bedürfnissen der Tiere orientieren, politisch unterstützt werden. Hierfür hat das Landwirtschaftsministerium das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung eingesetzt. Diese sogenannte Borchert-Kommission hat auf Grundlage einer ausgesprochen treffenden Problemanalyse einen Zeitplan für den Umbau der Tierhaltung vorgelegt. Mittels finanzieller Förderung und Anhebung der gesetzlichen Mindeststandards soll das Tierwohlniveau in der deutschen Landwirtschaft bis 2040 schrittweise in drei Stufen verbessert werden.

Dieses Vorgehen ist grundsätzlich begrüßenswert. Das Tierwohlniveau der unteren vorgeschlagenen Stufen ist jedoch deutlich zu niedrig: So wird in Stufe 1 beispielsweise weiterhin das routinemäßige Schwänzekürzen erlaubt sein. Damit wäre in diesem ab 2030 geltenden gesetzlichen Mindeststandard das seit 1994 verbotene, routinemäßige Schwänzekürzen weiter zugelassen! Vor diesem Hintergrund ist der vorgeschlagene Zeitplan viel zu unambitioniert.
Für einen schnellen Umbau der Tierhaltung ist es richtig, staatliche Förderungen bereitzustellen. Bisher sollen Stufe 2 und 3 jedoch in gleicher Weise gefördert werden. Aber erst die Stufe 3 bietet ein wirkliches Mehr an Tierwohl. Sinnvoller wäre deshalb eine stärkere und bevorzugte Förderung der Umstellung in Stufe 3.

„Heute standardmäßig durchgeführte Amputationen am Tier wie das Abschneiden des Ringelschwanzes bei Schweinen, das Enthornen nahezu jeden Rindes und das Kürzen der sensiblen Schnäbel von Puten, müssen der Vergangenheit angehören.“
Patrick Müller

Drittens muss eine gesetzlich verpflichtende Haltungskennzeichnung eingeführt werden. So würde beim Einkauf für jede und jeden klar ersichtlich, wie das jeweilige Tier gehalten wurde. Die großen Supermärkte sind der Politik hier bereits zuvorgekommen und haben eine eigene Kennzeichnung eingeführt. Dieses ist jedoch mangelhaft: Zunächst ist das Kennzeichen in Teilen verbrauchertäuschend, da auch die Stufe 2 mit der Bezeichnung „Stallhaltung plus“ bereits ein Mehr an Tierwohl verspricht – ein Versprechen, das angesichts der niedrigen Haltungsanforderungen nicht gehalten wird. Außerdem umfasst die Kennzeichnung lediglich das Frischfleisch, während der größere Anteil tierischer Erzeugnisse, die verarbeiteten Waren, von der Kennzeichnung ausgenommen ist. Umso überraschender kam die aussichtsreiche Ankündigung des Handels, ab 2030 nur noch die höheren Stufen 3 und 4 im Sortiment zu belassen, Stufe 1 und 2 also auszulisten. Dieses Signal zeigt: Der Lebensmitteleinzelhandel kommt dem Ruf der Gesellschaft nach höheren Standards in der Tierhaltung nach.

Die Politik hinkt deutlich hinterher. Um den gesellschaftlichen Ansprüchen zu genügen und sich nicht weiter von privatwirtschaftlichen Initiativen oder Gerichtsurteilen treiben zu lassen, muss die Politik endlich das Zepter in die Hand nehmen und den Umbau der „Nutz“tierhaltung aktiv und im Sinne der Tiere gestalten.

Patrick-Mueller_bearbeitet

Der Autor

Der Hauptstadtreferent von PROVIEH Patrick Müller hat in Göttingen, Kiel und Eberswalde Landwirtschaft studiert. Aufgewachsen ist er auf einem kleinen Landwirtschaftsbetrieb mit Hühnern, Pferden und Schafen. Auch beim erfolgreichen „Volksbegehren gegen Massentierhaltung“ in Brandenburg vor fünf Jahren wirkte Müller mit.

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