Angriff auf EU-Verordnung zur Wiederherstellung der Natur

Unionsgeführte Agrarressorts der Bundesländer fordern die Abschaffung der EU-Verordnung zur Wiederherstellung der Natur. Der Bundesumweltminister setzt sich für eine Fristverlängerung ein. Umweltorganisationen kritisieren den Vorstoß der Unionsminister scharf und drängen auf zügige Umsetzung.
Die Verabschiedung des Nature Restoration Law – oder genauer: der EU-Verordnung zur Wiederherstellung der Natur (WVO) – wurde als wichtiger Meilenstein für den europäischen Naturschutz gefeiert. Trotz Zitterpartie bei den Abstimmungen, wiederholter Blockadeversuche und Desinformationskampagnen ist die Verordnung seit dem 18. August 2024 in Kraft (EU-News vom 20.06.2024). Die EU-Mitgliedstaaten arbeiten nun daran die vorgesehenen nationalen Wiederherstellungspläne vorzulegen. Die Frist zur Erstellung der Pläne läuft bis September 2026 (EU-News vom 30.07.2024). Doch obwohl die Umsetzung der WVO längst europaweit angelaufen ist, fordern nun zahlreiche unionsgeführte Bundesländer die Aufhebung der EU-Naturschutzgesetzgebung. Und selbst der neue Bundesumweltminister Carsten Schneider (SPD) will nun Aufschub von der EU-Kommission.
Unionsminister wollen Wiederherstellungsverordnung streichen
Auf Initiative von Sachsen-Anhalts Landwirtschaftsminister Sven Schulze (CDU) fordern die unsionsgeführten Agrarressorts der Bundesländer in einem Schreiben an die EU-Kommissare Christophe Hansen, Costas Kadis und Jessika Roswall die vollständige Aufhebung der WVO in der nächsten sogenannten Omnibus-Verordnung. Die WVO sei ein „Bürokratiemonster“, welches die Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft unverhältnismäßig belaste. Das könnten die Unionsminister „nicht länger akzeptieren.“ Ziel sei stattdessen „ein neues, praxistaugliches und faires Regelwerk.“ Darüber hinaus bemängeln sie die Ausgestaltung, fehlende Finanzierung, Komplexität und unfaire Lastenverteilung. Es fehle ein eigenständiges EU-Finanzierungsinstrument, die in der Verordnung genannten Finanzierungsmöglichkeiten blieben zu unkonkret. Trotz vorangestellter Bekenntnisse zur Wiederherstellung der Natur betont Schulze, dass „ein Nutzungsausschluss […] nur als allerletztes Mittel in Betracht gezogen werden [darf]". Der Agrarminister reproduziert damit ein gängiges Fehlurteil zur WVO und schürt entsprechende Ängste. Denn weder sieht die Verordnung direkte Verpflichtungen für Landnutzende oder einen Nutzungsverzicht ihrer Flächen vor, noch zielt sie auf die Ebene einzelner Betriebe.
Bundesumweltminister will Fristverlängerung von EU-Kommission
Erwartbaren Applaus zur Initiative gab es von der Lobby der Landeigentümer*innen: vom Verband Familienbetriebe Land und Forst sowie der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände (AGDW). Überraschender hingegen ist es, dass sich auch Bundesumweltminister Carsten Schneider (SPD) bei der EU-Kommission für eine Verlängerung der Frist zur Einreichung des deutschen Wiederherstellungsplans einsetzen will, wie aus einer Antwort auf eine schriftliche Frage des grünen Bundestagsabgeordneten Jan-Niclas Gesenhues hervorgeht. Wie der Tagesspiegel Background berichtet, betonte das Bundesumweltministerium in der Antwort den Einsatz für eine Fristverschiebung gegenüber Brüssel und begründet dies mit Herausforderungen seitens der Bundesländer zur fristgerechten Erstellung des nationalen Wiederherstellungsplans.
NABU und DNR: Bitte nach Aufschub sendet falsches Signal
Sehr irritiert von diesem Vorgehen des Umweltministers zeigen sich Umweltverbände. Über ein Jahr vor Ablauf der Frist um Verlängerung zu bitten, sende das völlig falsche Signal an die Bundesländer, andere EU-Mitgliedstaaten und die Bürger*innen. Anstatt Verantwortung nach Brüssel zu schieben, tragen Bundesumweltministerium und die Bundesländer die Verantwortung mehr Tempo bei der Umsetzung zu machen, so der Naturschutzbund (NABU). Wiederherstellung finde zudem „nicht auf dem Papier, sondern in der Landschaft“ statt. Der Fokus sollte daher neben der zeitlich aufwendigen Erstellung der Pläne bereits stärker auf die parallele Umsetzung gelegt werden, erklärte Stephan Piskol, Senior-Referent für Biodiversitätspolitik des NABU. Zudem sei gerade die Landwirtschaft auf gesunde Ökosysteme und intakte Böden angewiesen, warnt der Präsident des Deutschen Naturschutzrings (DNR) Kai Niebert in der Süddeutschen Zeitung. Wer das Aus des zentralen Regelwerks für die Natur fordere, statt an seiner möglichst bürokratiearmen Umsetzung zu arbeiten, „verhöhnt die Bedarfe von Natur und Landwirtschaft“, so Niebert weiter.
Bündnis der Umweltverbände: Verantwortungsloser Vorstoß der Unionsminister
Als Reaktion auf die Initiative der unionsgeführten Agrarressorts meldete sich zudem am 25. Juni ein breites Bündnis der deutschen Umweltverbände mit deutlicher Kritik zu Wort. In einer gemeinsamen Mitteilung weisen die Organisationen Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), der World Wide Fund For Nature Deutschland (WWF), die Deutsche Umwelthilfe (DUH), der NABU, Greenpeace und der DNR entschieden die Versuche zurück, die „nach jahrelangen Verhandlungen im Sommer 2024 in Kraft getretene EU-Wiederherstellungsverordnung zu demontieren“. Die Verbände sprechen sich stattdessen für eine entschlossene Wiederherstellung der Natur sowie die ambitionierte Umsetzung der WVO in Deutschland aus: „Anstatt mit dem Totschlagargument des Bürokratieabbaus das zentrale Vorhaben zum Rückgang des Artensterbens und zur Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme zu untergraben, sollte die Verordnung gut und kooperativ umgesetzt werden.“, heißt es in der Mitteilung. Statt Scheindebatten zu führen und „Axt an der europäischen Naturschutzgesetzgebung anzulegen“ sei es nun nötig den Wiederherstellungsplan zügig zu erarbeiten, die Finanzierung abzusichern und neben der Planung bereits sofortige Maßnahmen zu ergreifen, betonen die Umweltverbände. Sie verweisen zudem auf einen aktuellen Bericht der gemeinsamen Forschungsstelle der EU-Kommission (JRC) und der Europäischen Umweltagentur (EEA), der aufzeige, dass die Erfüllung der Ziele der EU-Biodiversitätsstrategie 2030 noch in weiter Ferne liege und sich in der EU noch immer rund 80 Prozent der geschützten Lebensräume in einem schlechten Zustand befinden. Die Wiederherstellungsverordnung sei das zentrale Instrument, um hier eine Trendumkehr zu erreichen. [bp]
Gemeinsame Pressemitteilung DNR, BUND, NABU, WWF, DUH, Greenpeace