Verbot von Reserve-Antibiotika: Nur für Nutzvieh oder auch Haustiere?

Im September stimmen die Abgeordneten des EU-Parlaments darüber ab, ob bestimmte Reserveantibiotika nicht mehr für die Behandlung von Tieren eingesetzt werden dürfen. Diskussion gibt es derzeit noch über den Anwendungsbereich des vorgeschlagenen Verbots.
Der vom Umweltausschuss (ENVI) vorgelegte Resolutionsentwurf sieht vor, dass Antibiotika, die von der Weltgesundheitsorganisation WHO als „von kritischer Bedeutung und mit höchste Priorität“ (critically important antimicrobials highest priority“, CIA HP) eingestuft werden, nicht in der Tierhaltung erlaubt sein dürfen (siehe EU-News vom 13.07.2021). In ihren Leitlinien empfiehlt die WHO explizit, diese Antibiotika nicht für die Behandlung von „Lebensmittel liefernden Tieren“ einzusetzen. Da im Entwurf des Umweltausschusses (ENVI) des EU-Parlaments lediglich von „Tieren“ die Rede ist, zeigten sich verschiedene Akteure besorgt darüber, dass die Erweiterung der EU-Tierarzneimittelverordnung um diese Regelung auch die Behandlung von Haustieren betreffen könnte.
So kritisierte der Deutsche Tierschutzbund die vorgeschlagene Resolution als „Scheinlösung auf Kosten von Hunden, Katzen, Schweinen, Pferden und allen anderen Tieren“ und unterstützte die Kampagne eines Tierärzteverbands, der die Ablehnung der Resolution fordert. Ein solches Verbot „ginge zu Lasten all der kranken Tiere, die auf diese Medikamente in einer Behandlung angewiesen sind“, kritisierte Tierschutzbund-Präsident Thomas Schröder. Der Tierschutzbund lehne zwar „den pauschalen prophylaktischen Einsatz von Antibiotika, wie er in der landwirtschaftlichen Tierhaltung betrieben wird“ ab. Statt eines Verbots der Antibiotika müsse die Tiergesundheit in der Landwirtschaft allerdings durch „bessere Haltung und eine robustere, weniger leistungsorientierte Zucht“ verbessert werden.
EU-Parlamentarier Martin Häusling (Grüne/EFA, Deutschland), der die Resolution vorbereitet hatte, widersprach dieser Darstellung. „Weder die Einzeltierbehandlung und schon gar nicht sind Haustiere von diesem Beschluss betroffen“, so Häusling. In der Resolution fordere das EU-Parlament die EU-Kommission auch auf, „klare Regelungen zu formulieren, die Einzeltierbehandlung erlaubt“.
Auch die Deutsche Umwelthilfe (DUH) machte darauf aufmerksam, dass die Einzelbehandlung von Tieren mit den Arzneimtiteln weiterhin „notwendig und auch rechtssicher möglich“ sei. Bei dem vorgeschlagenen Verbot gehe es darum, „die Resistenzen fördernde massenhafte Verabreichung dieser extrem wichtigen Antibiotika über das Futter oder Wasser in der industriellen Tierhaltung“ zu unterbinden. Die DUH ief Tierärzt*innen auf, „gemeinsam für den Erhalt aller Therapiemöglichkeiten bei Einzeltieren, eine strenge Regulierung bei der Massenmedikation in industriellen Tierhaltungen sowie für mehr Tierschutz im Stall zu kämpfen.“
Eine Gruppe von Umwelt- und Gesundheitsorganisationen forderte die EU-Kommission vergangene Woche in einem offenen Brief auf, bis spätestens zur Abstimmung im September Klarheit in dieser Angelegenheit herzustellen. Dies sei möglich, indem sie bestätige, dass sie ein Verwendungsverbot der betroffenen Antibiotika im Einklang mit dem Ansatz der WHO ausschließlich auf Tiere beziehe, die der Lebensmittelgewinnung dienen. Falls dies nicht der Fall sei, bitten die Unterzeichner des Briefs um eine wissenschaftlich fundierte Erklärung. Neben Germanwatch, der DUH, Greenpeace und dem Pestizid Aktions-Netzwerk unterzeichneten auch die Organisationen Ärzte gegen Massentierhaltung, Mukoviszidose e.V. - Bundesverband Cystische Fibrose und Tierärzte für verantwortbare Landwirtschaft den Brief an die EU-Kommission.
Eine von der DUH in Auftrag gegebene Stichprobenuntersuchung hatte kürzlich gezeigt, dass mehr als ein Viertel der untersuchten Putenfleisch-Proben aus deutschen Discountern antibiotikaresistente Keime aufweisen. Untersuchungsleiterin Katharina Schaufler von der Universität Greifswald erklärte: „Unsere Laborergebnisse belegen, dass die routinemäßige Massenmedikation nicht ohne Folgen bleibt. Putenfleisch mit Belastung von multiresistenten Krankheitserregern gefährdet die Gesundheit von Verbraucherinnen und Verbrauchern.“
Die Abstimmung im EU-Parlament wird voraussichtlich im Rahmen der Plenarsitzung vom 13. bis 16. September stattfinden. [km]
Untersuchung der Deutschen Umwelthilfe: Multiresistente Keime auf Putenfleisch von Aldi und Lidl