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Fangquotenvorschlag für die Ostsee 2022
EU-News | 27.08.2021
#Wasser und Meere

Fangquotenvorschlag für die Ostsee 2022

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c. pixabay

"Dorsch und Hering sollen sich erholen", betitelt die EU-Kommission ihren Vorschlag für Fangmöglichkeiten in der Ostsee. Neueste Forschungen sehen den Dorsch vor dem Aus. Slow Food fordert mehr Klimaschutz. Das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) warnt vor Populationsverlusten, wenn hauptsächlich große Fische entnommen werden.

Ostseequoten 2022: EU-Kommission will mehr Schonung der Bestände

Die EU-Kommission hat am 26. August ihren Vorschlag für die Fangmöglichkeiten in der Ostsee für das Jahr 2022 angenommen. Sie schlägt vor, die Quoten für Hering im Rigaischen Meerbusen zu erhöhen, während die derzeitigen Obergrenzen für Sprotte, Scholle und Beifänge von Dorsch in der östlichen Ostsee beibehalten werden sollen. Für Dorsch in der westlichen Ostsee wurde die Vorlage des wissenschaftlichen Gutachtens des Internationalen Rates für Meeresforschung (ICES) auf Mitte September verschoben. Die Kommission will ihren Vorschlag dann entsprechend aktualisieren; gleiches gelte für den Lachs. Die Bestandsgröße von Hering in der westlichen Ostsee liege weiterhin unterhalb biologisch sicherer Grenzen, und die Wissenschaft empfiehlt im vierten Jahr in Folge, keinen Hering in der westlichen Ostsee mehr zu fangen.

Bei den verbleibenden Beständen sollen nach Ansicht der EU-Kommission die Fangmöglichkeiten verringert werden, damit diese Bestände nachhaltiger befischt werden und sich andere Bestände wie Dorsch und Hering besser erholen können. Auf der Grundlage dieses Vorschlags werden die EU-Mitgliedstaaten für die wichtigsten kommerziell genutzten Arten festlegen, wieviel Fisch in der Ostsee gefangen werden darf. Letztlich entscheidet also der EU-Fischereirat Mitte Oktober (11./12.10.).

Kipppunkt überschritten – können sich die Dorschbestände nicht mehr erholen?

Medien wie der Tagesspiegel und die Tagesschau griffen im August die Studie einer Forschungsgruppe unter der Leitung von Christian Möllmann vom Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN) der Universität Hamburg auf, in der die Überschreitung des sogenannten Kipppunktes für den Dorschbestand der westlichen Ostsee festgestellt wurde. Überfischung, der Klimawandel und bisher nicht beachtete Umweltfaktoren (etwa Temperatur, Salz- und Sauerstoffgehalt) seien der Grund für den Zusammenbruch des Bestandes. Es sei "sehr unwahrscheinlich, dass sich der Bestand des Dorsches an der deutschen Ostseeküste in näherer Zukunft erholen wird". Für die jetzt veröffentlichte Studie analysierten Forscherinnen und Forscher vom CEN Hamburg, des Center for Ocean and Society (CeOS) an der Christian-Albrechts-Universität Kiel und des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig die Fischereidaten der Region von 1970 und 2018 mit Hilfe statistischer Modelle.

Der Fischereidruck in Kombination mit der Erwärmung des Ozeans dürfte die Ursache dafür sein, dass immer weniger Fische Brut produzieren, sodass immer weniger Eier überleben und heranwachsen. Die Systeme für ökosystem-basiertes Fischereimanagement blieben laut Studie in der Europäischen Union noch weit hinter dem zurück, was in den USA praktiziert werde. "Grundsätzlich ist jedoch die Einbindung von Umweltinformationen in das Fischereimanagement weltweit mangelhaft", heißt es in der Mitteilung des CEN.

Slow Food: "Nur ein angemessener Klimaschutz sichert künftig den Genuss von Hering und Co"

Anlässlich des Tags der Fische am 22. August hat Slow Food Deutschland die Politik zu einem angemessenen Klimaschutz aufgefordert. Das sei die Voraussetzung dafür, Fisch als wertvolles Nahrungsmittel auch für die Zukunft zu sichern, mahnte die Organisation. Die Klimakrise setze verschiedenen Fischarten und ihren Lebensräumen bereits heute massiv zu. Gut sichtbar und wissenschaftlich belegt sei dies beim Hering, dem vor allem aufgrund der Erwärmung der Ostsee der Nachwuchs schwinde. Über lange Zeit sei der Hering – Fisch des Jahres 2021 – eines der wichtigsten Handelsgüter Europas gewesen. In Deutschland zähle er zu den beliebtesten Speisefischen, beispielsweise in der Zubereitung als Matjes. Seine Bestände in der westlichen Ostsee seien jedoch stark gefährdet – inzwischen nicht nur infolge einer jahrzehntelangen starken, teils industriellen Fischerei, sondern zunehmend aufgrund des menschengemachten Klimawandels. Wegen der Erwärmung der Ostsee sei die Nachwuchsproduktion so niedrig, dass der Internationale Rat für Meeresforschung auch für das kommende Jahr (2022) eine vollständige Aussetzung der Fischerei empfohlen habe. Denn selbst die Tatsache, dass der Hering ein sich schnell reproduzierender Schwarmfisch sei, böte keine Abhilfe.

IGB: "Das Erholungspotenzial genutzter Fischbestände wird systematisch überschätzt"

Das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) warnt vor Überfischung, "falschen biologischen Grundannahmen" und fordert einen besseren Schutz von "großen Laichern". Um Überfischung zu vermeiden, würden Zustand und Ertragsfähigkeit vieler Fischbestände mittels bestandskundlicher Analysen eingeschätzt. Die Fruchtbarkeit der Fischweibchen sei dafür eine wichtige Größe. In den meisten Berechnungen stecke jedoch ein systematischer Fehler: Die Eizahl kleinerer Laichfische werde überschätzt, die von größeren dagegen unterschätzt – und gerade auf die stattlichen "Superlaicher" ziele die Fischerei. Eine aktuelle Studie eines internationalen Forschungsteams unter Beteiligung des IGB und der Humboldt-Universität Berlin zeige, dass dadurch das Erholungspotenzial vieler Fischbestände zu hoch geschätzt werde und so das Überfischungsrisiko steigen könne. "Die besonders großen Fische sollten verstärkt geschont werden", fordert das IGB. Im Durchschnitt werde das Laich- beziehungsweise Reproduktionspotenzial von 32 analysierten marinen Fischarten um 22 Prozent überschätzt. Die Werte schwankten allerdings von Art zu Art zwischen 3 und 78 Prozent. Damit seien die erlaubten Fangquoten im Durchschnitt 2,7 fach zu hoch angesetzt. Maßnahmen, die zum Schutz der Großfische beitragen, könnten den Forschenden zufolge den Fischereiertrag fördern und dem Schutz der Fischbestände helfen – beispielsweise selektivere Fangmethoden, die neben den jungen auch die großen Fische schonen. In der Freizeitfischerei könnten Fangfenster die klassischen Mindestmaße ersetzen. Aber auch Schutzzonen oder Schonzeiten könnten sinnvoll sein, so das IGB. [jg]

EU-Kommission: EU-Kommission legt Fangmöglichkeiten in der Ostsee für 2022 vor: Dorsch und Hering sollen sich erholen und Fragen und Antworten zum Kommissionsvorschlag für die Fangmöglichkeiten in der Ostsee für 2022

Studie Tipping point realized in cod fisheries und Berichterstattung:

Slow Food: Tag der Fische: Nur ein angemessener Klimaschutz sichert künftig den Genuss von Hering und Co

IGB: Vorsicht Überfischung: Große Laicher schützen und Bestände richtig bewerten

FishSec zieht gemischte Bilanz zu wissenschaftlichen Empfehlungen

Die Meeresschutzorganisation FishSec hat die Gutachten des Internationalen Rates für Meeresforschung (ICES) für die Ostsee analysiert. Insgesamt seien der Zustand und die Gesundheit der Fischbestände in der Ostsee besorgniserregend. Das derzeitige Management erreiche eindeutig nicht die Ziele des maximal nachhaltigen Ertrags (Maximum Sustainable Yield - MSY) und des guten Umweltzustands. In einem besonders schlechten Zustand befänden sind der östliche Ostseedorsch und der westliche Frühjahrslaicher. Für beide hat der ICES eine "Null-Fang"-Empfehlung ausgesprochen. Der Dorsch leide unter schlechtem Wachstum, Parasiten und hoher Sterblichkeit. Ökosystemveränderungen und Fischerei seien beide Teil des Problems. Einigen anderen Beständen wiederum gehe es besser, darunter die neu bewerteten Heringsbestände in der Bottensee, Heringe im Golf von Riga, Sprotten und die meisten Plattfischpopulationen. FishSec hat die ICES-Empfehlungen für die jeweiligen Bestände und deren Vorkommen übersichtlich aufgelistet. Weiterlesen

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