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EU-Gipfel: Geopolitik, Binnenmarkt und (k)eine strategische Agenda
EU-News | 19.04.2024
#EU-Umweltpolitik #Kreislaufwirtschaft #Mobilität #Wasser und Meere #Wirtschaft

EU-Gipfel: Geopolitik, Binnenmarkt und (k)eine strategische Agenda

Green Deal
© AdobeStock/RafMaster
Green Deal

Das Treffen der Staats- und Regierungsoberhäupter am 17. und 18. April endete mit Schlussfolgerungen zur Ukraine, zum Nahen Osten, zur Türkei und einem neuen Deal für die europäische Wettbewerbsfähigkeit. Ein vorher durchgesickerter Entwurf für die strategische Agenda erntete harsche Kritik.

Neben den erwähnten außen- und geopolitisch relevanten Schlussfolgerungen befasste sich der Europäische Rat mit dem Binnenmarkt, der Europäischen Industriepolitik, Kreislaufwirtschaft, Energieversorgung und Klimaneutralität, Ernährungssicherheit und strategischer Autonomie im Agrarsektor, digitaler Transformation und anderen Themen.

Hervorzuheben ist unter anderem der am Tag vor dem Gipfel vorgelegte Bericht über den Binnenmarkt („Much more than a market“), den der ehemalige italienische Regierungschefs Enrico Letta im Auftrag des EUCO erstellt hat. Als eine Säule des neuen Deals für Wettbewerbsfähigkeit neben Kapitalmarktunion, Industrie sowie Forschung und Innovation müsse eine „Vertiefung des Binnenmarkts durch Beseitigung verbleibender Hindernisse“ erreicht werden, so der EUCO. Die Empfehlungen des Letta-Berichts sollen durch den gegenwärtigen (Belgien) und kommenden (Ungarn) Ratsvorsitz vorangebracht werden.

Letta: Effiziente Energiepolitik, bessere Mobilität, nachhaltige Kreislaufwirtschaft und ein europäischer Wasserrahmen

Im Bericht von Enrico Letta werden auch Umweltthemen gestreift. Der Binnenmarkt müsse auch zur Förderung einer effizienten Energie- und Klimapolitik genutzt werden. Allerdings gelte es, Ausgleich zu schaffen. Denn die Energiekrise habe auch die Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten bei den Strompreisen verschärft. Dies schaffe Probleme für energieintensive Unternehmen sowie für nachgelagerte Industrien, saubere Technologien und KMU in einer Reihe von europäischen Regionen. Grenzüberschreitende Energienetze und Strommärkte sowie deren Widerstandsfähigkeit spielten eine gewichtige Rolle in einem funktionierenden europäischen Binnenmarkt. Auch die ungenügende Erreichbarkeit europäischer Hauptstädte mittels Hochleistungszügen bemängelt Letta (siehe auch dpa-Europaticker). Zudem müssten auch komplexe Daten über soziale, umweltbezogene und ökonomische Angelegenheiten in einer Wissensgesellschaft besser zugänglich sein als bisher.

Nachhaltigkeit sei für den zirkulären Binnenmarkt zudem eine der Hauptsäulen: Ohne Grundsätze der Kreislaufwirtschaft in Investitionsstrategien und betrieblichen Verfahren im gesamten Binnenmarkt werde ein lineares Wirtschaftsmodell aufrechterhalten, das von Natur aus nicht nachhaltig und ineffizient ist. „Die Europäische Union muss die Vision verfolgen, schrittweise einen zirkulären Binnenmarkt zu schaffen, in dem Wirtschaftswachstum und Wohlstand nicht mehr von einer nicht nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen und gefährlichen Abhängigkeiten abhängig sind“, heißt es in dem Bericht. Hierfür müsse die EU den Zugang zu Kreislaufmaterialien verbessern, Kriterien für das Ende der Abfalleigenschaft auf EU-Ebene für verschiedene Materialströme festlegen und auch finanzielle Unterstützung durch EU-Programme gewährleisten. Die strategische Nutzung von Biomasse für hochwertige Anwendungen, wie Materialien und Chemikalien, die fossile oder kritische Rohstoffe ersetzen können, sei ein weiteres entscheidendes Element.

Auch die Entwicklung eines neuen europäischen Wasserrahmens nennt Letta „sinnvoll“. Klimawandel, Ressourcenknappheit und eine ausgeprägte Fragmentierung bei der Wasserversorgung und den beteiligten Unternehmen führten inzwischen zu erheblichen Unterschieden in der Dienstleistungsqualität und im Umweltschutz zwischen den Mitgliedstaaten. Infolgedessen seien jährlich etwa 20 Prozent des europäischen Territoriums und 30 Prozent der Bevölkerung von Wasserstress betroffen: „Eine Situation, die durch die alternde Infrastruktur, klimabedingte Schwankungen in der Wasserverfügbarkeit und Verschmutzungsprobleme, einschließlich der chemischen Kontamination durch PFAS, noch verschärft wird“.

Nicht zuletzt sollte der öffentliche Beschaffungsmarkt als zentrales Instrument zur Förderung des sozialen Werts, zur Stärkung des Sozialkapitals und zur Anpassung an die Ambitionen der EU im Hinblick auf die grüne und digitale Transformation genutzt werden.

Kritik am Entwurf der strategischen Agenda: ökologischer Kollaps und Green Deal werden ignoriert

Spätestens beim nächsten Europäischen Rat im Juni soll die strategische Agenda für die nächsten fünf Jahre beschlossen werden. Jetzt wurde der im Vorfeld bekanntgewordene Leak nur diskutiert. Dieser enthält aber – so die harsche Kritik von Umweltorganisationen – kaum Maßnahmen, um Klimapolitik, Natur- und Umweltschutz sowie die Gesundheit der Bevölkerung zu stärken. So kritisierte Greenpeace, dass der „militärische Ehrgeiz“ die EU „anfällig für ökologischen Kollaps“ mache. In dem Dokument werde eine Politik zur „Aufstockung“ der europäischen Waffenindustrie und zur „erheblichen“ Erhöhung der europäischen Militärausgaben und -investitionen vorgestellt, obwohl sich die Menschen in Europa mit immer schlimmeren Klimaauswirkungen konfrontiert sähen. Hitzewellen, Waldbrände und Überschwemmungen vernichten Wälder, verschmutzen knappe Wasservorräte, zerstören Häuser und fordern Menschenleben – auch dagegen müsse es eine Strategie geben. Der WWF Österreich reagierte ebenfalls enttäuscht auf den Entwurf der EU-Agenda. Dieser sei „noch sehr schwach“ und habe „große Lücken“ statt ambitionierter Klima- und Naturschutzpläne für die nächsten fünf Jahre.

Ähnlich argumentierte der NABU. Die geplanten Prioritäten für die Jahre 2024 bis 2029 wiesen „eine dramatische Schwerpunktverlagerung auf“, scheinbar sollen die bisherigen Zusagen des Green Deals rückabgewickelt werden kritisierte NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger: „Statt den Green Deal als Fahrplan zu nutzen, um durch diese Krisen zu steuern, setzen die Staats- und Regierungschefs auf Scheinlösungen, die schon in der Vergangenheit nicht funktioniert haben. Sie ignorieren, dass ein wohlstandsorientiertes Wirtschaften in kollabierten Ökosystemen nicht möglich ist, und dass Dürre und Flut die größte Gefahr für unsere Ernährungssicherheit sind.“ Es gebe in einer verantwortungsbewussten europäischen Politik keine Alternative zu dem 2019 auf den Weg gebrachten europäischen Green Deal. „Die europäische Politik läuft Gefahr, in einer Vielzahl von Krisen den Überblick zu verlieren. Die sich verschärfenden Wetterextreme und das sechste große Artensterben sollten Warnung genug sein, jetzt nicht den Kurs zu ändern“, so Krüger. [jg]

 

Pressemitteilung EUCO sowie Schlussfolgerungen EUCO

Reaktion NABU: EU-Strategie: Green Deal muss als Mindestanspruch bestehen bleiben

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