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Countdown vor Europawahl: EU-Parlament im Beschlussrausch
EU-News | 18.04.2024
#Bodenschutz #Emissionen #EU-Umweltpolitik #Klima und Energie #Wasser und Meere

Countdown vor Europawahl: EU-Parlament im Beschlussrausch

EU-Flagge

Es ist viel los in Straßburg dieser Tage kurz vor der Europawahl. Gasmarktreform, Strommarktreform, Abwasser, CO₂-Emissionen bei Bussen und Lkw, Zertifikatesystem für Kohlenstoff (Carbon Removal Certification Framework, CRCF), Methanverordnung und Bodenschutz... Das erste Aprilplenum hatte eine lange Agenda. In seiner vorletzten Plenarsitzung hat das Europäische Parlament (EP) eine Reihe wichtiger Entscheidungen getroffen. Die jüngsten Beschlüsse - das EP stimmte jeweils mehrheitlich dafür - haben wir in Kürze zusammengefasst.

  • EU-Gasmarktreform soll Gassektor dekarbonisieren: Das EP hat weitreichende Maßnahmen gebilligt, die die Nutzung von erneuerbaren und CO₂-armen Gasen, einschließlich Wasserstoff, im EU-Gasmarkt verstärken sollen. Sie sind Teil einer neuen Richtlinie und der Verordnung über den Gas- und Wasserstoffmarkt, die darauf abzielen, den Energiesektor der EU zu dekarbonisieren. Beide sollen die Produktion und Integration von erneuerbaren Gasen und Wasserstoff fördern sowie die Energieversorgung sichern, die durch geopolitische Spannungen, vor allem den Krieg in der Ukraine, bedroht ist. Die neue Verordnung zielt darauf, die Mitgliedstaaten zu befähigen, Gasimporte aus Russland und Belarus zu limitieren. Die Richtlinie beinhaltet außerdem Bestimmungen über Transparenz, Verbraucherrechte und Schutzmaßnahmen gegen Energiearmut. Zudem sollen Investitionen in die Wasserstoffinfrastruktur, insbesondere in Kohleregionen, erhöht werden, um den Übergang zu Energiequellen wie Biomethan und kohlenstoffarmem Wasserstoff zu fördern.  Umweltgruppen wie CAN Europe kritisieren die Maßnahmen als unzureichend, um die Resilienz gegenüber Energiekrisen zu stärken und den Übergang zu erneuerbaren Energien zu fördern. Im Gegenteil liege der Fokus weiterhin zu stark auf Infrastrukturen für fossiles Gas, was langfristige Abhängigkeiten zementiere und die notwendige Abkehr von fossilen Brennstoffen verzögere. Laut CAN Europe muss fossiles Gas bis 2035 auslaufen, um das Ziel der Klimaneutralität bis 2040 zu erreichen.
  • EU-Strommarktreform bringt Differenzverträge:  Auch die Reform des EU-Strommarktes wurde verabschiedet. Die neue Gesetzgebung soll Verbraucher*innen vor volatilen Strompreisen schützen. Ein Schlüsselelement der neuen Gesetzgebung sind die sogenannten "Contracts for Difference" (CfDs), die Energieinvestitionen fördern sollen, indem sie Energieproduzenten gegen stark fallende Marktpreise absichern, während sie bei hohen Preisen Rückzahlungen verlangen. Die Reform erlaubt es auch, bei extrem hohen Strompreisen eine regionale oder EU-weite Strompreiskrise zu erklären, was den Mitgliedstaaten ermöglicht, temporäre Maßnahmen zur Preisfestsetzung zu ergreifen. Trotz breiter Zustimmung stieß die Reform auch auf Kritik. Energieökonom Lion Hirth (Deutschlandfunk) fürchtet, dass die Maßnahmen nicht ausreichen werden, um erneute Preisschocks zu verhindern. Er kritisiert zudem, dass weiterhin an Grundprinzipien des bestehenden Strommarktsystems, z.B. dem Merit-Order-Mechanismus, festgehalten wird.  Michael Bloss, der Verhandlungsführer der deutschen Grünen im EP, äußerte Bedenken, dass das Gesetz nicht die ursprünglich intendierte Basis für ein zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien bestehendes System schaffe. Zusätzlich ermöglicht die Reform nationalen Regierungen, Atomkraftwerke bis 2028 in Krisenzeiten zu subventionieren. Diese Aspekte führten zur Ablehnung des Abkommens durch die Grünen und verstärkten die Forderungen nach einer Überarbeitung im nächsten Parlament.
  • Verschärfte Regulierungen zur Abwasserbehandlung: Die neue Gesetzgebung enthält Vorschriften zur Sammlung, Behandlung und Einleitung von städtischem Abwasser. Sie sieht vor, dass bis 2035 in allen Siedlungen ab einer Größe von 1.000 Einwohnern das Abwasser einer sekundären Behandlung unterzogen werden muss, um biologisch abbaubare organische Stoffe zu entfernen. Bis 2045 wird eine weiterführende Behandlung, die sogenannte tertiäre Behandlung zur Entfernung von Stickstoff und Phosphor, verpflichtend für Kläranlagen, die mehr als 10.000 Einwohner bedienen. Eine zusätzliche Behandlungsstufe zur Entfernung von Mikroverunreinigungen wird für alle Anlagen über 150.000 Einwohner obligatorisch und basiert auf einer Risikobewertung auch für kleinere Anlagen ab 10.000 Einwohner. Ein bedeutender Teil der neuen Regelung ist die Einführung der erweiterten Herstellerverantwortung für Arzneimittel und kosmetische Produkte, um die Kosten für die Entfernung von Mikroverunreinigungen zu decken. Hersteller müssen mindestens 80 Prozent dieser Kosten tragen. Außerdem müssen EU-Länder die Wiederverwendung von gereinigtem städtischem Abwasser fördern, insbesondere in wasserarmen Gebieten. Diese Gesetzgebung, die als einer der Kernpunkte des EU-Nullverschmutzungsaktionsplans für Luft, Wasser und Boden gilt, wird nun vom Rat formell angenommen werden müssen, bevor sie in Kraft treten kann. Ein breites Bündnis von europäischen und nationalen Umweltverbänden hatte Mitte Januar (EU-News 24.01.2024) die Zuständigen von Rat, Parlament und Kommission aufgefordert, die EU-Rechtsvorschriften zu kommunalem Abwasser fit für die Zukunft zu machen. Die verabschiedeten Regelungen blieben zum Teil weit hinter den Forderungen zurück.
  • Neue Maßstäbe für CO2-Reduktion bei schweren Nutzfahrzeugen: Die durch das EP verabschiedeten Maßnahmen zur Verringerung der CO2-Emissionen von schweren Nutzfahrzeugen (HDVs) sehen eine signifikante Senkung der Emissionen für neue Lkw, Busse und Anhänger (DNR-EU-News vom 16.04.). Laut der neuen Regelung müssen die CO2-Emissionen von großen Lkw und Bussen zwischen 2030 und 2034 um 45 Prozent, zwischen 2035 und 2039 um 65 Prozent und ab 2040 um 90 Prozent reduziert werden. Neue Stadtbusse müssen bis 2030 ihre Emissionen um 90 Prozent senken und bis 2035 emissionsfrei sein. Auch für Anhänger und Sattelauflieger wurden Reduktionsziele festgelegt, die ab 2030 greifen sollen. Trotz der fortschrittlichen Ziele gibt es keinen vollständigen Stopp der Zulassung von Verbrennungsmotoren für Lkw. 
  • Neues EU-Zertifizierungssystem für CO2-Entnahmen verabschiedet: Das EP hat mit großer Mehrheit für die Einführung eines neuen Zertifizierungsrahmens für Kohlenstoffentnahmen gestimmt, der CO2-Entnahmen fördern und "Greenwashing" entgegenwirken soll.  Der neue Rechtsrahmen ermöglicht es Landwirt*innen, finanzielle Anreize für die Entnahme von Kohlenstoff zu erhalten, indem sie Maßnahmen wie Carbon Farming umsetzen. Dabei wird Kohlenstoff temporär in Böden, Wäldern und anderen Ökosystemen gebunden, um die Emissionen zu reduzieren. Die Verordnung umfasst verschiedene Arten der Kohlenstoffentnahme, darunter die permanente Speicherung durch industrielle Technologien wie die Verbrennung von Biomasse mit anschließender Kohlenstoffspeicherung (BECCS) oder die direkte CO2-Abscheidung aus der Luft (DACCS). Ein zentraler Aspekt des neuen Rahmens ist die Schaffung einer öffentlichen EU-Registrierung, um Transparenz sicherzustellen und die Überwachung und Überprüfung solcher Aktivitäten zu verbessern. Die Verordnung erweitert den Anwendungsbereich im Vergleich zum ursprünglichen Vorschlag der Kommission, indem sie auch Carbon Farming-Praktiken einbezieht, die auf die Reduzierung von Emissionen aus Böden abzielen. Obwohl die Verabschiedung des Zertifizierungsrahmens als ein Schritt in die richtige Richtung angesehen wird, haben Umweltverbände Kritik geäußert. Dazu gehören Fragen der Doppelzählung, mangelnde Dauerhaftigkeit der Entnahme, die Möglichkeit des "Offsetting" von CO2-Emissionen und zu lasche Nachhaltigkeitskriterien für die Nutzung von Biomasse. Besonders umstritten ist die Ausweitung des Anwendungsbereichs auf Carbon Farming-Praktiken. 
  • Erste EU-Verordnung zur Reduzierung von Methanemissionen im Energiesektor: Mit großer Mehrheit wurde für die Annahme eines neuen Gesetzes zur Reduzierung von Methanemissionen aus dem Energiesektor gestimmt. Die Verordnung ist das erste EU-weite Gesetz, das darauf abzielt, Methanemissionen zu reduzieren und umfasst direkte Methanemissionen aus den Bereichen Öl, fossiles Gas und Kohle sowie aus Biomethan, sobald es in das Gasnetz eingespeist wird. Sie sieht vor, dass auch fossile Energieimporte ab 2027 den regulatorischen Vorgaben unterliegen werden. Dies erfolgt schrittweise, mit einer Übergangsfrist bis 2030, bevor verbindliche Reduktionsziele und Sanktionen für Importe gelten, die den Methan-Grenzwert überschreiten. Umweltverbände reagieren zurückhaltend auf den vorgestellten Zeitplan und fordern Nachbesserungen, um sicherzustellen, dass die Ziele des Global Methane Pledge erreicht werden können.
  • Parlamentsposition zu Bodenüberwachungsgesetz verabschiedet: Das Bodenüberwachungsgesetz soll alle EU-Länder verpflichten, sämtliche Böden auf ihrem Gebiet zu überwachen und anschließend ihre Gesundheit anhand einer fünfstufigen Bewertung zu beurteilen. Bereits der Vorschlag der Kommission stieß bei Umweltverbänden auf Kritik, denen er als zu schwach galt. Die Hauptkritik besteht weiterhin darin, dass die Richtlinie sich vorrangig auf Überwachungsmaßnahmen konzentriert, statt effektiven Schutz zu gewährleisten (EU-News vom 11.04.).
  • Den Beschluss für ein Schnellverfahren im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik und der Aushebelung von Umweltauflagen lesen Sie hier.

Die bevorstehende Plenarwoche vom 22.-25. April wird die letzte vor der Europawahl am 09.06. sein. Es stehen noch viele wichtige Themen auf der Agenda, unter anderem wird es gehen um Mikroplastik, Reparatur, Verpackung und Verpackungsabfall, Luftqualität, die GAP, die Öko-Designrichtlinie, Schadstoffe in Oberflächen- und Grundwasser sowie das UN-Hochseeschutzabkommen. [ks]

 

    EP–Pressemitteilung: Reformen für einen nachhaltigeren und widerstandsfähigeren EU-Gasmarkt 

    CAN Europe – Policy Briefing: Gas Package Analysis: The Good, the Bad and the Ugly [...]

    EP – Pressemitteilung:: Parliament adopts reform of the EU electricity market 

    Deutschlandfunk: EU-Strommarkt - Energieökonom: Reform hat Ziel nicht erreicht

    Euractiv: Europäisches Parlament beschließt Strommarktreform

    EP–Pressemitteilung: New EU rules to improve urban wastewater treatment and reuse 

    GWF-Wasser: EU-Parlament verabschiedet Kommunalabwasserrichtlinie 

    EP-Pressemitteilung: MEPs adopt stricter CO2 emissions targets for trucks and buses

    EP-Pressemitteilung: Carbon removals: MEPs adopt a new EU certification scheme 

    EP-Pressemitteilung: Methane: [...] new law to reduce emissions from energy sector

    EP-Pressemitteilung: Soil health: [...] measures to achieve healthy soils by 2050 

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