Menü
Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzorganisationen
Startseite
Aktuelles & Termine
Aktuelles & EU-News
Die Tiefsee ist nicht verhandelbar
News | 07.12.2022
#Biodiversität und Naturschutz #Rohstoffe und Ressourcen

Die Tiefsee ist nicht verhandelbar

Tiefer Meeresgrund
© pixabay
Tiefer Meeresgrund

Über die Hälfte der Erdoberfläche ist Tiefseeboden, auf dem es eine hohe Biodiversität gibt, aber auch mineralische Rohstoffe, die Begehrlichkeiten wecken. International wird bereits beraten, wie die Rohstoffe auf dem Meeresgrund abgebaut werden können. Wird der Tiefseebergbau erlaubt, führt dies zur Zerstörung der Meeresumwelt und zu weiterem Artensterben. Auf der Sitzung des Rates der Internationalen Meeresbodenbehörde im Herbst haben sich einige Staaten, auch Deutschland gegen einen baldigen Beginn des Bergbaus in den Meeren ausgesprochen. Und sogar große Automobil- und Batteriehersteller plädieren für ein Moratorium des Tiefseebergbaus.

Die Tiefsee umfasst alle Meeresgebiete unterhalb von 200 Metern Tiefe. Hiervon hat die Menschheit lediglich fünf Prozent der Tiefsee erkundet, beim Tiefseeboden sogar nur 0,0001 Prozent. Und das obwohl der Tiefseeboden mehr als die Hälfte der Erdoberfläche umfasst. Gleichwohl zeigt die Meeresforschung bereits jetzt, dass in der Tiefsee eine enorme Artenvielfalt und Diversität von Ökosystemen existiert. Dies widerspricht der langgehegten Vorstellung, die Tiefsee und insbesondere der Tiefseeboden wäre eine lebensfeindliche Umgebung. Das United Nations First World Ocean Assessment beschrieb in seinem 2015er-Bericht die enorme Biodiversität der Tiefsee, mit Ökosystemen, die für die natürlichen Funktionen der Erde essenziell seien.

Derzeit verhandeln Staaten bei der Internationalen Meeresbodenbehörde über Regeln zum Abbau der Tiefseerohstoffe. Auch eine Tiefseebergbauindustrie hat sich bereits gegründet und führt erste Tests von Bergbauequipment durch. Doch Tiefseebergbau wird unvermeidlich zu Artensterben und einer zusätzlichen Belastung der ohnehin schon stark geschädigten Meere führen. Denn wie bei jeder anderen Form von Bergbau ist mit dem Abbau der Rohstoffe die Zerstörung von Manganknollen, Krusten oder Schwarzer Raucher (aktive Hydrothermalquellen) integraler Bestandteil des Vorhabens, mineralische Rohstoffe abzubauen.

Tiefseebergbau wird die Meeresumwelt zerstören

Tiefseebergbaugeräte werden dazu entwickelt, den Meeresboden im großen Stil aufzureißen, zu zerkleinern, umzupflügen und Teile davon an die Oberfläche zu pumpen. Für den Abbau von Manganknollen sind die Gerätetests besonders weit fortgeschritten. Riesige Fahrzeuge mit Panzerketten sollen das Sediment und die darin liegenden Knollen mit Unterdruck ansaugen. Die Manganknollen werden anschließend im sogenannten Kollektor von Sediment (das hinter dem Abbaugerät wieder ausgestoßen wird) getrennt, zerkleinert und an ein vertikales Fördersystem übergeben. Dieses transportiert die Knollen über ein Lufthebeverfahren oder mittels Dickstoffpumpen über mehr als 4.000 Meter zur Förderplattform an der Wasseroberfläche. Dort werden die Knollen entwässert und für den Transport an Land auf Lastschiffe verladen, wie aus der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage von Grünen-Abgeordneten hervorgeht. Das restliche Sediment wird zurückgeführt, im besten Fall in Bodennähe, im schlimmsten Fall in höheren Meeresschichten. All dies hat gravierende Folgen für die Arten auf dem Meeresboden und in der Wassersäule.

Marie-Luise Abshagen
Tiefseebergbaugeräte werden dazu entwickelt, den Meeresboden im großen Stil aufzureißen, zu zerkleinern, umzupflügen und Teile davon an die Oberfläche zu pumpen. ... Riesige Fahrzeuge mit Panzerketten sollen das Sediment und die darin liegenden Manganknollen mit Unterdruck ansaugen.
Marie-Luise Abshagen, Forum Umwelt und Entwicklung
Leiterin Nachhaltigkeitspolitik

Die langfristigen Auswirkungen von Tiefseebergbau lassen sich bereits untersuchen. Denn 1989 wurde im Peru-Becken ein elf Quadratkilometer großes Manganknollengebiet zur Simulation von Tiefseebergbau umgepflügt. 26 Jahre später wurden die Langzeitveränderungen unter anderem der Mikroben und Fauna sowie der biogeochemischen Ökosystemfunktionen im Rahmen eines europäischen Forschungsvorhabens untersucht. Es zeigten sich deutliche Veränderungen des Meeresbodens, etwa eine Reduktion der Populationsdichte und der Ökosystemfunktionen. Biogeochemische Remineralisationsprozesse, mikrobielle Aktivitäten und die Produktivität der benthischen (auf dem Gewässergrund lebenden) Fauna waren beeinträchtigt.

Ein Hauptargument, das von Unterstützer*innen des Tiefseebergbaus immer wieder ins Feld geführt wird, ist, dass der Tiefseebergbau dem Klimaschutz diene. Tiefseebergbau soll die behauptete Versorgungslücke mineralischer Rohstoffe für erneuerbare Energien schließen. Doch gerade die Ausbeutung metallisch-mineralischer Rohstoffe und ihr stetig wachsender Bedarf sind einer der Hauptverursacher des dramatischen Artensterbens und der Klimakrise. 

Energiewende geht nur mit Rohstoffwende

Die Energiewende wird nicht rohstoffneutral sein. Aber es stimmt auch nicht, dass sie der wesentliche Treiber des Rohstoffbedarfs ist. Schaut man genauer auf die Rohstoffbedarfe in einzelnen Branchen, wird deutlich, dass die Technologien für erneuerbare Energien nur einen Bruchteil des prognostizierten Anstiegs der Mineral- und Metallnachfrage ausmachen. Vielmehr sind laut PowerShift der allgemeine Überkonsum des Globalen Nordens sowie Digitalisierung, Verteidigung, Luftfahrt oder die Stahlindustrie, die Haupttreiber für die Metall- und Mineraliennachfrage.

Sehr hohe Nachfrage wird es bei Kobalt, Lithium, Niobium, Tantal sowie leichten und schweren Seltenen Erden geben. Kobalt und Lithium werden vor allem in der Elektromobilität eine große Rolle spielen. In der Produktion von Windkraft- und PV-Anlagen sind die beiden Stoffe sowie Tantal, wenn überhaupt, nur von geringer Bedeutung. Der Eins-zu-eins-Ersatz fossiler Verbrenner durch E-Autos kann zudem nicht als Teil der Energiewende verklärt werden. Autos müssen kleiner, leichter und in der Anzahl drastisch reduziert werden. Gerade die Autoindustrie und damit zusammenhängend die Batteriehersteller werden wichtige Player in der weiteren Nutzung von Rohstoffen und müssen einen Beitrag zur Rohstoff- und Energiewende leisten. Umso wichtiger ist es, dass sich mit BMW, VW, Volvo, Scania oder dem koreanischen Batteriehersteller Samsung SDI, große Automobil- und Batteriehersteller für ein Moratorium des Tiefseebergbaus aussprechen.

Tiefseebergbau steht im fundamentalen Gegensatz zu den internationalen Bemühungen, den Natur- und Meeresschutz zu verbessern. Er konterkariert zahlreiche internationale Ankündigungen und Versprechen, den weltweiten, dramatischen Verlust der Biodiversität anzuhalten und umzukehren. Stattdessen brauchen wir eine Rohstoffwende, die möglichst viele Erze im Boden hält. Nahezu alle Metalle und Mineralien im Gebrauch müssen dafür in einen möglichst verlustfreien Kreislauf gebracht werden und Länder wie Deutschland den Primärrohstoffverbrauch in absoluten Zahlen reduzieren. Der Schutz von Menschenrechten und höchste Umweltstandards müssen beim Rohstoffabbau und entlang der gesamten Wertschöpfungskette Priorität  haben, fordert der NGO-Arbeitskreis Rohstoffe.

Es ist ein guter und wichtiger Schritt, dass Deutschland sich in der letzten Verhandlungsrunde der der Abbauregularien für eine sogenannte vorsorgliche Pause ausgesprochen hat und erklärte, bis auf Weiteres keine Anträge auf kommerziellen Abbau von Rohstoffen in der Tiefsee zu unterstützen. Langfristig muss Deutschland aber gegen die Verabschiedung von Abbauregularien stimmen und Tiefseebergbau für immer unmöglich machen.

Die Autorin

Marie-Luise Abshagen arbeitet beim Forum Umwelt und Entwicklung als Leiterin für Nachhaltigkeitspolitik. Die Schwerpunkte ihrer Arbeit sind die Umsetzung der Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) in Deutschland, Europa und global sowie internationale Umwelt- und Meerespolitik. Die Politikwissenschaftlerin engagiert sich seit vielen Jahren für Menschenrechte und die Verwirklichung nachhaltiger Entwicklung.

Das könnte Sie interessieren

Blick auf Berlin mit grünen Bäumen
News | 06.12.2024
# sozial-ökologische Transformation #Biodiversität und Naturschutz #Politik und Gesellschaft

Die wetterfeste Stadt

2024 ist das bisher wärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Die Erderhitzung beeinträchtigt zunehmend das Leben in den Städten. In einem Best-Case-Szenario am Beispiel Berlin erzählt der Zukunftsforscher Stephan Rammler, wie sich Städte gegen Hitze und Wassermangel wappnen können. ...