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EU-Parlament: Rechte und Konservative setzen NGO-Kontrollgremium durch
EU-News | 20.06.2025
#Gemeinnützigkeit #Politik und Gesellschaft

EU-Parlament: Rechte und Konservative setzen NGO-Kontrollgremium durch

Sandra Seitamaa
© Sandra Seitamaa

Was als diffamierende Kampagne gegen zivilgesellschaftliche Organisationen begann, hat nun konkrete institutionelle Konsequenzen: Mit den Stimmen von EVP und den Rechtsaußenfraktionen wurde im Haushaltsausschuss des EU-Parlaments ein neues Kontrollgremium zur Prüfung von NGO-Finanzierung eingerichtet.

Die sogenannte „Scrutiny Working Group for NGO Funding“ soll untersuchen, wie die EU-Kommission zivilgesellschaftliche Organisationen finanziert – etwa über das Umweltförderprogramm LIFE oder Fonds wie dem Europäische Sozialfonds Plus, Horizont Europa oder dem Asyl- und Migrationsfonds AMIF. Die Entscheidung zur Einrichtung der Arbeitsgruppe fiel am 19. Juni in den Fraktionsvorsitzendenrunden. 

Während progressive Fraktionen – Sozialdemokraten, Liberale, Grüne und Linke – geschlossen dagegen stimmten, bildete sich die Mehrheit für das Gremium aus einer Allianz der konservativen EVP mit mehreren rechten bis rechtsextremen Fraktionen. So bekam die EVP Unterstützung von der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR), in der unter anderem die rechtspopulistische PiS-Partei (Polen) und die neofaschistische Fratelli d’Italia (Italien) vertreten sind. Auch die Fraktion „Patrioten für Europa“, der unter anderem die nationalkonservative Fidesz (Ungarn) und der rechtsextreme Rassemblement National (Frankreich) angehören, unterstützte die Einrichtung des Gremiums.

Florian Schöne, Geschäftsführer des DNR, zeigt sich alarmiert: „Wer inmitten von Klimakrise, Rechtsruck und wachsender Politikverdrossenheit ausgerechnet jene angreift, die sich für Gemeinwohl, Umwelt und Demokratie einsetzen, gefährdet das Fundament unserer Gesellschaft.“ Gerade jetzt brauche es eine lebendige Zivilgesellschaft, die der Demokratie den Rücken stärkt. Doch statt sie zu schützen, „reihen sich die Konservativen in den Kanon rechtsextremer und autoritärer Narrative ein.“ Das sei politisch kurzsichtig und historisch gefährlich. Schöne mahnt: „Ohne starke Zivilgesellschaft gibt es keine wehrhafte Demokratie.“

Der Entscheidung vorangegangen waren unter anderem Berichte der Welt am Sonntag, die der EU-Kommission unterstellten, Umweltorganisationen heimlich mit Fördermitteln unterstützt zu haben, um politischen Einfluss zu nehmen. Die Rede war von bis zu 700.000 Euro, die angeblich gezielt für juristische und politische Kampagnen gegen Kohlekraftwerke oder das Mercosur-Handelsabkommen verwendet worden seien. NGOs wie ClientEarth und Friends of the Earth wurden als „verlängerter Arm“ der EU-Kommission dargestellt – ein Vorwurf, der mehrfach öffentlich zurückgewiesen wurde. Ihre Programme entwickele ClientEarth unabhängig und erhalte dafür Förderung aus dem LIFE-Programm. Die Verträge seien keineswegs geheim, sondern dienten der transparenten Mittelverwendung.

Auch die Kommission selbst stellte klar: „Entgegen der Berichterstattung in den Medien gibt es keine geheimen Verträge zwischen der Europäischen Kommission und NGOs.“ Auch unabhängige Recherchen von Politico und Prüfberichte des Europäischen Rechnungshofs bestätigten die Rechtmäßigkeit der NGO-Förderung. Zwar bemängelte der Europäischen Rechnungshof im April 2025 unzureichende Transparenz bei der Vergabe von EU-Mitteln, doch ging es dabei um strukturelle Defizite im Berichtswesen – nicht um Anzeichen für Fehlverhalten oder politische Steuerung zivilgesellschaftlicher Organisationen. Auch Piotr Serafin, EU-Kommissar für Haushalt, Betrugsbekämpfung und öffentliche Verwaltung, stellte klar, dass die Kommission NGOs keine Weisungen zur Einflussnahme erteilt habe. Diese Sichtweise fand auch in der Plenarabstimmung am 7. Mai Bestätigung, in der das Parlament der Förderpraxis im Rahmen der Haushaltsentlastung 2023 zustimmte.

Dennoch hielten Konservative und Rechte an der Erzählung fest, es gebe ein verdecktes Lobbyprojekt finanziert mit öffentlichen Geldern, und instrumentalisierten den Ruf nach mehr Transparenz. Diese sei offensichtlich vorgeschoben, kritisiert Iratxe García Pérez (S&D). “Wenn es wirklich um Transparenz ginge, müsste sie für alle Empfänger von EU-Geldern gelten – nicht nur für NGOs, die der EVP politisch nicht passen.“ García Pérez‘ Vorschlag, auch die Finanzierung anderer Akteure wie Unternehmen, Beratungsfirmen oder Agrarlobbyverbände zu prüfen, wurde von der EVP aber abgelehnt.

Damit ist das neue Gremium ausschließlich auf NGOs fokussiert. „Eine Arbeitsgruppe einzurichten, obwohl es keinerlei Anhaltspunkte für Fehlverhalten zivilgesellschaftlicher Organisationen gibt, stellt einen klaren Missbrauch institutioneller Macht dar – angetrieben von fragwürdigen politischen Motiven", konstatiert das European Environmental Bureau. Ähnlich besorgt äußerte sich Renew-Fraktionsvorsitzende Valérie Hayer. Sie warf den Christdemokraten vor, sich „offensichtlich daran zu beteiligen, den politischen und demokratischen Handlungsspielraum von NGOs einzuschränken“. Die EVP, so Hayer, übernehme damit „die Agenda der extremen Rechten“.

Tatsächlich ist die gezielte Delegitimierung von zivilgesellschaftlichen Akteuren als angeblich gesteuert ein nur allzu bekanntes Mittel antidemokratischer Kräfte. Sie zeichnen NGOs nicht als Teil demokratischer Öffentlichkeit, sondern als verlängerter Arm elitärer Netzwerke, deren Ziel es sei, politische Prozesse zu unterwandern. Diese Vorstellung speist sich aus einer Mischung aus autoritären Handlungsmustern und Verschwörungserzählungen und auch in der EU wird dieses Narrativ sichtbar, wenn NGOs als Teil einer verdeckten Einflussnahme dargestellt werden. Ob in Ungarn, den USA oder Russland – Autokraten nutzen solche Narrative, um unbequeme gesellschaftliche Stimmen zum Schweigen zu bringen, und politische Akteure übernehmen diese Rhetorik zunehmend auch in der EU.

Diverse Verbände, Bündnisse und Parteien verurteilten das neue Kontrollgremium deshalb scharf: Die deutsche Watchdog-NGO LobbyControl warnte indes, ein solches Gremium käme „einem Schauprozess gegen die Zivilgesellschaft gleich – ganz nach dem Geschmack von Autokraten wie Viktor Orbán“. Auch Terry Reintke, Fraktionsvorsitzende der Grünen, sprach von einem „Angriff auf die Zivilgesellschaft […]“ im Sinne Trumps und Orbáns. In einem gemeinsamen offenen Brief mit dem EEB und Civil Society Europe kritisierte Transparency International EU die „koordinierten Kampagne“, die darauf abziele, zivilgesellschaftliche Organisationen zu diskreditieren und ihnen perspektivisch die finanziellen Mittel zu entziehen.

Dabei ist es für pluralistische Gesellschaften notwendig, dass auch Gruppen ohne große wirtschaftliche Macht ihre Interessen artikulieren und vertreten können. Gerade in Bereichen wie Klima- und Umweltschutz, Menschenrechte oder soziale Gerechtigkeit treten NGOs als Korrektiv zu mächtigen Industrie- und Wirtschaftslobbys auf, die in Brüssel mit millionenschweren Kampagnen Einfluss nehmen. Laut LobbyControl  nehmen schätzungsweise 25.000 Lobbyist*innen mit einem Jahresbudget von rund 1,5 Milliarden Euro in Brüssel Einfluss auf die EU-Institutionen – etwa 70 Prozent von ihnen im Auftrag von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden. Damit Umwelt-, Demokratie- und Menschenrechtsorganisationen dagegen halten können, brauchen sie Förderung. Dass sie dabei klar Stellung beziehen, ist ihre inhärente Aufgabe und Ausdruck demokratischer Vielfalt, kein Mangel an Neutralität.  

Die politische Instrumentalisierung vermeintlicher „Neutralitätsverstöße“ durch zivilgesellschaftliche Organisationen ist keineswegs neu – in Deutschland richtete sich diese Taktik zuletzt gegen eine Vielzahl engagierter Verbände als die Unionsfraktion im Februar 2025 über 500 Einzelfragen zur staatlichen Förderung von NGOs wie Greenpeace, BUND, Campact und der Amadeu Antonio Stiftung gestellt hatte. Die Linke sprach von einem „Frontalangriff“, die Grünen warnten vor einem „autoritären Geist“, und zahlreiche Organisationen sahen darin eine gefährliche Annäherung an Narrative rechtspopulistischer Kräfte. Die Debatte zeigte eindrücklich, wie unter dem Deckmantel von Transparenz der politische Druck auf engagierte NGOs wächst – ein Muster, das sich nun auch auf europäischer Ebene wiederholt. [ks]

 

SPIEGEL: EU-Finanzierung: Konservative und Rechte führen Kontrollgremium für NGOs ein

Europe.Table: NGO-Verträge: Arbeitsgruppe soll Geldervergabe kontrollieren

ClientEarth: ClientEarth kritisiert Berichterstattung zu EU-Förderung für NGOs

Politico: EPP teams up with far right to probe NGO funding

Politico – Faktencheck: Is the Commission secretly paying NGOs to lobby for the Green Deal?

Transparency International EU: Open letter to the EU Parliament Conference of Presidents

Euronews: NGO-Finanzierung: EU-Kommission weist Vorwürfe zu verdeckten Verträgen zurück

Human Rights Watch: 'Foreign Agent‘-Gesetze: Ein illiberales Instrument autoritärer Regime

DNR: Zivilgesellschaft ist transparent, demokratisch und rechtsstaatlich organisiert!

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