„Politik ignoriert Wissenschaft“: EU-Parlament senkt Schutzstatus des Wolfes

In Anpassung an die internationale Berner Konvention hat das Parlament am 8. Mai den Schutzstatus des Wolfs in der EU von „streng geschützt“ auf „geschützt“ herabgestuft. Umwelt- und Tierschutzverbände kritisierten die Entscheidung.
Mehr „Spielraum beim Management von Wolfspopulationen“ – also der leichtere Abschuss von Wölfen – erhofft sich das EU-Parlament in Zukunft. Mit 371 Ja-Stimmen und 162 Nein-Stimmen haben die EU-Abgeordneten für einen Vorschlag der EU-Kommission auf Initiative des Parlaments gestimmt, die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie entsprechend anzupassen. 37 Abgeordnete enthielten sich. Da die Gesetzesänderung im sogenannten Dringlichkeitsverfahren behandelt wurde, fehlt nun eigentlich nur noch die formelle Annahme des Rates, der den Text schon Mitte April gebilligt hatte. Nach Veröffentlichung der geänderten FFH-Richtline im Amtsblatt tritt diese nach 20 Tagen in Kraft und muss von den Mitgliedstaaten innerhalb von 18 Monaten in nationales Recht übertragen werden.
Die Mitgliedstaaten können damit künftig flexibler und regional angepasst Maßnahmen ergreifen, um die Auswirkungen wachsender Wolfsbestände zu bewältigen. Die FFH-Richtlinie mit dem verpflichtenden Ziel, einen günstigen Erhaltungszustand des Wolfs sicherzustellen, gilt aber weiterhin. Innerhalb nationaler Gesetzgebung könnte der Wolf auch weiter als streng geschützte Art eingestuft werden - ein Schritt, den Umweltorganisationen dringend empfehlen.
Umwelt- und Tierschutzverbände: „EU ignoriert Wissenschaft“, „besorgniserregender Präzendenzfall“
Wolfsjagd ist also wieder möglich und die Eurogroup for animals nennt die Entscheidung einen „besorgniserregenden Präzedenzfall für den europäischen Naturschutz“. Denn laut FFH-Richtlinie müssen Entscheidungen auf wissenschaftlicher Grundlage getroffen werden. Obwohl sich die Wolfspopulationen dank des strengen Schutzes erholten, befinde sich die Art in sechs von sieben biogeografischen Regionen der EU weiterhin in einem ungünstigen Erhaltungszustand. „Die EU-Entscheidung untergräbt die Glaubwürdigkeit der EU-Naturschutzvorschriften und bedroht die Erholung der Wolfsbestände in ganz Europa“, kritisierte die Organisation. Zudem schränke der Trend zur beschleunigten Aufweichung der Naturschutzgesetze die demokratische Debatte ein und bedrohe die Zukunft des Umweltschutzes in Europa.
„Wölfe sind lebenswichtig für gesunde Ökosysteme, aber die heutige Abstimmung behandelt sie als politisches Problem und nicht als ökologische Bereicherung“, ergänzte Ilaria Di Silvestre, Direktorin für Politik und Advocacy für Europa beim International Fund for Animal Welfare (IFAW). Es gebe keine Daten, die ein niedrigeres Schutzniveau rechtfertigten, aber die EU-Institutionen hätten beschlossen, die Wissenschaft zu ignorieren. Ähnlich argumentierte das Europäische Umweltbüro (EEB).
Der Vorsitzende des Landesbundes für Vogelschutz (LBV) Norbert Schäffer warnte, dass die Herabstufung des Schutzstatus‘ des Wolfes „falsche Erwartungen“ wecke und den Umgang mit Wölfen erleichtere. „Wer behauptet, dass Wölfe durch diese Entscheidung einfacher abgeschossen werden dürfen, macht falsche Versprechungen. Besonders ärgerlich ist dieser symbolische Akt für Weidetierhaltende, denen damit der Eindruck vermittelt wird, dass sie bald keine Probleme mehr mit Wölfen haben werden“, so Schäffer. Es sei Fakt, dass es langfristig um ein Miteinander von Wolf und Weidetierhaltung geht, wozu gehöre, Landwirtinnen und Landwirte beim Herdenschutz zu unterstützen und sie fair zu entschädigen. Die Entnahme von „Problemwölfen“ sei auch ohne die Gesetzesänderung bereits möglich gewesen. Der LBV werde sich weiterhin mit aller Kraft gegen jegliche illegale Aktivitäten gegen den Wolf stemmen.
Der Deutsche Tierschutzbund nennt die Entscheidung zur Herabstufung des Wolfes ohne wissenschaftliche Fakten einen „besorgniserregenden Rückschritt ohne Sinn und Verstand“. Es sei eine „schockierender, schwarzer Tag für den Arten- und Naturschutz in Europa“. Sämtliche Studien zeigten, dass eine Reduzierung des Wolfsbestandes allein nicht zu einer Verringerung von Rissen an Weidetieren führe. „Dass populistische Narrative, Lobbyinteressen und politisches Kalkül die Faktenlage nun derart aushebeln konnten, ist äußerst besorgniserregend“, kritisierte der Leiter des Fachreferats für Wildtiere, James Brückner. Inmitten der globalen Biodiversitätskrise sollte sich die EU dringender denn je durch Besonnenheit und Sachverstand leiten lassen. Nun stünden jahrzehntelang mühsam erarbeitete Erfolge für den Naturschutz auf dem Spiel und es sei zu befürchten, dass weitere Arten von dem rückwärtsgewandten Kurs bedroht seien. Die Organisation forderte die EU-Mitgliedstaaten und die Bundesregierung auf, sich trotz der Änderung in der Richtlinie auf die langfristige Koexistenz von Weidetieren, Wolf und Mensch im Sinne des Tier- und Artenschutzes zu konzentrieren. [jg]
EU-Parlament: Wölfe: EU-Parlament stimmt für Änderung des Schutzstatus
Eurogroup for animals et al.: Wolves betrayed: European Parliament bows to politics over science
LBV: Herabstufung weckt falsche Erwartungen
Deutscher Tierschutzbund: EU-Parlament senkt Schutzstatus des Wolfes