Schwarzer Tag für EU-Waldpolitik: EUDR verschoben, Waldmonitoring abgelehnt

Erneut soll der Start der Anti-Entwaldungsverordnung zum Schutz von Wäldern (EUDR) verschoben werden. Seit dem 23. September heißt es: Umwelt und Menschenrechte müssen sich gedulden, bis voraussichtlich Ende 2026. Am gleichen Tag stimmten Umwelt- und Agrarausschuss gegen den ohnehin schon schwachen Kompromisstext zur Waldüberwachung.
Des Teufels liebstes Möbelstück war schon immer die lange Bank. Aus welchem Holz diese geschnitzt ist, ist unklar. Klar aber ist laut einer Erklärung und einem Brief der EU-Umweltkommissarin Jessika Roswall, dass die EU-Kommission die Umsetzung der EU-Verordnung über entwaldungsfreie Produkte (EUDR) verschieben möchte. Zum zweiten Mal (EU-News 14.11.2024) soll das Inkrafttreten des Gesetzeswerkes wohl um ein Jahr verschoben werden. Begründung: Probleme mit dem IT-System und das Ziel, Unternehmen den Einstieg zu erleichtern. Wie genau die nächsten Schritte aussehen, ist unklar – jedenfalls soll das Ganze mit den gesetzgebenden Institutionen Rat und Parlament „diskutiert werden“, so Roswall. Ob es bei dem einen Jahr Verzögerung bleibt und ob weitere Änderungen stattfinden sollen, dazu schwieg sich Roswall aus.
Die umweltpolitische Sprecherin der SPD-Europaabgeordneten und Verhandlungsführerin der sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament zur EUDR, Delara Burkhardt, vermutet einen Zusammenhang mit dem Handelsdeal mit den USA – denn darin sei die EU-Entwaldungsverordnung ausdrücklich als „Hindernis“ angesprochen worden. Die EU-Kommission knicke vor Lobbyinteressen ein, kritisierte die Abgeordnete, „jetzt noch einmal nachzugeben, dient einzig den Interessen einer aggressiven Forstlobby“. Dies sei „unseriöse Politik“. Man könne ein Gesetz nicht zweimal verschieben, während Tausende Unternehmen längst bereitstünden, es umzusetzen, so Burkhardt.
Das Gesetz soll den globalen Fußabdruck der EU in Bezug auf die Entwaldung verringern, indem es eine Reihe von Rohstoffen wie Rindfleisch, Kakao, Kaffee, Palmöl, Kautschuk, Soja und Holz reguliert, die innerhalb und außerhalb Europas maßgeblich zur Entwaldung, Waldschädigung und Menschenrechtsverletzungen beitragen. Produkte, die aus diesen Rohstoffen hergestellt werden, würden vom EU-Markt ausgeschlossen, es sei denn, sie sind „entwaldungsfrei“ und legal.
WWF: „Der Hund hat die Hausaufgaben gefressen“ – Kommission verliert Gesicht
Das WWF Europabüro bezeichnete den Vorschlag zur Verschiebung der EUDR als „überraschend und peinlich“. Nach mehr als zwei Jahren Vorbereitungszeit seien „IT-Probleme“ wie eine Ausrede in der Schule zu werten – und außerdem hätten zahlreiche Unternehmen schon investiert. Es sei „wahrscheinlich kein Zufall“, dass dieser Schritt zeitgleich zur „beispiellosen Deregulierungsagenda“ erfolge. „Das ist inakzeptabel und eine massive Blamage für Präsidentin von der Leyen und ihre Kommission. Wenn dieses technische Problem tatsächlich besteht, zeigt dies nicht nur Inkompetenz, sondern auch einen klaren Mangel an politischem Willen, ausreichend in eine zeitnahe Umsetzung der EUDR zu investieren“, sagte WWF-Waldexpertin Anke Schulmeister-Oldenhove. Zumal der Vorschlag zwei Wochen, nachdem fast 200.000 Menschen die Kommission aufgefordert hatten, die EU-Naturschutzgesetze einschließlich der EUDR streng beizubehalten, erfolgte.
DUH: „Fatales Signal“ für Natur und Unternehmen
Auch die Deutsche Umwelthilfe (DUH) nannte den Vorstoß einen „herben Rückschlag für internationalen Waldschutz“ und kritisierte die geplante Verschiebung der EU-Entwaldungsverordnung. „Jedes weitere Jahr ohne eine wirksame Regelung gegen die dramatische globale Entwaldung bedeutet, dass Millionen Hektar wertvoller Wälder für unseren Konsum zerstört werden dürfen“, sagte DUH-Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner. Die Verschiebung der Verordnung wäre nicht nur ein fatales Signal für den Naturschutz, sondern auch für die Unternehmen, die hohe Investitionen in entwaldungsfreie Lieferketten getätigt haben und zu Recht verlässliche Planungssicherheit erwarten. Erfolgreiche Testläufe – etwa bei der Rückverfolgung von brasilianischem Rindfleisch, Leder und Soja – zeigten, dass die Umsetzung der Verordnung technisch machbar ist. Die DUH forderte das EU-Parlament und den Ministerrat auf, den Zeitplan umgehend zu korrigieren und einer Verschiebung nicht zuzustimmen. Die Verordnung gegen Entwaldung müsse zum 30. Dezember 2025 in Kraft treten.
Kahlschlag beim Waldüberwachungsgesetz – Fachausschüsse lehnen Kompromiss ab
Mit 80 Ja-Stimmen und 46 Nein-Stimmen wurde am 23. September außerdem ein Änderungsantrag der Europäischen Volkspartei (EVP) zur Ablehnung des Kompromisstextes zum Waldüberwachungsgesetz (Forest Monitoring Law - FML) angenommen. Die „Ära Timmermans“ – als Vize-Exekutivpräsident bis 2024 für den Green Deal zuständig – sei damit vorbei, freute sich Stefan Köhler, Schattenberichterstatter der EVP im Landwirtschaftsausschuss, in einer Stellungnahme nach der Abstimmung. Dabei ging es gar nicht um politische Gegner, sondern ein vom Parlament bereits mühevoll ausgehandeltes „absolutes Minimum“, so die Umweltorganisation Forest Defenders. Aus Sicht der Organisation hätten die Abgeordneten sicherstellen müssen, dass es zu keinen Rückschritten kommt, da der Kompromiss immerhin noch eine Überwachung der Wälder vorsah. Ursprünglich war das Gesetz mal als Waldgesundheitsgesetz vorgesehen gewesen, hatte aber von Verhandlung zu Verhandlung weniger inhaltliche Reichweite. Fazit der Forest Defenders: „Die EVP setzt die europäische Forstpolitik in Brand“.
Ein vorher von einem breiten Bündnis getragenes Briefing zum Stand der Verhandlungen zum FML [Procedure File: 2023/0413(COD)] zeigt Ursachen für die drastische Abschwächung und die „erheblichen Versäumnisse“ durch die EU-Institutionen auf. Das Bündnis hatte die Abgeordneten im EU-Parlament nachdrücklich aufgefordert, das FML im Trilog nach wissenschaftlichen Kriterien deutlich zu verbessern. Stattdessen haben die Fachausschüsse den Text nun gänzlich abgelehnt und die Kommission aufgefordert, den Vorschlag zurückzuziehen.
Angesichts des schlechten Zustands der europäischen Wälder, der verheerenden Waldbrände, der voranschreitenden Klimakatastrophe, des Artensterbens und weiterer Dauerstressfaktoren wären andere Signale dringend vonnöten. [jg]
WWF: "The dog ate my homework”: Commission loses face over EUDR IT mess-up
Kurz & knapp zur Waldpolitik
Die Waldschutzorganisation FERN kritisiert die Attacken auf EUDR und auch die Wiederherstellungsverordnung (Nature Restauration Law – NRL), die ebenfalls Maßnahmen für Wälder enthält.
- Schutz der letzten Urwälder in Rumänien: Die rumänische NGO Agent Green und der Bruno Manser Fonds hat in einem Schreiben an die EU-Kommission auf die „unerbittliche, oft illegale Abholzung“ aufmerksam gemacht. Angesichts der ständigen Bedrohung und des Fehlens angemessener Schutzmaßnahmen müsse Rumänien als ein Land mit „erheblichem – nicht zu vernachlässigendem – Risiko illegaler Holzabholzung” betrachtet werden, und die EUDR müsse „konsequent, vollständig und zeitnah” umgesetzt werden. In Romania, the EUDR is urgently needed to prevent illegal wood harvesting and forest degradation - Fern
- Freihandelsabkommen EU – Indonesien/CEPA: Das ebenfalls am 23. September unterzeichnete Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (CEPA) ist aus Sicht von FERN „ein Gewinn für transnationale Unternehmen auf Kosten der Wälder und gefährdeter Bevölkerungsgruppen“. Soziale und ökologische Ungerechtigkeiten würden damit weiter aufrechterhalten. Die Verschiebung der Anti-Entwaldungsverordnung EUDR sei auch aus dieser Sicht keine gute Idee. Die EU ist der drittgrößte Importeur von indonesischem Palmöl weltweit, das hauptsächlich für Biokraftstoffe, zum Kochen und für Kosmetika verwendet wird. Die EU möchte auch Zugang zu Indonesiens Nickel und anderen wertvollen Rohstoffen erhalten. Der Schutz der Wälder rangiert dabei eher unter ferner liefen. EU-Indonesia trade agreement will perpetuate social and environmental injustice - Fern
- Vietnam, der Kaffee und die EUDR: Vietnam ist der zweitgrößte Kaffeeproduzent der Welt, auf den etwa 17 % der weltweiten Produktion entfallen und der über zwei Millionen ländlichen Haushalten den Lebensunterhalt sichert. Die EU ist einer der wichtigsten Exportmärkte Vietnams und nimmt über 40 % der gesamten Kaffeeexporte des Landes auf. Wie sichergestellt werden kann, dass vietnamesische Kleinbauernbetriebe für die EUDR bereit sind, hat Centre for Rural Development (SRD) für FERN untersucht. Fazit: Die EU sollte vietnamesische Behörden stärker unterstützen, Kontrollen zur Entwaldung durchzusetzen, die Transparenz der Landnutzung zu erhöhen und ein Rückverfolgbarkeitssystem zu entwickeln, das den Realitäten der Kleinbauern entspricht. Opportunities and obstacles: How to ensure Vietnamese smallholder coffee farmers are ready for the EUDR - Fern