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Transformation braucht Struktur und Geld
News | 01.12.2021
# sozial-ökologische Transformation #Politik und Gesellschaft

Transformation braucht Struktur und Geld

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c. Bund Naturschutz/Puder

1.12.2021 - Die Biodiversitätskrise ist teuer und die Erhaltung der Artenvielfalt kann nur gelingen, wenn genügend Finanzmittel zur Verfügung stehen. Aber weltweit fehlen etwa 700 Milliarden Euro. Um dafür Lösungsansätze zu entwickeln, hat das Forum Umwelt und Entwicklung im September die „Plattform Transformative Finanzpolitik“ ins Leben gerufen.

Egal was die Regierungen bei der zweiten Runde der Vertragsstaatenkonferenz zur Konvention über die Biologische Vielfalt ab April 2022 als Post-2020 Global Biodiversity Framework (GBF) verabschieden werden: Die Umsetzung der Ziele und Maßnahmen wird nur gelingen, wenn die Weltgemeinschaft, die einzelnen Ländern und Regionen dazu in der Lage sind, den erforderlichen Wandel zu organisieren. Der Schutz der biologischen Vielfalt hängt wesentlich davon ab, ob die direkten und indirekten Treiber des Biodiversitätsverlusts gebremst werden können, wie der Sachstandsbericht des International Panel on Biodiversity and Ecosystem Services von 2019 eindrücklich belegt. Nur wenn die ökonomischen, sozialen und politischen Ursachen für zunehmende Landdegradation, Klimawandel, Umweltverschmutzung, für den Raubbau an Ressourcen und die Zerstörung von Lebensräumen von der pazifischen Tiefsee bis zu den verbliebenen europäischen Urwäldern und Flusssystemen verringert werden können, wird der GBF realisierbar sein.

Zugleich klafft global eine gewaltige Finanzierungslücke von geschätzt 700 Milliarden Euro. Auch deshalb laufen die Verhandlungen bisher eher stockend. Umweltverbände fordern, den Beitrag der Bundesregierung zur internationalen Biodiversitätsfinanzierung von gegenwärtig 800 Millionen auf mindestens zwei Milliarden Euro pro Jahr zu erhöhen. Reiche Länder wie Deutschland haben mit ihrem enormen ökologischen Fußabdruck eine besondere globale Verantwortung und müssen andere Länder beim Schutz der Artenvielfalt unterstützen.

Es geht um mehr als nur Geld – Nachhaltige Finanzpolitik lautet die Zauberformel

Das allein wird aber nicht ausreichen. Es bedarf einer ganzen Reihe von Bausteinen, um die Verwirklichung des GBF sicherzustellen. Wichtig bleiben zum einen direkte Mittel, die beispielsweise in Form öffentlicher Entwicklungszusammenarbeit bereitgestellt werden. Zudem zahlreiche Mechanismen, die sich auf die Preise von umweltschädlichem Verhalten auswirken: Steuern, Abgaben und Emissionshandelssysteme. Diese sollen die sogenannten externen Kosten internalisieren, also verursachte Schäden einpreisen und knappe Güter (wie den noch verbleibenden CO2-Emissions-Spielraum) möglichst effizient verteilen. Problematisch bei allen Preisinstrumenten ist aber, dass sie grundsätzlich regressiv wirken, also ärmere Personen relativ stärker belasten als reichere. Das kann ausgeglichen werden, erfordert aber zusätzlichen Aufwand. Das gilt auch für ein Thema, das in den Koalitionsverhandlungen der Ampel-Parteien Aufmerksamkeit erfährt: das Einsparen umweltschädlicher Subventionen, in Deutschland rund 67 Milliarden Euro pro Jahr.

Private Investitionen müssen gleichermaßen auf den Prüfstand. Unter dem Stichwort „Sustainable Finance“ wird über Maßnahmen diskutiert, mit denen Mittel aus nicht nachhaltigen Sektoren abgezogen und dafür in ökologisch und sozial sinnvolle Bereiche gelenkt werden können. Auch dieser Ansatz ist prinzipiell richtig. Es ist besser, in regenerative Energien zu investieren als in ein Braunkohlekraftwerk. Gerade mit öffentlichen Mitteln unterstützte oder kofinanzierte Investitionen sollten hier Maßstäbe setzen; und dazu gehört mehr als die Klimawirksamkeit.

An diesen Beispielen wird offensichtlich, dass Effizienz in Sachen Umweltschutz nicht das alleinige Kriterium sein kann. Wer die Nachhaltigkeitsdimensionen nicht in Konflikt bringen möchte, muss über geeignete Ausgleichsmaßnahmen nachdenken. Das gilt umso mehr für die globale Ebene.

„Niemand käme auf den Gedanken, Elefanten zu schützen, indem man eine Elfenbeinsteuer einführt.“
Wolfgang Obenland

Dass es überhaupt Grenzen für die Lenkung über Preise und Märkte gibt, sollte dabei eine Selbstverständlichkeit sein. Aus gutem Grund wurde dem Ausdünnen der Ozonschicht nicht mit einer Steuer auf FCKWs entgegengewirkt, sondern mit einem Verbot. Niemand käme auf den Gedanken, Elefanten zu schützen, indem man eine Elfenbeinsteuer einführt.

Wer sich für globale Nachhaltigkeit einsetzt, sollte sich also mit strukturellen Fragen befassen. Nur wenn die öffentlichen Haushalte auch in den Ländern des Globalen Südens ausreichend ausgestattet sind, können sie ihre Beiträge leisten. Dazu muss der globale Steuerwettbewerb beendet und der „Steueroptimierung“ großer transnationaler Konzerne ein Riegel vorgeschoben werden. Wer etwas gegen Plastikverschmutzung unternehmen möchte, muss sich mit Handelspolitik beschäftigen, ebenso diejenigen, die sich um die Verwirklichung des Rechts auf Ernährung bemühen. Wer Wasserökosysteme schützen möchte, muss sich mit Termingeschäften an Finanzmärkten auseinandersetzen, die Nutzungsrechte anhand rein ökonomischer Größen verschieben.

Eine Herausforderung für zivilgesellschaftliche Organisationen

Viele Akteure der Zivilgesellschaft tun genau das, teilweise seit Jahrzehnten, gerade wenn es um den Klimaschutz geht. Lücken gibt es aber noch in der sektorübergreifenden Zusammenarbeit, auch zwischen Organisationen der Umwelt- und Entwicklungspolitik. Und es fehlt an Austauschformaten, in denen sich Spezialistinnen und Spezialisten mit Wissen über Themen unterstützen können, für die es in der eigenen Organisation keine eigenen Kapazitäten gibt.

Um dafür zumindest Lösungsansätze zu entwickeln, hat das Forum Umwelt & Entwicklung im September ein neues Projekt unter dem Label „Plattform Transformative Finanzpolitik“ gestartet. Diese Plattform soll es den beteiligten Aktiven und Organisationen ermöglichen, jenseits der eigenen Schwerpunkte und Anliegen zu den oben skizzierten Themen zusammenzuarbeiten. Diese soll auch Zugang zu Entscheidungsträger*innen schaffen, die bisher noch nicht von zivilgesellschaftlichen Organisationen angesprochen wurden, etwa Finanz- und Wirtschaftspolitiker*innen.

Ein weiteres Ziel ist, das Gewicht der deutschen Zivilgesellschaft in internationalen politischen Prozessen zu erhöhen, die sich mit den zentralen Fragen der kommenden Jahrzehnte befassen: vom Financing for Sustainable Development-Prozess bei den Vereinten Nationen bis zu Internationalem Währungsfonds und Weltbank, von der Welthandelsorganisation bis zu Zusammenhängen wie dem OECD/G20 Inclusive Framework on Base Erosion and Profit Shifting, bei dem es um die Bekämpfung der globalen Steuervermeidung und -hinterziehung geht.

Ob und wie das Projekt zu aktuellen Debatten und Weichenstellungen beitragen kann, hängt auch davon ab, ob es genug Interesse in der Zivilgesellschaft finden wird. Mehr Informationen gibt es beim Forum Umwelt und Entwicklung und in Kürze hier.

[Wolfgang Obenland, Forum Umwelt und Entwicklung]

Der Text ist eine gekürzte Fassung eines Artikels, der im Dezember in der Ausgabe 3/21 des Rundbriefs vom Forum Umwelt und Entwicklung erscheint.

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