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Fossile Schlupflöcher, soziale Leerstellen: Kritik am neuen EU-Beihilferahmen CISAF
EU-News | 08.07.2025
# sozial-ökologische Transformation #Klima und Energie #Wirtschaft

Fossile Schlupflöcher, soziale Leerstellen: Kritik am neuen EU-Beihilferahmen CISAF

Industrielandschaft mit starker Emissionsbelastung
© Foto: AdobeStock/kbarzycki
Industrielandschaft mit starker Emissionsbelastung

Mit einem neuen EU-Beihilferahmen will die Europäische Kommission die Transformation der Industrie beschleunigen. Umweltorganisationen begrüßen die Grundidee, sehen aber massive Schlupflöcher für fossile Technologien – und fordern klare Regeln für eine sozial gerechte und ökologisch wirksame Industriepolitik.

Am 25. Juni hat die Europäische Kommission im Zuge ihres Deals für eine saubere Industrie einen neuen Beihilferahmen beschlossen. Mit dem Clean Industry State Aid Framework (CISAF) schafft sie erstmals einen dauerhaften Beihilferahmen zur Unterstützung der industriellen Dekarbonisierung. Anders als der vorherige, zeitlich befristete Krisen- und Transformationsrahmen (TCTF) ist CISAF bis Ende 2030 angelegt und damit strukturell Teil der europäischen Klima- und Industriepolitik. Ziel ist es, Investitionen in saubere Technologien langfristig zu ermöglichen – nicht nur als Reaktion auf Energiekrisen oder geopolitische Herausforderungen, sondern als aktiver Beitrag zur Umsetzung der EU-Klimaziele.

Der Beihilferahmen soll es den Mitgliedstaaten erleichtern, klimafreundliche Investitionen in der Industrie zu unterstützen.

Zu den förderfähigen Bereichen zählen:

  • Ausbau sauberer Energie (inkl. Erneuerbare, CO₂-arme Kraftstoffe, Netzinfrastruktur)
  • Strompreisentlastung für energieintensive Unternehmen (zeitlich befristet, bis zu 50 Prozent Entlastung für 50 Prozent des Verbrauchs)
  • Dekarbonisierung der Industrie (inkl. Elektrifizierung, Wasserstoff, Kohlenstoffspeichertechnik CCS – letztere mit Einschränkungen)
  • Aufbau von Produktionskapazitäten für Clean Tech (zum  Beispiel Solarmodule, Batterien, Wärmepumpen)
  • Beteiligung an Unternehmen, Risikoabsicherung für private Investitionen, steuerliche Anreize (zum Beispiel Sonderabschreibungen)

Neu gegenüber dem Krisen- und Transformationsrahmen:

  • Stärkere Einbindung sozialer und steuerlicher Konditionen (aber nicht verpflichtend)
  • Möglichkeit der Strompreisstütze (Industriestrompreis) erstmals klar geregelt
  • Öffnung für fossile Übergangstechnologien (Gas, blauer H₂, CCS) unter Bedingungen (zum Beispiel Ausstiegsplan bis 2040)
  • Beihilfen für CO₂-arme Kraftstoffe (nicht nur grüner Wasserstoff)
  • Explizite Förderung von Netzen, Speichern und Flexibilitätsoptionen
  • Klarere Schnittstelle zum Net-Zero Industry Act

Neu ist auch die Vielfalt an möglichen Förderinstrumenten. Neben klassischen Investitionsbeihilfen können Mitgliedstaaten künftig auch laufende Betriebskosten unterstützen – etwa durch Zuschüsse zu grüner Energie oder zu emissionsarmen Produktionsprozessen. Möglich sind zudem „technologieoffene“ Ausschreibungen oder sogenannte Contracts for Difference (CfDs), die Investitionen planbarer machen sollen. Besonders umstritten ist die Zulassung outputbasierter Förderungen – also Beihilfen pro produzierter Einheit eines Produkts. Diese sollen die „Bankfähigkeit“ (Attraktivität für Investitionen, Kreditwürdigkeit) neuer Projekte erhöhen, werden aber auch als potenziell marktverzerrend kritisiert.

CISAF ist auch als industriepolitisches Gegengewicht zum US Inflation Reduction Act gedacht. Ein zentrales Element des neuen Rahmens ist deshalb die sogenannte „Matching Aid“. Sie erlaubt es Mitgliedstaaten, Unternehmen in der EU dieselben Förderbedingungen anzubieten, wie sie andernfalls etwa in den USA oder Asien erhalten würden – vorausgesetzt, es besteht eine glaubhafte Standortkonkurrenz. 

„Subventionen dürfen nicht als Ersatz für schwache Regulierung dienen“

Christina Stoldt, Referentin für deutsche und europäische Industriepolitik beim Deutschen Naturschutzring (DNR), begrüßt den Beihilferahmen grundsätzlich: „Für eine zukunftsfähige Industrie müssen Investitionen in erneuerbare Energien, Elektrifizierungstechnologien und Energieeffizienz gezielt angereizt werden." Mit dem CISAF schaffe die Europäische Kommission eine wichtige Grundlage dafür, wie staatliche Beihilfen diesen Transformationsprozess unterstützen können. Gleichzeitig sieht Stoldt auch Risiken: „Die mögliche Förderung fossiler Energieträger wie Erdgas oder blauer Wasserstoff droht fossile Abhängigkeiten zu verfestigen – und damit den klimapolitischen Fortschritt auszubremsen.“ 

Immerhin: Die Erwähnung eines Gasausstiegsziels für 2040 sei zwar ein Schritt nach vorn, müsse aber „durch die Mitgliedstaaten mit glaubwürdigen Maßnahmen durchgesetzt werden“, urteilt CAN Europe. Die Umweltorganisation äußert sich weiter differenziert: „Insgesamt ist es eine positive Entwicklung, dass an die Strompreisentlastung für energieintensive Unternehmen starke Klima- und Umweltauflagen geknüpft wurden, wie etwa die Pflicht, mindestens die Hälfte der Hilfen in die Dekarbonisierung der Anlagen zu investieren“, heißt es in einer Stellungnahme. Dies eröffne den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, „die milliardenschwere Unterstützung für die Industrie an echte Klimaschutzmaßnahmen zu binden“. 

Gleichzeitig kritisiert das Europäische Umweltbüro (EEB), dass Strompreisbeihilfen nicht an den Bezug von grünem Strom gekoppelt sind – Unternehmen könnten auch dann profitieren, wenn sie weiterhin fossile Energiequellen nutzen. Deshalb fordert das EEB Nachbesserungen. Der neue Rahmen unterstütze zwar grundsätzlich grüne Investitionen, „aber er lässt weiterhin Schlupflöcher zu, durch die EU-Regierungen fossiles Gas und teure, unausgereifte Technologien wie CCS finanzieren können“, kritisiert Riccardo Nigro, Senior Policy Officer beim EEB. Subventionen dürften nicht als Ersatz für effektive Regulierung dienen: „Öffentliche Gelder dürfen nicht zu einem Rettungsanker für wohlhabende Verschmutzer werden – im Namen einer vermeintlichen grünen Transformation.“

NGOs fordern klare Ausschlusskriterien und soziale Konditionen

Sieben deutsche Umweltverbände – darunter BUND, DUH, WWF, Germanwatch, NABU und das Umweltinstitut München – haben unter dem Dach des DNR ein gemeinsames Forderungspapier vorgelegt. Darin machen sie deutlich: Nur eine Industriepolitik, die Dekarbonisierung und Ressourcenschonung konsequent in den Mittelpunkt stellt, könne Europas Wohlstand, Freiheit und Sicherheit langfristig sichern. Neben einem vollständigen Ausschluss fossiler Übergangstechnologien fordern sie verbindliche ökologische und soziale Kriterien für jede Beihilfe, einen klaren Vorrang für emissionsarme Technologien, Transparenz bei der Mittelvergabe sowie gemeinsame EU-Finanzierungsinstrumente zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen.

Im Fokus stehen dabei auch zirkuläre Strategien: Der Clean Industrial Deal müsse die Vermeidung, Reduzierung und Wiederverwendung von Ressourcen aktiv fördern, Produktdesigns nachhaltig gestalten und die Kreislaufwirtschaft auch finanziell absichern.

Wie wirksam CISAF am Ende sein wird, hängt nun maßgeblich davon ab, ob die Mitgliedstaaten die Fördermittel gezielt für Zukunftstechnologien einsetzen – oder ob sie auf Kosten der Klimaziele erneut fossile Strukturen zementieren. [ks]

CAN Europe: State aid can be the key driver for industrial decarbonisation

DNR-Forderungspapier: Clean Industrial Deal – Von der Vision zur Umsetzung

EEB: Subsidies can’t fix weak regulation

EU-Kommission: Pressemitteilung zum CISAF

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