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75 Jahre DNR - Von der Gründung bis ins 21. Jahrhundert
News | 23.07.2025
#Gemeinnützigkeit #Politik und Gesellschaft

75 Jahre DNR - Von der Gründung bis ins 21. Jahrhundert

Blick auf ein Feld mit Klatschmohn
© Pexels / gu bra

Über sieben Jahrzehnte hat der Umweltdachverband Deutscher Naturschutzring einen Platz in der deutschen Geschichte eingenommen, Umwelt- und Naturschutz betrieben und Politik mitgestaltet. Als wachsende zivilgesellschaftliche Organisation galt es aber auch immer wieder, sich flexibel an ändernde Bedingungen und Prioritäten anzupassen.

Eine umwelthistorische Betrachtung von Dr. Jürgen Rosebrock, Stiftung Naturschutzgeschichte

1950 hoben Vertreter*innen von circa 20 Vereinen den Deutschen Naturschutzring aus der Taufe. Die Initiative war von der staatlichen Naturschutzverwaltung ausgegangen, die sich durch die starke Stimme eines Dachverbandes einen zivilgesellschaftlichen Rückhalt verschaffen wollte. Ein breites Bündnis aus klassischen Naturschutz-, aber auch Jagd-, Wander-, Fischerei- und Natursport-Vereinen sollte dem Naturschutz angesichts der nicht zu übersehenden Kehrseiten des Wirtschaftswunders bundesweit mehr Nachdruck verleihen.

Die Ära Krieg 1950-1964

Unter dem ersten Präsidenten, dem Zoologen Hans Krieg, verzichtete der DNR auf eine eigene Infrastruktur und wurde nur auf Bitten von Mitgliedsverbänden selbst aktiv. Dennoch engagierte sich der DNR in dieser Zeit beachtlich und schaltete sich in etliche Naturschutzkonflikte ein.
Der DNR verfolgte damals die traditionellen Wege des Naturschutzlobbyings, vor allem initiierte er Resolutionen, Protestschreiben oder Eingaben. Über Verhandlungen mit Behörden versuchte man, hinter den Kulissen Einfluss zu nehmen. Konfrontation entsprach nicht dem politischen Stil der damals mehrheitlich konservativ-traditionellen Naturschutzvereine.

Die Präsidentschaft Bernhard Grzimeks 1964-1968: professioneller und politischer

Mit Bernhard Grzimek stand seit 1964 der wohl bekannteste Naturschützer Westdeutschlands an der Spitze des DNR. Er stellte die Weichen für eine stärkere Profilierung. Man gab sich eine Satzung und ein Aktionsprogramm, erhob Mitgliedsbeiträge und professionalisierte die Geschäftsstelle. Die Politik nahm den DNR fortan deutlicher als Naturschutzlobby wahr. 1965 griff der Dachverband durch Wahlprüfsteine erstmals in den Bundestagswahlkampf ein.

Der DNR und die „umweltpolitische Wende“

1968 übernahm Wolfgang Engelhardt, seit 1950 ehrenamtlicher Geschäftsführer des DNR und unter Grzimek Vizepräsident, für 32 Jahre das Ruder. Er repräsentierte damals einen modernen, das heißt stärker naturwissenschaftlich fundierten Naturschutz. Die 1969 neugewählte sozialliberale Bundesregierung betrieb eine grundlegende Reformpolitik und kreierte ein neues Politikfeld: Umweltschutz. Umweltthemen bestimmten nun die öffentlichen Debatten. Daran hatte auch der DNR seinen Anteil. 1970 lag bei ihm die Federführung für das Europäische Naturschutzjahr, für das er ein umfangreiches Aktionsprogramm auf die Beine stellte. 1972 wurde ein Umweltnotruf eingerichtet, der Meldungen über Umweltschäden aus der Bevölkerung registrierte. 1973 verlegte der DNR seinen Sitz von München ins politische Machtzentrum nach Bonn. Zusehends nahm er die Rolle einer Schnittstelle zwischen nationalen und europäischen Instanzen ein: So übertrug die Bundesregierung ihm 1976 die Aufgabe der Nationalen Verbindungsstelle zum Europarat, im gleichen Jahr koordinierte der Dachverband bundesweit die Aktivitäten der Feuchtgebietskampagne des Europarates.

Der DNR und die neue Umweltbewegung der 1970er- und 1980er-Jahre

Die neu entstandene Umweltbewegung der 1970er-Jahre, insbesondere die Anti-AKW-Bewegung, setzte stärker auf Konfrontation. Damit stieß sie auch im DNR auf Vorbehalte, zumal man dort die Atomenergie nicht per se ablehnte. Erst in den 1980er-Jahren drängten allmählich erste Verbände den DNR dazu, sich deutlicher in politische Kontroversen einzuschalten, zum Beispiel bei der Verkehrs- und Energiepolitik, aber auch hinsichtlich der ökologischen Folgen einer einseitigen Wachstumspolitik. Der 1986 vom DNR initiierte 1. Deutsche Umwelttag in Würzburg bot hierfür ein wichtiges Diskussionsforum. Auch gegenüber der Friedensbewegung öffnete man sich zu Beginn der 1980er-Jahre; denn: „Frieden mit der Natur“ sei nur zu erreichen, wenn Frieden unter den Menschen und den Staaten gewährleistet sei.

Deutschland, Europa und die Welt

Im Prozess der Wiedervereinigung organisierte der DNR umgehend deutsch-deutsche Umwelttreffen und setzte sich nachdrücklich für einen ökologisch gestützten „Aufbau Ost“ ein. Auch auf europäischer Ebene erweiterte man das Engagement und richtete 1991 in Bonn eine Europa-Koordinationsstelle ein, die enge Kontakte nach Brüssel knüpfte.

Im Vorfeld der UN-Konferenz von Rio 1992 schuf der DNR mit der Projektstelle „Umwelt und Entwicklung“ die Basis für eine intensive Beschäftigung mit den global diskutierten Zielen. Zur kritischen Begleitung des Rio-Nachfolgeprozesses gründete er gemeinsam mit entwicklungspolitisch engagierten Gruppen 1993 das „Forum Umwelt & Entwicklung“, das bis heute besteht und die Arbeit deutscher Nichtregierungsorganisationen an der Schnittstelle von Umwelt, Nachhaltigkeit sowie Entwicklung koordiniert.

Nur „Gemeinsam geht’s“

Schon im Grundsatzprogramm „Gemeinsam geht’s“ von 1987 hieß es, dass die Umwelt nur zu retten sei, „wenn alle gesellschaftlichen Kräfte mit Vorrang daran arbeiten“. Folglich suchte und fand der DNR Kooperationen mit anderen Akteur*innen. Mit den Tourismus- und Sportverbänden entwickelte er umwelt- und sozialverträgliche Leitbilder, in Gesprächen und Veranstaltungen mit den Gewerkschaften und Kirchen lotete er gemeinsame Interessen und Potenziale aus.

Portrait von Dr. Jürgen Rosebrock
Die Herausforderungen strategischer, organisatorischer und inhaltlicher Art werden somit nicht weniger, die Vernetzungs- und Koordinierungsarbeit des DNR auf nationaler wie auf internationaler Ebene bleibt auch weiterhin ein unverzichtbarer Faktor auf dem Feld des Umwelt- und Naturschutzes.
Dr. Jürgen Rosebrock
Stiftung Naturschutzgeschichte

Der DNR im 21. Jahrhundert

Nach dem Leitbild des DNR von 2013 lassen sich zentrale Ziele – Erhaltung der biologischen Vielfalt, Ressourcen- und Klimaschutz sowie nachhaltige Entwicklung – nur durch eine grundlegende Transformation von Gesellschaft und Wirtschaft verwirklichen. Der DNR betont zu Recht, dass zur Bewältigung dieser Herausforderung der Zusammenschluss der Naturschutzakteur*innen in einem Dachverband und dem damit verbundenen koordinierten Auftreten von essenzieller Bedeutung ist. Gemeinsam mit anderen gesellschaftlichen Akteur*innen fordert er eine Abkehr von dem vorherrschenden ökonomischen Wachstumsmodell. Als Richtschnur gilt ihm die ökologische Gerechtigkeit, die Umweltschutz und Sozialpolitik zusammendenkt. Gebündelt wurden diese Bestrebungen in dem Projekt „Generationengerechtigkeit als ökologisch-soziale Herausforderung“ beziehungsweise ab 2015 „Lust auf Zukunft! Sozial-ökologische Gerechtigkeit und Transformation“. Die strategische Ausweitung der Perspektive brachte DNR-Präsident Kai Niebert 2016 so auf den Punkt: „Der Zustand der Umwelt entscheidet sich nicht im Umweltministerium, sondern auf unseren Äckern, in der Industrie und in der Sozialpolitik. Wir wollen Umweltpolitik zur Gesellschaftspolitik machen.“

Bereits 2014 hatte der DNR seinen Sitz nach Berlin verlegt, also an den Ort, an dem die Politik ‚gemacht‘ wird. Das Ziel einer sozial-ökologischen Transformation kann nach Einschätzung des DNR nur in einer offenen und demokratischen Gesellschaft erreicht werden. Daher beteiligte er sich 2016 angesichts zunehmender rechtspopulistischer Angriffe gegen die Demokratie und den Rechtsstaat gemeinsam mit Religionsvertretern*innen, Gewerkschaften, Arbeitgebern*innen sowie den Wohlfahrts-, Sport-, und Kulturverbänden an der Gründung der „Allianz für Weltoffenheit, Solidarität, Demokratie und Rechtsstaat – gegen Intoleranz, Menschenfeindlichkeit und Gewalt“.

Neben der Agrarpolitik, dem Ressourcenschutz und der Klimakrise sieht der DNR einen weiteren inhaltlichen Schwerpunkt in der Begleitung der Energiewende, insbesondere in der Vermeidung von Konflikten zwischen den Akteursgruppen des Ausbaus der Erneuerbaren Energien und dem Naturschutz. Daher beteiligte er sich maßgeblich an der Gründung des „Kompetenzzentrums Naturschutz und Energiewende“ (KNE), das 2016 in Berlin eröffnet wurde.

In den vergangenen Jahren sieht sich der DNR – wie die Umweltbewegung insgesamt – mit einer Entwicklung konfrontiert, die Viele als ein Rollback in der Umweltpolitik sowohl auf nationaler wie auch auf europäischer Ebene wahrnehmen. Dies reicht von Versuchen in der EU, unter dem Deckmantel der ‚Entbürokratisierung‘ bestehende Umweltstandards zurückzudrehen, über den Abbau von Beteiligungsrechten zivilgesellschaftlicher Akteur*innen bis hin zur Infragestellung der Gemeinnützigkeit von Organisationen. Die nachlassende politische Entschiedenheit im Kampf gegen den Klimawandel und das globale Artensterben, verschärft durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie und den Krieg gegen die Ukraine, scheint die angestrebte sozial-ökologische Transformation in noch weitere Ferne zu rücken.

Die Herausforderungen strategischer, organisatorischer und inhaltlicher Art werden somit nicht weniger, die Vernetzungs- und Koordinierungsarbeit des DNR auf nationaler wie auf internationaler Ebene bleibt auch weiterhin ein unverzichtbarer Faktor auf dem Feld des Umwelt- und Naturschutzes.

Über den Autor

Dr. Jürgen Rosebrock ist Historiker und Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Naturschutzgeschichte in Königswinter. 

Die Stiftung Naturschutzgeschichte dokumentiert und erforscht die Geschichte des Naturschutzes in Deutschland. Die Erkenntnisse aus ihrer historischen Arbeit bringt sie immer wieder auch in aktuelle Debatten ein. 

www.naturschutzgeschichte.de.

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