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Warum Geschwindigkeit nicht alles ist
News | 18.11.2025
# sozial-ökologische Transformation #Politik und Gesellschaft

Warum Geschwindigkeit nicht alles ist

Ein Stempel mit dem Aufdruck genehmigt
© AdobeStock/Coloures-Pic
Vor der Genehmigung eines Bauvorhabens wird geprüft, ob es für die Umwelt verträglich ist

Einfach bürokratische Strukturen abzubauen und Genehmigungen zu beschleunigen, ist weder für die Umwelt noch für Planer*innen hilfreich. Für zielführender hält Michael Zschiesche vom Unabhängigen Institut für Umweltfragen (UfU) es, eine Institution zu etablieren, die prüft, welche Umweltvorschriften entfallen können und welche unabdingbar sind. Ansonsten blieben Umwelt- und Beteiligungsstandards auf der Strecke.  

Das Muster, neu auftauchende massive gesellschaftliche Probleme wie Umweltschutz, Terrorismus, Datenschutz, Klimaschutz, Migration oder zuletzt die Verteidigungsfähigkeit anzugehen, war in den letzten 50 Jahren in der Bundesrepublik und in Europa stets folgendes: zuerst mehr Geld fordern und meistens auch bereitstellen, dann neue Gesetze und vor allem neue Behörden und administrative Institutionen schaffen. Alles immer zusätzlich zum Bestehenden und nicht selten mit fortan konträren Zielen zu vorhandenen Strukturen und dem jeweiligen Handeln. 

Viel Verwaltungspersonal erlässt viele Vorschriften 

Allein in der Legislatur zwischen 2017 und 2021 wurden etwa 30.000 neue Planstellen auf der Bundesebene geschaffen. Zwischen 2021 und 2024 immerhin nochmal etwa 9.000. Die Gesamtzahl von Bundesbediensteten wird vom Bundesrechnungshof je nach Betrachtungsweise derzeit zwischen 300.000 und 500.000 Mitarbeitenden beziffert. All die neuen und bereits beschäftigten, zumeist beamteten Mitarbeitenden versuchen dann, im Sinne ihres Auftrages bestmöglich darauf hinzuarbeiten, dass sich ihr Tun irgendwann auch in neuen oder veränderten Regelungen widerspiegelt. 

Denn Gesetze verstetigen Notwendigkeiten, schaffen Dauer. Und Gesetze werden nur in der Theorie im Bundestag erarbeitet. Die allermeisten Gesetze stammen aus den Ministerialbürokratien und den nachgeordneten Einrichtungen. Und die Zahl an Vorschriften bleibt seit Jahren konstant hoch. Um zu überwachen, dass die Zahl der Vorschriften nicht weiter steigt, wurde der nationale Normenkontrollrat eingerichtet. In seinem Bericht 2024 steht, dass der Bürokratieabbau in Deutschland erstmals seit 2019 Fortschritte erzielt hätte, aber das scheint nicht spürbar zu sein. Wie auch. Jedes der jemals im Bundestag verabschiedeten Gesetze hat ein Ziel verfolgt und hatte womöglich für sich genommen Sinn. Die Frage ist daher, ob das Ziel, das vormals mit dem Gesetz verfolgt wurde, nunmehr obsolet oder weniger wichtig ist. Haben wir das zugrundeliegende Problem gelöst oder ist es uns vielleicht weniger wichtig?

Michael Zschiesche
Bürokratieabbau, der nicht zuerst fragt, ob eine bestehende Regelung oder eine behördliche Struktur noch sinnvoll und notwendig sind, wird keine guten Lösungen finden.
Michael Zschiesche, Unabhängiges Institut für Umweltfragen
Geschäftsführer

Diese Frage würde man sich zwar im Privaten stellen, wenn man etwa zu viel arbeitet und nunmehr, um nicht krank zu werden, neu priorisiert und sich neu organisiert. Beim Verwaltungshandeln wird diese Anstrengung nicht oder nur ansatzweise vorgenommen. Bürokratieabbau, der nicht zuerst fragt, ob eine bestehende Regelung oder eine behördliche Struktur noch sinnvoll und notwendig sind, wird daher am eigentlichen Problem vorbeischrammen, wird Widerstand hervorrufen und keine guten Lösungen finden.

Das Thema Planungsbeschleunigung ist dafür ein praktischer Beleg. Seit 1990 werden Planungsverfahren in der Bundesrepublik gesetzlich beschleunigt, häufig, ohne zu schauen, ob das in der Praxis tatsächlich auch passiert und häufig auch als symbolischer Selbstzweck. Besonders intensiv tat sich die Ampel-Regierung in der 20. Legislatur hervor. Mehr als 25 Gesetze mit dem Ziel, die Planungsverfahren fortan schneller zu machen, wurden zwischen 2021 und 2024 erlassen. 

Zum Vergleich: Es gab seit 1990 nur wenige Legislaturperioden ohne Beschleunigungsgesetze und Initiativen der Deregulierung. Überraschenderweise waren die Koalitionen aus CDU/CSU und FDP zwischen 2009 und 2013 und die Rot-Grüne Bundesregierung zwischen 1998 und 2002 hierbei seltene Ausnahmen. Ansonsten hat nahezu jede Koalition gesetzlich beschleunigt. Inzwischen dürften es seit 1990 allein auf Bundesebene deutlich mehr als 50 Beschleunigungsgesetze sein. Aber warum ist der Ertrag dieser gesetzlichen Beschleunigungsinitiativen so offensichtlich niedrig geblieben? Beziehungsweise warum wird seit 1990 immer wieder so getan, als käme es für Zulassungsentscheidungen genau auf dieses eine Gesetz an? Ein aktuelles Beispiel ist das neue Investitionszukunftsgesetz, ein Artikelgesetz mit dem stolzen Umfang von 160 Seiten und der Änderung gleich mehrerer Gesetze.

Wer prüft die Relevanz von Umweltregeln? 

Gegen die Überprüfung von Regelungen und Instrumenten im Umweltschutz, gegen Vereinfachung und schnellere Verfahrensabläufe ist an sich nichts zu sagen. Aber auch hier gilt, wer legt fest, was wirklich wichtig ist, was inhaltlich wegfallen kann und warum? Warum gibt es hierzu keine legitimierte Institution, die dies tut und auch nachvollziehen lässt, warum sich etwas überlebt hat und warum nicht? Ist Umweltschutz nunmehr weniger wichtig als vor 30 Jahren? Geht es nur noch um die Geschwindigkeit von Entscheidungen? Provokant könnte man fragen, geht es gar nicht mehr um Inhalte, sondern nur noch um die Verpackung, um die Form?

Strategische Umweltprüfung soll Umweltverträglichkeitsprüfung ersetzen

Mit der EU-Notfallverordnung 2022 im Zuge des russischen Kriegs gegen die Ukraine und des drohenden Energieengpasses in Europa schuf die EU im Planungsrecht sogenannte Beschleunigungsgebiete als neues Planungsinstrument. Statt die Umweltauswirkungen von Infrastrukturvorhaben im Einzelfall mittels Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) festzustellen, soll es fortan genügen, die strategische Umweltprüfung (SUP) heranzuziehen, um die Umweltauswirkungen vor der Genehmigung zum Bau beispielswiese einer Industrieanlage zu beurteilen. 

Dabei gilt die SUP ursprünglich als Ergänzung der UVP. Durch die Umweltverträglichkeitsprüfung wird ermittelt, wie sich ein Projekt auf Menschen, Tiere, Pflanzen und die Umwelt auswirken kann. Im Gegensatz dazu setzt die Strategische Umweltprüfung (SUP) früher an. Während die UVP erst bei der Zulassung umweltrelevanter Vorhaben zum Einsatz kommt, wird die SUP bereits auf der Planungsebene durchgeführt. 

Was für die Politik nach einem cleveren Schachzug zu Vereinfachung und Entbürokratisierung aussieht, lässt die beteiligten Investoren, Behörden und die Öffentlichkeit eher ratlos zurück. Eine SUP kann nicht das leisten, was eine UVP kann. Das Risiko für nicht ermittelte Arten, für Verstöße gegen umweltrechtliche Bestimmungen trägt der Investor oder gegebenenfalls die Genehmigungsbehörde. Den Schaden haben wir am Ende alle. Wenn Planungsbeschleunigung nur bedeutet, die Prüfdichte zu verringern, statt sie beispielsweise mittels KI weiterhin hochzuhalten, will man nur eines: die Umweltstandards und auch die Beteiligungsstandards abzubauen. Das sollte man dann fairerweise auch sagen. Denn deutlich wird es ohnehin. 

Der Autor

Dr. Michael Zschiesche ist Geschäftsführer des Unabhängigen Instituts für Umweltfragen (UfU). Er leitet dort das  Fachgebiet Umweltrecht und Partizipation.

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