Die internationale Bioökonomie-Politik braucht eine Wende

Die EU-Kommission überarbeitet derzeit die EU-Bioökonomie-Strategie. Noch bis zum 23. Juni läuft eine entsprechende Konsultation. Ein Positionspapier der Zivilgesellschaft forderte anlässlich dessen mehr Umweltgerechtigkeit. Unsere Gastautor*innen meinen: Das Konzept der Bioökonomie steht vor fundamentalen Widersprüchen. Von Übernutzung, Ernährungsicherheit, Abkehr von Fossilen und mangelhafter Durchsetzung von verbindlichen Mindeststandards...
Von Ingrid Jacobsen, Josephine Koch und Stig Tanzmann
Die Auswirkungen der Erderwärmung auf das Weltklima werden immer offensichtlicher. Die Menschheit muss sich aus der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern befreien, denn deren Verbrennung ist die Hauptursache des Klimawandels, der wiederum massiv das Artensterben beschleunigt. Das gilt für die Energieversorgung genauso wie für den Ersatz von Plastik und anderen erdölbasierten Materialien. Unsere Ökonomie soll daher in großen Teilen auf „Bio“ umgestellt werden, das heißt, nachwachsende statt fossile Rohstoffe zu nutzen. Gleichzeitig soll durch die Bioökonomie die Hungerkrise entschärft und Ernährungssicherheit weltweit erreicht werden. Das hört sich gut an, und tatsächlich birgt die Bioökonomie im Kern große Potentiale.
Die Herausforderungen, vor denen das Konzept Bioökonomie steht, haben allerdings noch zugenommen, seitdem es vor 10 Jahren prominent auf dem Global Forum for Food and Agriculture (GFFA) verhandelt wurde. So ist das Ziel, bis 2030 eine Welt ohne Hunger zu erreichen, in weite Ferne gerückt. Nach Erfolgen in der Hungerbekämpfung steigt die Anzahl der hungernden Menschen seit 2016 wieder an. Betroffen sind global über 700 Millionen Menschen. Über zwei Milliarden sind nicht ausreichend mit Nahrungsmitteln versorgt.
In den für die Bioökonomie zentralen Bereichen wie Klima, Biodiversität und Achtung der planetaren Grenzen sieht es genauso verheerend aus. Das Jahr 2024 war weltweit das wärmste Jahr seit dem Beginn der Temperaturaufzeichnungen. Die Konsequenzen sind zunehmende Wasserknappheit, Dürren und Extremwetterereignisse, die ganze Regionen verwüsten. Artenschwund und der Biodiversitätsverlust nehmen ungekannte Ausmaße an. Zwei Millionen Pflanzen- und Tierarten sind vom Aussterben bedroht. Ein Wandel ist nicht in Sicht.
Problematische Auswirkungen des ungesteuerten Biomasseanbaus
Immer mehr Länder der EU und darüber hinaus haben eigene Bioökonomie-Strategien verabschiedet, um die Entwicklung einer Wirtschaft, die auf biologischen Ressourcen basiert, voranzutreiben. Die Umstellung unserer Ökonomien auf nachwachsende Ressourcen ist jedoch komplex. Biomasse spielt dabei eine zentrale Rolle. Sie wird zur Produktion von Biogas, Biodiesel oder Bioethanol als alternative Energiequellen genutzt. Sie soll zudem fossile Rohstoffe in der Herstellung von Biokunststoffen, Verpackungen und Baustoffen ersetzen und als Nahrungsmittel oder für die Erzeugung von Futtermitteln eingesetzt werden. Auch die chemische Industrie will Biomasse zur Herstellung von Grundchemikalien, Lösungsmitteln und Additiven verwenden. So müssten ungeheure Mengen an Biomasse produziert werden, um den deutschen Lebensstandard auf dem gegenwärtigen Niveau zu halten. Die lokalen Ökosysteme, aus denen diese Biomasse entnommen werden soll, sind jedoch schon heute dramatisch übernutzt. Der Klimawandel und notwendige Maßnahmen zum Biodiversitätserhalt schränken die Möglichkeit, Biomasse nachhaltig zu nutzen, zusätzlich stark ein.
Der bei der Erstellung der deutschen Biomassestrategie formulierte Anspruch, „Verlagerungseffekte“ in der Produktion von Biomasse in den Globalen Süden zu vermeiden, wurde aufgegeben. Heute werden viele Projekte zur Erzeugung von Biomasse in Ländern des Globalen Südens durchgeführt. Da sie fruchtbare Böden und viel Wasser benötigen und für den Export infrastrukturell gut angebunden sein müssen, liegen sie oft in den Kerngebieten der lokalen Nahrungsmittelproduktion, also an Flussufern oder in den ehemaligen Grüngürteln am Stadtrand großer Städte. Projekte zur Herstellung von Biomasse sind meist lukrativer als die lokale Nahrungsmittelproduktion und werden von Konzernen vorangetrieben. Daher gehen sie häufig mit der Vertreibung von Kleinproduzent*innen einher.
Langfristige Schäden und verdrängte Nahrungsmittelproduktion
Biomasse muss schnell wachsen, leicht zu ernten und zu verarbeiten sein. Deswegen wird sie sehr häufig durch schnell wachsende Pflanzen in Plantagenwirtschaft mit Hilfe von genmanipuliertem Saatgut und unter Einsatz von großen Dünger- und Pestizidmengen hergestellt, die verheerende Auswirkungen auf Biodiversität und Vielfalt der Nahrungsmittelproduktion haben. Fruchtbares Ackerland, welches zur industriellen Herstellung von Biomasse genutzt wird, ist aufgrund der Verseuchung des lokalen Grundwassers mit Pflanzengiften und der Auslaugung der Böden oft auf Jahre hinaus für die Nahrungsmittelproduktion unbrauchbar. So steht der bisher ungesteuerte Biomasseanbau auf unterschiedlichen Ebenen in starker Konkurrenz zu der Nahrungsmittelproduktion und der Existenz kleinbäuerlicher Betriebe, die insbesondere in den Ländern des Globalen Südens das Rückgrat der Versorgung mit Nahrungsmitteln bilden. Angesichts der steigenden Hungerzahlen ist die Nutzung von Ackerland zur Aufrechterhaltung der Konsummuster im Globalen Norden nicht hinnehmbar.
Leidtragende sind Menschen im Globalen Süden, einzige Profiteure oft Großkonzerne
Viele Projekte zur Herstellung von Biomasse für die bioökonomische Nutzung im Globalen Norden werden in fragilen oder autokratischen Staaten, die die Rechte der Zivilgesellschaft unterdrücken, durchgeführt. Beispiele sind die DR Kongo, Sierra Leone oder El Salvador. Projekte, die im Auftrag des Globalen Nordens durchgeführt werden, unterliegen zumindest auf dem Papier hohen menschenrechtlichen Standards, um die notwendigen Finanzierungen und Genehmigungen in bilateralen Verhandlungen zu bekommen. In fragilen Staaten fehlen jedoch meist die institutionellen Voraussetzungen, um diese Standards tatsächlich einhalten zu können. Es kommt immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen, sei es durch die Vertreibung von Kleinproduzent*innen von ihrem angestammten Ackerland, die Übernutzung bzw. Verschmutzung von Trinkwasserquellen, sklavenähnliche Abhängigkeitsverhältnisse oder unfreiwillige Umsiedlungen. Die betroffenen Menschen, oft bereits marginalisierte Gruppen, haben in der Regel keine Möglichkeiten, sich gegen diese existenzbedrohenden Projekte zu wehren.
Die mangelhafte Durchsetzung von verbindlichen Mindeststandards zur Sicherung von Menschenrechten und sozial-ökologischen Belangen beim Biomasseanbau sowie einem fairen Handel mit Biomasse führt dazu, dass vor allem große Agrarkonzerne und lokale Machteliten von der Bioökonomie-Politik profitieren. Sie verfügen über eine starke Lobbymacht oder Marktmonopole bei der Durchsetzung ihrer Interessen. Eine Macht, die den Konsument*innen und bäuerlichen Lebensmittelproduzent*innen fehlt.
Nicht nur die Länder des Globalen Nordens treiben die ausbeuterische Bioökonomie voran. Das verdeutlichen die 10 Prinzipien der brasilianischen G20-Bioökonomie-Initiative von 2024. Auch Brasilien, Indonesien und Argentinien unterstützen diese Initiative, die alte Probleme reproduziert und es verfehlt, Bezüge zu den Beschlüssen des UN-Welternährungsausschuss (CFS) insbesondere zu Land, Gender und Agrarökologie herzustellen.
Bioökonomie in die globale Governance-Struktur einbetten
Widersprüche innerhalb der Nutzung bioökonomischer Konzepte können nur aufgelöst werden, indem die von Hunger und Mangelernährung betroffenen Menschen an den Entscheidungen beteiligt werden, wenn es zur bioökonomischen Nutzung von Lebensmitteln oder Flächen kommt. Hier ist der UN-Welternährungsausschuss (CFS) das wegweisende Positivbeispiel. Die Bioökonomie braucht eine globale Governance-Struktur aufbauend auf dem CFS, damit die Betroffenen sich selbstorganisiert in die Entscheidungsprozesse einbringen können, in welcher Form und was bioökonomisch genutzt werden kann. Grundlegende Menschenrechtsprinzipien, wie das Prinzip von free, prior and informed consent (FPIC), das besonders in der UN-Erklärung über die Rechte indigener Völker verankert ist, sollten maßgebend sein. Es besagt, dass indigene oder lokale Gemeinschaften frei, vorab und informiert zustimmen müssen, bevor Projekte wie Rohstoffabbau, Infrastruktur oder Agrarinvestitionen auf ihrem Land oder mit Auswirkungen auf ihre Lebensweise durchgeführt werden. Auch ein “Right to No” gehört dazu.
Daneben sollte auch das UN World Food Programme (WFP) in die Entscheidungen über bioökonomische Nutzung von Lebensmitteln und Land einbezogen werden, denn es steht regelmäßig vor der Herausforderung, nicht auf genügend Lebensmittel für die Versorgung der notleidenden Menschen zugreifen zu können.
Herausforderungen zum Schutz von Biodiversität, Klima und Böden angehen
Angesichts der beschriebenen Herausforderungen, vor denen das Konzept der Bioökonomie steht, ist es von zentraler Bedeutung, die Club-Governance der G7, G20 oder den Zusammenschluss von Schwellenländern wie BRICS einzuschränken und multilaterale Rahmen auszubauen. Hinsichtlich der Verknüpfung des Rechts auf Nahrung mit Umwelt- und Klimathemen wurde hier bereits ein wichtiger Schritt gemacht: Im mehrjährigen Arbeitsprogramm des CFS konnte ein Arbeitsstrang etabliert werden, der nicht nur für eine bessere Koordinierung im Falle von Ernährungskrisen und zur allgemeinen Verwirklichung des Rechts auf Nahrung sorgt, sondern auch zu einem verstärkten Austausch zwischen CFS und den drei Rio Konventionen zu Biodiversität (CBD), Klima (UNFCCC) und Wüsten (UNCCD) führt. Um den multiplen Krisen adäquat zu begegnen, sind mehr Verknüpfungen dieser Art notwendig. Die Bioökonomie sollte einen multilateralen Rahmen in den UN-Institutionen erhalten, damit die genannten Ansätze zur Überwindung ihrer Widersprüche genau dort diskutiert und aufgelöst werden können wo betroffenen Menschen bzw. deren Vertreter*innen eine inklusive Beteiligung an Entscheidungsprozessen ermöglicht ist.
Nationale Bioökonomiestrategien anpassen
Daneben müssen auch die einzelnen Staaten ihre Bioökonomiepolitik ändern, damit die Bioökonomie keine Scheinlösung im grünen Gewand bleibt und einen relevanten Beitrag zum Klimaschutz leisten kann, ohne die Nahrungsmittelproduktion und die biologische Vielfalt zu gefährden. Dafür muss sich die neue Bundesregierung einsetzen. Reduktionsmaßnahmen für den enormen Ressourcenverbrauch und Biomassebedarf müssen konkret und verbindlich angegangen werden.
Ein Lichtblick ist die Abschlusserklärung des diesjährigen GFFA in Berlin, die von den Agrarminister*innen aus über 60 Staaten verabschiedet wurde. Sie hat starke Bezüge auf das Recht auf Nahrung und die Beschlüsse des CFS sowie Verbindungen zu Agrarökologie und Kreislaufwirtschaft. Auch die an die Agrarminister*innen des GFFA übergebene bäuerliche Protestnote zeigt, wie Bioökonomie anders gedacht werden kann.
(Dieser Artikel erschien zuerst bei Rural21 auf englisch)
Zu den Autorinnen und dem Autor
- Ingrid Jacobsen, Referentin für Ernährungssicherheit, Klima und Landwirtschaft, Brot für Welt
- Josephine Koch, Referentin für Rohstoff- und Ressourcenpolitik, Forum Umwelt und Entwicklung
- Stig Tanzmann, Referent für Landwirtschaft, Brot für die Welt