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EU-Parlament dereguliert Neue Gentechnik
EU-News | 15.02.2024
#Landwirtschaft und Gentechnik

EU-Parlament dereguliert Neue Gentechnik

Glasröhrchen mit grafischer DNA-Doppelhelix, im Hintergrund eine Wissenschaftlerin
© Adobe Stock / Dan Race
Prüfender Blick auf die Doppelhelix im Reagenzglas

Das Europäische Parlament hat dem Verordnungsvorschlag zur Deregulierung Neuer Gentechnik zugestimmt. Verbände reagierten entsetzt. Kleine Verbesserungen gab es bei Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit. Weiterhin keine Einigung bei den EU-Mitgliedstaaten.

Das Plenum des Europäischen Parlaments hat am 7. Februar in Straßburg seine Position zu neuen genomischen Techniken (NGT) festgelegt. Trotz vielfacher Kritik aus der Zivilgesellschaft stimmte die Mehrheit der Abgeordneten für eine tiefgreifende Deregulierung der Neuen Gentechnik. Bei der finalen Abstimmung votierten 307 Abgeordnete für die Vorlage, die von der konservativen Berichterstatterin Jessica Polfjärd (Schweden) vorbereitet und im federführenden Umweltausschuss am 24. Januar verabschiedet wurde. 263 der Abgeordneten stimmten dagegen und 41 enthielten sich.

Fraktionsübergreifende (Un)einigkeit

Das Abstimmungsverhalten bietet ein gemischtes Bild: Die Mehrheit der Befürworter*innen setzte sich aus Konservativen, Liberalen, Rechtspopulisten und Teilen der Sozialdemokraten zusammen. Weitestgehend geschlossen dagegen stimmten die Linken und Grünen. Aber auch manche Abgeordnete der Sozialdemokraten, Konservativen und Rechtspopulisten lehnten die Vorlage ab. Brisant ist auch: 91 Abgeordnete nahmen an der Abstimmung gar nicht teil.

Vor der Sitzung appellierten Umwelt-, Verbraucher,- und Landwirtschaftsverbände eindringlich an die Abgeordneten des EU-Parlaments, das europäische Vorsorgeprinzip sicherzustellen und die Deregulierung abzulehnen. NGT-Pflanzen „ungeprüft, ungekennzeichnet und unkontrollierbar in die Natur zu bringen, wäre unverantwortlich“, kommentierte DNR-Geschäftsführer Florian Schöne im Vorfeld der Abstimmung. Über Regelungen zur Patentierung würden Landwirtschaftsbetriebe zudem in die „Abhängigkeit von Agrarkonzernen“ getrieben, so Schöne weiter. Wahlfreiheit, Vorsorgeprinzip und Risikoprüfung müssten gewahrt und das Recht auf gentechnikfreie Lebensmittel abgesichert bleiben, forderten Umweltverbände von den EU-Abgeordneten. 

Warnungen der Zivilgesellschaft verhallen – kleine Lichtblicke bei Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit

Doch mit der Annahme des Verordnungsvorschlags wurde diesen Warnungen eine weitreichende Absage erteilt. Die verabschiedete Position sieht vor, zwei Kategorien von NGT-Pflanzen einzuführen. NGT-1-Pflanzen sollen als gleichwertig wie konventionelle Pflanzen angesehen werden. Sie sind somit von den Anforderungen der Gentechnik-Gesetzgebung ausgenommen und eine Risikoprüfung wäre nicht mehr vorgesehen. NGT-2-Pflanzen sollen weiterhin die vorgesehenen Auflagen für gentechnisch veränderte Organismen erfüllen müssen. Im ökologischen Landbau sollen NGT-Pflanzen allerdings ausgeschlossen bleiben. Wie eine Koexistenz mit einer gentechnikfreien Produktion gewährleistet werden soll, bleibt jedoch offen.     

Während der Sitzung des EU-Parlaments kam es zu zahlreichen Änderungsanträgen. Besonders relevant: Ein Antrag von Sozialdemokraten und Grünen für eine Kennzeichnungspflicht sämtlicher NGT-Pflanzen entlang der Wertschöpfungskette wurde mit knapper Mehrheit von 317 zu 302 Stimmen angenommen. Damit wurde eine zentrale Forderung von Umwelt- und Verbraucher*innen-Organisationen nach Wahlfreiheit aufgegriffen. Bislang sah der Verordnungsvorschlag lediglich die Kennzeichnung des Saatguts vor. Das Erkennen von Endprodukten und Lebensmitteln aus NGT-Pflanzen wäre somit unmöglich gewesen. Auch eine verpflichtende Rückverfolgbarkeit hat das Parlament mehrheitlich beschlossen. Zur Frage der Patentierung gab es einige Änderungsanträge. Kein Patentanspruch soll in Fällen bestehen, in denen sich patentierbare NGT-Pflanzen nicht von natürlichen Pflanzen unterscheiden lassen, wie der Informationsdienst-Gentechnik berichtet.

EU-Vorsorgeprinzip und weitreichende Folgen ignoriert

Trotz der kleinen Lichtblicke sprechen Landwirtschafts- und Umweltorganisationen sowie Bioverbände von einer katastrophalen Entscheidung. Die Vorstandsvorsitzende des Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) Tina Andres beklagte, dass die Beschlüsse sowohl das Vorsorgeprinzip als auch das Verursacherprinzip, zentrale Eckpfeiler des europäischen Umwelt- und Verbraucherschutzrechts, „mit Füßen trete“. Während die Gentechnik-Industrie hohe Gewinne zu erwarten hätte, würden die „Kosten für Maßnahmen zum Schutz der gentechnikfreien Produktion den Bio-Bauernhöfen und -Unternehmen aufgebürdet“, so Andres weiter. Für die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) ist klar: „Widerstand lohnt sich“. Annemarie Volling, Gentechnik-Expertin der AbL, betonte, dass vielen Abgeordneten „die Reichweite und die Folgen des Deregulierungsvorschlags der EU-Kommission für die landwirtschaftliche Praxis offensichtlich nicht klar“ sei.

Der Ball liegt nun bei den Mitgliedstaaten. Nachdem das EU-Parlament seine Position zur Neuen Gentechnik verabschiedet hat, sind die Agrarministerinnen- und Minister am Zug, bevor es in Trilog-Verhandlungen gehen kann. Bei einem Treffen der ständigen Vertreter der EU-Mitgliedstaaten am 7. Februar fand sich jedoch erneut keine qualifizierte Mehrheit für eine gemeinsame Position. Kommt es zwischen den Mitgliedstaaten bis Ende Februar zu keiner Einigung, ist nicht zu erwarten, dass die Trilog-Verhandlungen noch rechtzeitig vor der Europawahl abgeschlossen werden. In der Auseinandersetzung um die folgenschwere Deregulierung der Neuen Gentechnik sind die kommenden Wochen also entscheidend. [bp]

Pressemitteilung EU-Parlament

Pressemitteilung DNR

Pressemitteilung BÖLW

Pressemitteilung AbL

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