EU-Umweltausschuss dafür: Neue Gentechnik bald überall?
Eine konservativ-liberale Mehrheit im Umweltausschuss stimmt für die Deregulierung der Neuen Gentechnik. Vorsorgeprinzip, Risikoprüfung und Kennzeichnungspflicht bleiben auf der Strecke. Anfang Februar entscheidet das EU-Parlament.
Bei der Abstimmung am 24. Januar im Ausschuss für Umwelt und Gesundheit des EU-Parlaments hat sich eine Mehrheit der Abgeordneten für den Vorschlag zur Deregulierung der Neuen Gentechnik (Neue Genomische Techniken, NGT) ausgesprochen. Für die Empfehlung des Ausschusses stimmten 47 Abgeordnete: Alle MdEPs der Europäischen Volkspartei (EVP) und der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR), die Mehrheit der Liberalen (Renew) und der Rechtspopulisten (ID) sowie vier Abgeordnete der Sozialdemokraten (S&D). 31 der Abgeordneten stimmten gegen das Vorhaben: Alle Abgeordneten der Grünen (Grünen/EFA) und der Linken (GUE/NGL) sowie die Mehrheit der Sozialdemokraten und jeweils zwei Abgeordnete der Renew-Fraktion und der Fraktionslosen. Es gab zudem 4 Enthaltungen.
Kein Unterschied mehr
Die Mehrheit stimmte damit dem Vorschlag zu, zwei Kategorien für NGT-Pflanzen zu schaffen. Gentechnisch veränderte Organismen (GVO) der ersten Kategorie (NGT 1-Pflanzen) werden somit gleichwertig zu nicht-manipulierten Pflanzen angesehen und damit von den GVO-Vorschriften ausgenommen. Für Pflanzen der zweiten Kategorie (NGT 2-Pflanzen) sollen die Vorschriften gelten, aber angepasst werden. Im Gegensatz zum Vorschlag der EVP-Berichterstatterin Jessica Polfjärd haben sich die MdEPs dagegen ausgesprochen neue gentechnische Verfahren auch im Ökolandbau zuzulassen. Auch eine Kennzeichnung des Saatguts soll stattfinden. Allerdings soll es für NGT 1-Pflanzen keine verpflichtende Kennzeichnung für die Verbraucher*innen geben. Stattdessen fordern die Abgeordneten von der Kommission einen Bericht darüber, wie sich die Wahrnehmung der NGTs durch Verbraucher*innen und Erzeuger*innen innerhalb von sieben Jahren entwickelt: ein paradoxes Unterfangen, wenn die Nachverfolgbarkeit unmöglich und Kennzeichnung nicht vorgesehen ist.
Kritik: Patente? Risikoprüfung? Koexistenz? Kennzeichnung? Wahlfreiheit?
Martin Häusling, der zuständige Verhandlungsführer für die Grünen/EFA, wies zudem darauf hin, dass in der Position des Ausschusses die Patentfrage keinesfalls gelöst sei. Denn auch wenn sich in der Empfehlung gegen eine Patentierung ausgesprochen wird, liege eine „Änderung des Europäischen Patentabkommens […] außerhalb des Einflusses der EU.“ Für Häusling ist das Abstimmungsergebnis insgesamt eine „mittlere Katastrophe für Umwelt und Verbraucherschutz.“ Auch Pia Voelker, Gentechnik-Expertin beim Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), äußerte sich entsetzt. Mit dem Abstimmungsergebnis stünden Verbraucher*innen-Rechte, der Umweltschutz sowie eine gentechnikfreie Landwirtschaft „mehr denn je auf der Kippe.“ Es sei erschreckend, dass die Abgeordneten des Umweltausschusses der Kommission bei ihren Plänen zur Gentechnik-Deregulierung gefolgt seien und die MdEPs sogar „darüber hinausgehende Aufweichungen“ vorgeschlagen hätten. Bioland-Vizepräsidentin Sabine Kabath kritisiert, dass sich die Mehrheit der Abgeordneten gegen verpflichtende Risikoprüfung, Koexistenzregeln und Kennzeichnungspflicht ausgesprochen haben. Auch wenn Bioland begrüßt, dass sich die Ausschussmitglieder für ein Gentechnik-Verbot im Ökolandbau ausgesprochen haben, seien wesentliche Probleme, wie die Patentfrage und Koexistenzregeln, unbeantwortet geblieben. Sie fordert die Europaabgeordneten daher auf, die für Anfang Februar geplante Abstimmung im EU-Parlament zu verschieben.
Abstimmung im EU-Parlament Anfang Februar
Denn alle Blicke richten sich nun auf das Plenum des Europaparlaments, welches voraussichtlich am 7. Februar zur Deregulierung der Neuen Gentechnik abstimmt. Umwelt- Verbraucher*innen- und Landwirtschaftsorganisationen und die Biobranche lehnen den Vorschlag ab. Seit Monaten [DNR-Pressemitteilung vom 5.7.2023; EU-News vom 5.10.2023; EU-News vom 6.12.2023] fordern sie die europäischen Gesetzgeber mit Kampagnen, Petitionen und Briefen dazu auf, auch die Neue Gentechnik strikt zu regulieren und das Gentechnikrecht nicht aufzuweichen (Verbändepapier von 139 Organisationen). Im Vordergrund stehen dabei die Wahrung des europäischen Vorsorgeprinzips, des Rechts auf gentechnikfreie Erzeugung, sowie die Wahlfreiheit für Verbraucher*innen und Landwirtschaft. Auch immer mehr Unternehmen appellieren an die europäischen Institutionen. Zuletzt haben sich über 200 Unternehmen der Lebensmittelbranche in einem offenen Brief an EVP-Fraktionschef Manfred Weber (CSU) gewendet. Doch der erteilte dem Dialogwunsch der Unternehmen noch vor der Abstimmung im Umweltausschuss eine Absage. [bp]
Pressemitteilung EU-Umweltausschuss (ENVI)
Namentliches Abstimmungsergebnis