EU-Parlament verabschiedet Position zum Clean Industrial Deal

Das Europäische Parlament hat mit deutlicher Mehrheit seine Position zur industriepolitischen Strategie der EU-Kommission – dem Clean Industrial Deal – bekräftigt. Umweltverbände begrüßen die grundsätzliche Richtung, sehen aber soziale Lücken, riskante Technologieoffenheit und fehlende Beteiligung der Zivilgesellschaft kritisch.
Mit der Annahme einer Resolution zum Clean Industrial Deal (CID) hat das Europäische Parlament am 18. Juni seine Position zur industriellen Transformation Europas bekräftigt. Die Resolution wurde mit 381 Stimmen bei 173 Gegenstimmen und 13 Enthaltungen angenommen. Bereits am 3. Juni hatte der Industrieausschuss (ITRE) des Parlaments die Resolution mit breiter Mehrheit gebilligt. Die Resolution fordert die EU-Kommission auf, den strategischen Rahmen für eine klimaneutrale, widerstandsfähige und faire Industriepolitik nun rasch in konkrete Maßnahmen umzusetzen.
Die Resolution gilt als wichtiges Signal – nicht zuletzt, weil sie in einem zunehmend schwierigen politischen Umfeld zustande kam. Dass sich das Parlament mehrheitlich zur Notwendigkeit eines ökologischen Umbaus der Industrie bekennt, ist angesichts des wachsenden Drucks von rechts nicht selbstverständlich. Daher ist besonders positiv hervorzuheben, dass sich eine breite Mitte-Links-Koalition (S&D, Renew, EVP, Grüne) gegen die rückschrittlichen Forderungen der extremen Rechten durchgesetzt hat: Änderungsanträge der rechtskonservativen EKR-Fraktion, die auf eine Rückabwicklung zentraler Green-Deal-Instrumente zielten, wurden im Plenum abgelehnt.
„Elektrifizierung und Leitmärkte für saubere und zirkuläre Produkte ebnen den Weg für eine zukunftsfähige Industrie"
Umweltverbände begrüßen insbesondere, dass sich die Resolution klar zur industriellen Dekarbonisierung – auch energieintensiver Sektoren – bekennt und die Bedeutung einer gezielten europäischen Industriepolitik unterstreicht. Positiv hervorgehoben werden zudem der Vorschlag zur Gründung einer Bank für industrielle Dekarbonisierung, insbesondere mit Fokus auf Elektrifizierung, der ein wichtiges Finanzierungsinstrument darstellen kann - vorausgesetzt, es gelten ambitionierte Klimakriterien sowie die geplante Stärkung der Nachfrage nach sauberen Produkten – etwa durch Lead Markets, CO₂-Label und nachhaltige öffentliche Beschaffung. Die Resolution bekräftigt außerdem, dass der Grenzausgleich (CBAM) mit dem Auslaufen kostenloser Zertifikate im ETS einhergehen muss – eine klare Verbesserung gegenüber früheren Entwürfen.
Christina Stoldt, Referentin für deutsche und europäische Industriepolitik beim DNR, sieht deshalb in der Resolution ein wichtiges Signal des Europäischen Parlaments. Sie betont: „Eine gezielte Industriepolitik, die die Elektrifizierung vorantreibt und Leitmärkte für saubere und zirkuläre Produkte stärkt, ebnet den Weg für eine zukunftsfähige Industrie." Gleichzeitig sieht Stoldt Nachbesserungsbedarf: „An einigen Stellen bleibt die Resolution hinter den Erwartungen zurück – etwa bei sozialen Fragen oder einer klaren Priorisierung erneuerbarer Energien."
So wird in der Resolution zwar auf den Fachkräftemangel hingewiesen, doch Maßnahmen für einen gerechten Übergang („Just Transition") fehlen weitgehend. Änderungsanträge der Linken zur sozialen Absicherung fanden keine Mehrheit. Der europäische Gewerkschaftsbund (EGB), der den Clean Industrial Deal grundsätzlich als Chance zum Erhalt von Industriearbeitsplätzen begrüßt, warnte bereits im Februar: „Für arbeitende Menschen bleibt keine Zeit zu verlieren. Viele der Arbeitsplätze, die mit diesen Maßnahmen gerettet werden sollen, werden nicht mehr existieren, wenn wir zögern“, warnte der EGB eindringlich. Entsprechend dürften arbeitsplatzsichernde Maßnahmen nicht verzögert werden, sondern müssten umgehend mit starken sozialen Schutzbedingungen umgesetzt werden.
„Eine Rettungsleine für [...] verschmutzende Industrien, die nach öffentlichem Geld suchen“
Kritisiert wird insbesondere, dass klimapolitisch fragwürdige Technologien nicht klar ausgeschlossen werden. Atomkraft findet erneut Erwähnung – einschließlich der Unterstützung kleiner modularer Reaktoren (SMR) – und mit dem Verweis auf Technologieneutralität hält das Parlament Spielräume für teure und riskante Zwischenlösungen wie blauen Wasserstoff (aus Erdgas mit CO₂-Abscheidung) oder Carbon Capture & Storage (CCS) offen. So erhalten auch Übergangstechnologien politisches Gewicht, die nicht vollständig emissionsfrei sind und langfristig neue fossile Infrastruktur zementieren könnten. So warnt Greenpeace Europe, dass diese Offenheit nicht nur zulasten konsequenter Dekarbonisierung geht, sondern sogar Investitionen in neue fossile Gas-Infrastruktur ankurbeln könnte – „eine Rettungsleine für ins Straucheln geratene, verschmutzende Industrien, die nach öffentlichem Geld suchen“. Dem pflichtet auch Stoldt bei: „Unsere begrenzten finanziellen und materiellen Ressourcen sollten in die Technologien fließen, von denen wir heute schon wissen, dass sie schnell und wirksam zur Dekarbonisierung beitragen. Es braucht eine klare Priorisierung erneuerbarer Energien.“
Nicht minder relevant als die technologischen Fragen ist die demokratische Dimension: Teil der zukünftigen Industriestrategie sollen sogenannte sektorale Dialoge sein, in denen die industrielle Transformation diskutiert und verhandelt wird. WWF Europe zeigt sich alarmiert darüber, dass zivilgesellschaftliche Akteure nicht explizit erwähnt würden – ein Versäumnis, das Beteiligung und Transparenz untergrabe. Und ein Muster, das bereits beim Strategischen Dialog zur Zukunft des Stahlsektors zu beobachten war. Auch dort wurde die organisierte Zivilgesellschaft weitgehend ausgeschlossen, obwohl grundlegende Weichenstellungen für die industrielle Transformation diskutiert wurden.
Nicht bindend, aber richtungsweisend
Bereits im vergangenen Jahr hatte der DNR in einem eigenen Forderungspapier zur europäischen Industriestrategie zentrale Eckpunkte benannt. So sollten staatliche Beihilfen klar an ökologische und soziale Kriterien geknüpft sein, mit einem besonderen Fokus auf Energieeffizienz, Kreislaufwirtschaft und messbare Emissionsminderungen. Förderprogramme und öffentliche Investitionen müssen konsequent in klimafreundliche Produktion und Innovation gelenkt werden. Die Parlamentsposition ist politisch relevant, aber rechtlich nicht bindend. Jetzt ist die Kommission am Zug: Sie wird ein faires, wirksames und nachhaltiges Maßnahmenpaket erarbeiten müssen. Und sie täte gut daran, die vielen zivilgesellschaftlichen Impulse aufzugreifen. [ks]
Europäisches Parlament: Resolution zum Clean Industrial Deal
Europäisches Parlament - Pressemitteilung: Clean Industrial Deal: Integrate industrial competitiveness with climate action
DNR: Forderungspapier zur europäischen Industriestrategie (pdf)
WWF EU: „Civil society should not be left behind“ [LinkedIn-Statement]
ENDS Europe: Parliament sets ideas for EU’s clean growth plan (kostenpflichtig)