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Gerechte Transformation ohne Zukunftsbremse
News | 04.03.2024
# sozial-ökologische Transformation #Politik und Gesellschaft #Wirtschaft

Gerechte Transformation ohne Zukunftsbremse

Bremsscheibe blockiert den Lauf
© Unsplash/Benjamin Brunner
Bremsscheibe blockiert den Fortschritt.

Veränderung gibt es nicht zum Nulltarif. Wenn Deutschland und Europa das 2030-Klimaziel erreichen und damit einen ersten großen Schritt in Richtung sozial-ökologischen Wandel vollenden wollen, benötigen sie eine Menge Geld. Damit wir das hierzulande schaffen, müssen wir die selbst auferlegte Schuldenbremse abschaffen und öffentliche Gelder an Bedingungen knüpfen.

„Da die realwirtschaftlichen [Klima-]Investitionen im Jahr 2022 407 Milliarden Euro erreichen, verbleibt ein europäisches Klima-Investitionsdefizit von 406 Milliarden Euro pro Jahr.“ Das Zitat des im Februar veröffentlichten Berichts des ThinkTanks Institute for Climate Economics (I4CE) verweist in der aktuell teils hektisch geführten Debatte auf einen Aspekt, der häufig zu kurz kommt: Ja, es braucht jetzt umfassende Investitionen in die Transformation Richtung Klimaneutralität, aber diese nötigen Milliarden können nicht aus den öffentlichen Haushalten oder gar europäischen Fördertöpfen aufgebracht werden. Der Löwenanteil wurde und wird auch in Zukunft durch die Privatwirtschaft gestemmt werden müssen. Das Problem ist aktuell aber: Die Stimmung ist schlecht, die Aussichten nicht rosig, manche ruhen sich weiterhin auf einer vermeintlichen Vorreiterstellung der deutschen Wirtschaft aus und andere (vor allem die AfD) wollen die Transformation gleich ganz stoppen.

Lichtblicke in der Krise schaffen

In der aktuellen Krise dürfen wir das bereits Erreichte nicht vergessen, aber wir müssen die Zukunftstüren öffnen und Mut machen – für eine klimaneutrale und resiliente Wirtschaft und Gesellschaft. Stattdessen müht sich die Ampel-Regierung mit einem Sparhaushalt unter der Schuldenbremse im Klein-Klein ab. Dass die Schuldenbremse nicht zur Zukunftsbremse wird, darf nicht zur politischen Floskel verkommen. Sie wirkt konkret schon heute und für kommende Generationen: Wir dürfen ihnen keine Welt mit Dürren, Flut und Klimakriegen hinterlassen und auch keine maroden Schulen, Kitas, Brücken, Schiffswege, Netze und Spielplätze. Zudem fallen ohne echte Investitionsanreize für die Industrie zur Erneuerung der bereits heute maroden Infrastruktur Industriearbeitsplätze weg, und damit ausgerechnet eben solche, die größtenteils mitbestimmt und tarifgebunden sind. Kreditfinanzierte Investitionen in öffentliche Infrastruktur und in die Transformation von Industrie sind letztlich Investitionen in Klimaschutz und gleichzeitig in gesellschaftlichen Wohlstand.

Sophia Schönborn
Wir müssen die Zukunftstüren öffnen und Mut machen – für eine klimaneutrale und resiliente Wirtschaft und Gesellschaft. Wir dürfen (...) keine Welt mit Dürren, Flut und Klimakriegen hinterlassen und keine maroden Schulen, Kitas, Brücken, Schiffswege, Netze und Spielplätze.
Sophia Schönborn, IGBCE
Politische Sekretärin der Abteilung Politik und Internationales

Daher bedarf es nun mehr Zuversicht und vor allem den Zusammenschluss über Parteigrenzen hinweg. Die Demokrat*innen müssen sich unterhaken und so ein positives und echtes Zukunftssignal der reaktionären und Ängste schürenden AfD entgegensetzen: mit einem umfänglichen Sondervermögen oder der Abschaffung der Schuldenbremse. Vor allem der zweite Weg ist zu befürworten, denn dann stehen die Themen transparent und überprüfbar im Bundeshaushalt, statt sie umständlich auszulagern und letztlich doch wieder nur zu einer kleinen Lösung – etwa 100 Milliarden, statt des Mehrfachen davon – für einen kurzen Zeitraum zu kommen. Gleichzeitig liegen viele gute Ideen für eine bezahlbare Beschleunigung auf dem Tisch: Von mobilen Einsatzteams in der Verwaltung für schnellere Genehmigungsverfahren über einen Industriestrom- oder Erneuerbaren-Energien-Pool, der zentrale und dezentrale Ansätze der Energieversorgung zukunftssicher miteinander verknüpft, über Klimaschutzverträge bis zu gemeinsamen Einkaufsstrategien, beispielsweise bei Wasserstoff. Gleichzeitig passiert an vielen Stellen schon etwas: Zum Beispiel in den Kommunen, aber auch in der energieintensiven Industrie, wenn etwa Industrie, Netzbetreiber und Energieunternehmen das Upscaling beim Wasserstoff gemeinsam anpacken. So will die Initiative GetH2 den Kern für eine bundesweite Wasserstoffinfrastruktur etablieren und so die Umsetzung der Energiewende möglich machen oder die Firma Essity in Mainz das erste CO2-freie Papier unter anderem mithilfe von grünem Wasserstoff der örtlichen Stadtwerke herstellen. Wichtig bei beiden Beispielen: Der Löwenanteil kommt von den beteiligten Unternehmen, aber sie nutzen eben gleichzeitig auch öffentliche Gelder. Die lang geforderte Sektorkoppelung wird also auch mit staatlichen – hier mit europäischen Mitteln – angereizt.

Wandel ist nicht zu stoppen – mehr Mitbestimmung wäre gut

Ein weiterer Aspekt, der Vertrauen stärkt und Zuversicht bringen kann, aber viel zu oft unter den Tisch fällt: Die beteiligten Industrie- und Energieunternehmen sind größtenteils tarifgebunden und mitbestimmt. Weihnachtsgeld oder 39 statt 48 Stunden zu arbeiten, das ist keine Selbstverständlichkeit, sondern gibt es nur mit Tarifvertrag! Mit 51 Prozent arbeiten immer weniger Menschen in tarifgebundenen Jobs und hier müssen wir ansetzen, um die Transformation nicht nur bezahlbar, sondern auch gerecht zu gestalten. Öffentliche Gelder für die Transformation müssen an Bedingungen geknüpft werden (Konditionierung). Vor allem in der energieintensiven Industrie gehören dazu Transformationspläne, die neben dem Weg der Produktions- und Energieumstellung auch Mitbestimmung, den Standorterhalt sowie die Verpflichtung zu Erhalt des größten Teils der Arbeitsplätze (als Betriebsvereinbarung geregelt) beinhalten.

Die Transformation gerät unter Druck, dabei befinden wir uns bereits mittendrin und sie ist nicht mehr aufzuhalten, sondern jetzt noch zu gestalten und darauf ist das eigentliche Augenmerk zu legen. In den zahlreichen Krisen ist sie ein großes gesellschaftliches Gesamtprojekt, das wir selbst in den Händen haben und es nutzen sollten, um eine positive Zukunftserzählung zu entwickeln, statt ärgerlich Richtung Inflation Reduction Act/IRA (Subventionsprogramm für die Produktion) der USA zu schielen. Finanzierbar wird sie durch die Beseitigung finanzpolitischer Fesseln und durch eine Verantwortungsnahme von Kapital und dem wachsenden Vermögen einiger weniger, die in den vergangenen Jahrzehnten eher entlastet wurden. Damit die soziale Schlagseite der Transformation schnell korrigiert werden kann, braucht es die Konditionierung der öffentlichen Mittel und die gestärkte Partizipation der Belegschaften – lang bekannt und praktiziert als Mitbestimmung.

Die Autorin

Dr. Sophia Schönborn promovierte zu Nachhaltigkeitsinnovationen und unterstützt als politische Sekretärin die Abteilung Politik und Internationales der Industriegewerkschaft IGBCE im Bereich des Vorsitzenden Michael Vassiliadis. Von Beginn an ist sie dabei, den Austausch mit Umwelt- und Klima-NGOs zu stärken.

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