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„Wir müssen die sozialen Dimensionen der Transformation stärker ins Zentrum stellen“
News | 04.03.2024
# sozial-ökologische Transformation #Digitalisierung #Kreislaufwirtschaft #Nachhaltigkeit #Politik und Gesellschaft

„Wir müssen die sozialen Dimensionen der Transformation stärker ins Zentrum stellen“

Zukunftsrichtung
© Unsplash/Javier Allegue-Barros
In welche Richtung es in Zukunft geht, haben wir in der Hand.

Interview mit Dirk Messner, UBA

Der sozial-ökologische Umbau unserer Wirtschaft und Gesellschaft stagniert aus vielen Gründen. Das Urteil des Bundesverfassungsgericht zum 2. Nachtragshaushalt 2021 bremst die Finanzierung der Transformation spürbar aus. Im Bundeshaushalt 2024 macht der Rotstift vielen zukunftsweisenden Vorhaben einen Strich durch die Rechnung. Wie der notwendige Wandel dennoch vollzogen werden kann und welche Konzepte es dafür braucht, erläutert der Nachhaltigkeitsforscher und Präsident des Umweltbundesamts Dirk Messner.

In Deutschland sind dringend Investitionen in die Infrastruktur nötig, um in den kommenden zwei Jahrzehnten klimaneutral zu werden. Durch die Schuldenbremse sind aber die Energie- und Wärmwende, die Mobilitätswende oder die Umstellung auf eine enkeltaugliche Landwirtschaft ins Stocken geraten. Wie kann der Staat Einnahmen generieren, damit die Transformation vorankommt?

Ich möchte drei Punkte nennen. Das eine sind die umweltschädlichen Subventionen. Es geht um eine Größenordnung von 68 Milliarden Euro, deren Abschaffung wir natürlich nicht innerhalb eines Jahres umsetzen können. Aber wir gehen davon aus, dass wir die Hälfte, also gut 30 Milliarden Euro innerhalb einer Legislatur abarbeiten und diese umweltschädlichen Subventionen in Bereiche bringen könnten, in denen wir umweltverträglich und klimaneutralitätsorientiert damit arbeiten.

Ein zweiter wichtiger Punkt, an dem das UBA mitarbeitet, ist die Bepreisung der CO2-Emissionen. Es gibt den europäischen Emissionshandel, den ETS I, und den nationalen Emissionshandel, der ab 2027 ETS II wird. Im vergangenen Jahr hatten wir daraus Einnahmen in Höhe von 18 Milliarden Euro – das sind Anreize für Klimaschutz und ein Teil dessen, was als Investitionsvolumen zur Verfügung steht, um öffentliche Investitionen in den Klimaschutz zu realisieren. Das könnte zum Beispiel die Unterstützung von Stahlunternehmen sein, um auf Wasserstoff umzustellen, oder die Bahnsanierung. Wir schlagen auch vor, dass man einen signifikanten Teil davon als Klimageld zurückgibt.

Der dritte Punkt ist etwas grundsätzlicher. Ich teile die Ansicht der Ökonom*innen, die sagen, wir haben überhaupt keine Verschuldungskrise, die uns hindert, die notwendigen Investitionen zu tätigen. Im Vergleich mit den G7-Ländern sind wir das am wenigsten verschuldete Land. Damit will ich nicht sagen, es ist egal, wie man mit Geld umgeht, und wir schmeißen das Geld zum Fenster raus. Aber unsere Verschuldungsquote ist im Vergleich zu anderen Industrieländern so niedrig, dass Spielraum besteht. Ich unterstütze auch den Vorschlag der fünf Wirtschaftsweisen, die sagen, wir könnten die Schuldenkrise flexibilisieren für Investitionsoptionen, die eröffnet werden müssen. Man könnte aber auch ein Sondervermögen auflegen, wie wir es für die Sicherheitspolitik haben, wo mit guten Gründen viel Geld investiert wird, für ein anderes Feld mit guten Gründen, wo wir dringend investieren müssen, das sind der Klima- und Umweltschutz. In beiden Feldern haben wir es mit Zukunftssicherung zu tun.

Dirk Messner
Ich teile die Ansicht der Ökonom*innen, die sagen, wir haben überhaupt keine Verschuldungskrise, die uns hindert, die notwendigen Investitionen zu tätigen.
Dirk Messner, UBA
Präsident

Für Unternehmen ist eine grundlegende Voraussetzung, dass Maßnahmen und Programme wirtschaftlich machbar sind. Aber ihnen fehlt es an Fachkräften, und sie müssen hohe Energie- und Materialkosten stemmen. Was ist die Lösung?F

Die Fachkräfteproblematik ist eine echte Herausforderung und kann tatsächlich zu einer Transformationsbremse werden. Es geht aber nicht nur um Fachkräfte, die fehlen, sondern auch um Fachkräfte, deren Qualifikation neu ausgerichtet werden muss. Wer zum Beispiel in der Kohleverstromung, der Autoindustrie oder der Stahlproduktion seinen Arbeitsplatz verlieren sollte, muss darauf vorbereitet werden, in anderen Berufen arbeiten zu können. Wir arbeiten als UBA mit dem Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) in Bonn zusammen – etwa zur Frage, wie zukünftige „grüne Berufsbilder“ aussehen, wie Ausbildungsordnungen weiterentwickelt werden, damit wir die Klimaneutralität erreichen können. Wir brauchen Fachkräfte, die der Herausforderung des Umbaus der Wirtschaft, der Dekarbonisierung – denken Sie an den Aufbau von Wasserstoffindustrien, den Umbau in der Stahlindustrie, den Aufbau von CCS-Infrastrukturen – gerecht werden.

Zudem: Die Beschäftigungsquote von Frauen ist immer noch niedriger als bei Männern, gleichzeitig ist die Teilzeitquote bei Frauen höher. Als Gründe nennen viele Frauen gegenüber der Arbeitsagentur, dass sie ihre Kinder nicht gut betreuen können. An dem Punkt muss man was tun, denn es ist nicht gottgegeben, dass wir einen Fachkräftemangel haben. Wir könnten eine höhere Beschäftigungsquote bei Frauen haben und hoffentlich auch bei jungen Vätern, wenn wir für entsprechende Angebote in der Kinderbetreuung sorgen. Schließlich brauchen wir Zuwanderung in die Arbeitsmärkte, damit wir die zukünftigen demografischen Probleme in den Griff kriegen.

Gegen Ressourcenknappheit hilft das System der Kreislaufwirtschaft. Wie kann die forciert werden?

Die müssen wir unbedingt forcieren. Wir haben nicht nur Ressourcenknappheit, sondern es ist auch erwiesen, dass ein sehr großer Anteil der Treibhausgasemissionen direkt verbunden ist mit Ressourcenverbräuchen. Wenn wir den Ressourcenverbrauch nicht reduzieren und viel effizienter werden, können wir im Klimaschutz nicht erfolgreich sein. Eine Studie vom International Ressource Panel zeigt, dass 50 Prozent der Emissionen auf die Mobilisierung von Ressourcen und die erste Verarbeitungsstufe von Ressourcen zurückgehen. Ohne Zirkularität der Ökonomie kann uns Klimaschutz nicht gelingen. Wir sind aber in der Kreislaufwirtschaft ziemlich schlecht aufgestellt, auch wenn wir seit über 40 Jahren darüber reden. Schaut man auf den Anteil der Ressourcen, die in den Wirtschaftskreislauf wieder zurückfließen, also die Sekundärmaterialien, dann liegt dieser in Deutschland bei 13 bis 14 Prozent, und zwar seit 20 Jahren. Es gibt also keinen Fortschritt. Das müssen wir ändern. Das liegt daran, dass wir in den vergangenen 40 Jahren hauptsächlich Abfallmanagement betrieben haben. Zwar wurde der Ausstoß von schädlichen Stoffen und Giften reduziert, Mülldeponien geschlossen, aber Ressourcenverbräuche und Abfallmengen nicht wirksam gesenkt.

Wir brauchen Zirkularität by Design: Das heißt, die Produkte müssen so gebaut werden, dass man hochwertig recyceln kann. Hochwertig bedeutet, möglichst wenig vermischte Chemikalien verwenden, denn das erschwert die Zirkularität über die gesamte Wertschöpfungskette. Nehmen wir das Beispiel Gebäude: 50 Prozent unserer Ressourcen, etwa 50 Prozent unserer Abfälle und über 50 Prozent der Chemikalienanwendungen haben mit Gebäuden zu tun. Zugleich liegt der Anteil hochwertig recycelter Ressourcen am Ende des Lebenszyklus der Gebäude bei unter vier Prozent

Woran liegt das?

Solange zusätzliche Ressourcen, die genutzt werden, billiger sind als die, die wieder in den Kreislauf kommen, entscheiden sich die meisten Unternehmen natürlich für die billigere Variante. Wenn ich Bauunternehmer wäre, würde ich mich vermutlich auch so verhalten. Die Preise müssen widerspiegeln, dass wir Knappheit haben. Wenn das nicht der Fall ist, haben wir den Fehlanreiz. Zudem haben wir es in Gebäuden mit Stoffen zu tun, die miteinander verschmolzen sind. Die kriegt man fast nicht mehr auseinander und sie sind häufig mit Schadstoffen verbunden. Der Prozess ist sehr energieintensiv und die Aufbereitung sehr teuer. Wir müssen reinere Stoffe nutzen.

Welche Bedeutung hat die Digitalisierung für eine nachhaltige Transformation?

Es gibt zwei Seiten der Medaille. Zahlreiche Studien zeigen, dass wir mit digitalen Technologien und auch mit KI-Einsatz viele Probleme, die mit Ressourceneffizienz oder mit Zirkularität zu tun haben, besser angehen können als ohne diese Technologien. Aber obwohl wir diese digitalen Innovationen seit geraumer Zeit haben, steigen die Ressourcenverbräuche in der gesamten Wirtschaft und die Emissionen weltweit immer weiter. Wir müssen die Lösungspotenziale, die da schlummern, durch entsprechende Anreizsysteme mobilisieren. Außerdem müssen wir die digitalen Infrastrukturen by Design auf Nachhaltigkeit bürsten. Rechensysteme oder die Chips, die man zum Antreiben von Algorithmen braucht, sind energie- und ressourcenintensiv und deswegen haben sie einen negativen Einfluss auf das Klima und die Ökosysteme. Seit dem vergangenen September haben wir im UBA ein KI-Lab aufgebaut. Da arbeiten wir daran, das Potenzial dieser innovativen Technologien für Umwelt- und Klimapolitik fruchtbar zu machen.

Viele Menschen haben ein Gespür dafür, was ihrer Gesundheit und der Umwelt guttut. Und wenn sie mit wissenschaftlicher Unterstützung daran beteiligt werden, Lösungen zu erarbeiten, kommen spannende Ergebnisse heraus.
Dirk Messner, UBA
Präsident

Das Thema Nachhaltigkeit ist im gesellschaftspolitischen Diskurs derzeit in den Hintergrund gerutscht. Wie lässt sich dies umkehren und ein zukunftsfähiger Umwelt- und Klimaschutz vom Rand wieder ins Zentrum rücken?

Zuerst müssen wir die sozialen Dimensionen der Transformation stärker ins Zentrum stellen. Das haben wir in der Heizungsgesetzdebatte gesehen, wo viele Menschen einfach Angst gehabt haben, dass ihnen das über den Kopf wachsen könnte. Ob das gerechtfertigt war oder nicht, ist eine andere Frage. Aber es besorgt viele Menschen. Die jüngste Umweltbewusstseinsstudie des UBA vom Sommer 2023 ergab, dass 80 bis 90 Prozent der Befragten sich sogar teilweise für eine beschleunigte Klimatransformation aussprachen, trotz der Krisen und Kriege. Aber 40 Prozent sind davon überzeugt, dass sie und ihre Familien ökonomisch davon negativ betroffen sein werden. Das sind Abstiegsängste. Wenn wir die soziale Dimension nicht ernst nehmen, wird es sehr schwierig.

Zweitens müssen wir rauskommen aus dem Umwelt- und Klimadiskurs, in dem es ausschließlich oder oft um die Katastrophenbekämpfung geht. Darauf hinzuweisen ist wichtig, denn wir müssen auch begründen, dass wir hier ernsthafte Probleme zu lösen haben. Wir müssen das jedoch verbinden mit der Beschreibung einer attraktiven Zukunft, zu der wir unsere Gesellschaft mit der Transformation hinbewegen wollen. Sonst ist es schwer, Menschen für diesen Marathonlauf der Transformation zu gewinnen. Insgesamt bin ich nicht pessimistisch. Ich war letzte Woche beim Bürgerrat Ernährung, der ein Papier veröffentlich hat, wie er sich Ernährungsreformen vorstellt: ein echtes Mutmacherpapier, in dem vieles steht, was auch Umwelt- und Gesundheitsforscher*innen vorschlagen. Das ist erstaunlich, denn man hätte denken können, das repräsentative Gremium käme nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Viele Menschen haben ein Gespür dafür, was ihrer Gesundheit und der Umwelt guttut, und wenn sie mit wissenschaftlicher Unterstützung daran beteiligt werden, Lösungen zu erarbeiten, kommen spannende Ergebnisse heraus.

Drittens: Wir müssen daran arbeiten, dass die Nachhaltigkeitsstrategien weniger bürokratisch werden. Das Thema Bürokratie ist nicht nur eine Luftikusdebatte, die uns aus der Wirtschaft und Landwirtschaft oder auch von den Bürger*innen vorgehalten wird. Staatliche Aktivitäten müssen schneller, effektiver, bürokratieärmer, digitaler und wirksamer werden. Das liegt auch in unserem ureigensten Interesse als umweltbewegte Community, denn wir verweisen darauf, dass das Zeitfenster zur Lösung der großen Umwelt- und Klimakrisen eng ist. Wir müssen schneller werden. KI ist ein Ansatz, der uns dabei helfen wird.

Welchen Weg muss die Umweltbewegung einschlagen, damit ihre Argumente in der Politik wieder auf offene Ohren stoßen?

Tja, wir haben als UBA in den letzten drei, vier Jahren stark darauf gesetzt, mit den Akteuren eng zusammenzuarbeiten, die wir die Pioniere des Wandels nennen. Also mit den Vorreitern, die schnell sind und zeigen, wie Veränderung gelingen kann. Das ist weiter wichtig, vor allem in Konstellationen, in den wir aus unseren Blasen herauskommen. Also dass das UBA zusammen mit der Industrie 4.0, dem Thünen Institut oder mit den Kultureinrichtungen kooperiert, zum Beispiel zur Dekarbonisierung von Kulturgebäuden oder Veranstaltungen. Aber in der derzeitigen Demokratiekrise müssen wir verstärkt mit den Teilen der Bevölkerung, die nicht Pioniere sind, ins Gespräch kommen. Für die weitreichende Nachhaltigkeitstransformation brauchen wir starke demokratische Mehrheiten.

Mit welchem Trick überlisten Sie sich zur Kehrtwende, wenn Sie mal auf der Stelle treten?

Ich besorge mir zwei Eintrittskarten fürs Berliner Ensemble und gehe mit meiner Frau hin und anschließend gibt’s ein Glas Wein. Dann sieht die Welt schon wieder anders aus.

Das Interview führte Marion Busch.

Der Interviewpartner

Der Nachhaltigkeitsforscher Prof. Dr. Dirk Messner ist seit 2020 Präsident des Umweltbundesamts. Zuvor war er unter anderem Direktor des „Institute for Environment and Human Security“ an der Universität der Vereinten Nationen in Bonn und Ko-Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats Globale Umweltveränderungen (WBGU) der Bundesregierung.

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