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Wo sich Wachtelkönig und Wasserbüffel Gute Nacht sagen
News | 01.12.2021
#Biodiversität und Naturschutz #Klima und Energie

Wo sich Wachtelkönig und Wasserbüffel Gute Nacht sagen

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Foto: B. Herold

Entwässerte Moore stehen für Treibhausgasemissionen von bis zu 30 Tonnen Kohlendioxid-Äquivalente pro Hektar und Jahr, monotone Schilfröhrichte statt artenreicher Seggenriede, bei gleichzeitig zunehmenden trockenen Sommermonaten. Die Vorteile der Wiedervernässung liegen zumindest für Naturschutzinstitutionen wie der Michael Succow Stiftung klar auf der Hand. Es geht um Arten-, Biotop- und Klimaschutz – und nicht zuletzt um eine zukunftsfähige Landnutzung. Trotzdem bleibt die Sorge um nasse Keller bei vielen AnwohnerInnen. Also wie kann eine großflächige Restaurierung entwässerter Moorgebiete gelingen?

Unweit von Angermünde, östlich und westlich der Stadt Greiffenberg, fließt die Sernitz durch einen der wertvollsten, etwa 800 Hektar großen Quellmoorkomplex Brandenburgs. Bereits ab dem Mittelalter entwässerten Kleinbauern und -bäuerinnen die bis zu 11 Meter mächtige Torfauflage zur Weidenutzung. Das Sernitzmoor erfuhr, wie so viele Niedermoorgebiete, eine ab dem 19. Jahrhundert immer intensivere Nutzung und damit einhergehende Entwässerung. Der umfassende Grabenausbau im Rahmen der Komplexmelioration der 1970er-Jahre führte schließlich zu einer derart starken Absenkung der Grundwasserstände, dass drastische Artenrückgänge, Verlust von Moorfläche und Freisetzung riesiger Nährstofffrachten und Treibhausgasemissionen die Folge waren. Große Teile der Sernitzniederung fielen in den 1980er-Jahren brach, da die Bewirtschaftung der durch Torfzehrung stark gesackten Flächen nicht mehr rentabel war. Aus den artenreichen Seggenrieden entwickelten sich großflächige, monotone Schilfröhrichte und Brennnessel-Hochstaudenfluren.

Im Rahmen des Bundesprogramms Nationales Naturerbe wurden 2012 rund 170 Hektar Treuhandflächen der Sernitzniederung aus dem DDR-Volksvermögen an die Michael Succow Stiftung übertragen. Fast zeitgleich startete das langjährige EU-LIFE Projekt Verbesserung der Brut- und Nahrungshabitate für Schreiadler, Wachtelkönig und Seggenrohrsänger im Europäischen Vogelschutzgebiet Schorfheide-Chorin des Landesamts für Umwelt Brandenburg, in dem die Succow Stiftung als Flächeneigentümerin Projektpartner wurde.

„Mittlerweile ist die Identifikation mit dem angrenzenden Moor stark gewachsen – in Greiffenberg wird nun sogar über die Einrichtung einer Moor-Kita nachgedacht!“
Nina Seifert

In den sieben Jahren Projektlaufzeit konnte viel erreicht werden. Mittlerweile sind rund 360 Hektar Fläche im Eigentum der Succow Stiftung, weitere Flächen konnten von der NABU Stiftung Nationales Naturerbe und durch den NaturSchutzFonds Brandenburg übernommen werden. Für die Wiederherstellung von moortypischen, möglichst flurnahen Wasserständen ist die Verfügbarkeit der betroffenen Flächen der entscheidende, oftmals sehr langwierige Schritt. Aber Flächenzugriff allein reicht nicht – gerade im Rahmen von Moor-Restaurationsprojekten müssen die Vorhabenträger den Sorgen der lokalen Akteure, AnwohnerInnen, FlächennutzerInnen, benachbarten FlächeneigentümerInnen direkt begegnen und gemeinsam nach tragbaren Lösungen suchen. Hier ermöglichten die Genehmigungsverfahren der Wiedervernässungsmaßnahmen eine enge Einbindung vor Ort. Über intensive Öffentlichkeitsarbeit, angebotene Exkursionen und den Bau eines Moor-Lehrpfads bei Greiffenberg konnten die Beteiligten für das Thema Moorschutz sensibilisiert und ihre anfängliche Skepsis gegenüber der Moorrevitalisierung genommen werden. Mittlerweile ist die Identifikation mit dem angrenzenden Moor stark gewachsen – in Greiffenberg wird nun sogar über die Einrichtung einer Moor-Kita nachgedacht!

Die ursprünglichen Ziele des EU-LIFE Projekts in der Sernitzniederung sind inzwischen sogar übertroffen. Durch Deaktivierung der Entwässerungsinfrastruktur, Kappung von Drainen, Verfüllung von Gräben sind mehr als 300 Hektar der Quell- und Durchströmungsmoore wiedervernässt, denn das Wasser der Sernitz kann sich nun weiträumig im flachen Tal verteilen. In den angrenzenden Moorkörpern stellen sich lebensraumtypische, oberflächennahe Wasserstände ein. Zuletzt in einem Bruchwald bei Bruchhagen, in dem im Winter 2020/21 mehr als ein Kilometer Gräben verschlossen wurden, um den Wasserrückhalt des Quellmoores zu sichern.

Erprobte und vor Ort ansässige PraktikerInnen sind essenziell für eine zukunftsfähige Moornutzung

Neben der Wiederherstellung moortypischer Wasserstände ist eine extensive Nutzung der Flächen Voraussetzung für die Wiederherstellung und den Erhalt der Seggenriede und Feuchtwiesen. Die wichtigsten Umsetzungspartner vor Ort sind die ansässigen, größtenteils kleinbäuerlichen Landwirtschaftsbetriebe. Rund drei Viertel der Eigentumsflächen sind als landwirtschaftliche Nutzfläche verpachtet. Über Pachtauflagen ist die Bewirtschaftung naturschutzfachlich optimiert. So versucht die Succow Stiftung zum Beispiel über angepasste Mahdzeitpunkte, Streifenmahd oder festgelegte Beweidungsperioden den Bruterfolg von Wiesenbrütern zu fördern. Dafür schlägt sich ein Projektmitarbeiter vor Ort durchaus mal die Nacht um die Ohren, um Reviere des Wachtelkönigs zu dokumentieren und anderntags bewirtschaftungsfreie Areale mit den Landwirten festzulegen.
In vielen Flächen sind die hohen Wasserstände eine Herausforderung für die Bewirtschaftung mit konventioneller Technik oder gängigen Tierrassen. Die Sernitzniederung ist deshalb auch ein großes „Versuchsfeld“ für alternative Nutzungsformen. Im westlichen Teil des Moores stehen bereits Wasserbüffel auf den Weiden und sorgen unter anderem dafür, dass sich die Schilfröhrichte sukzessive in reich strukturierte Seggenriede umwandeln. Die Herde aus zunächst zehn Tieren ist bereits auf über 30 Tiere angewachsen, da sich auch die Vermarktung des Fleisches als sehr erfolgreich herausstellte.

Für eine weitere Optimierung des Wasserhaushalts im östlichen Teil der Niederung und der Erprobung der sogenannten Paludikultur (nasse Nutzung von Mooren) ist im August 2021 der erste Grundstein gelegt worden. Zusammen mit der Umweltstiftung Michael Otto möchte die Succow Stiftung im Rahmen der Initiative toMOORow (www.tomoorow.org) rund 80 Hektar Fläche als Praxisbeispiel nutzen und aufzeigen, wie durch Moorschutz Arten- und Biotopschutz mit Klimaschutz verbunden werden kann und so neben dem Wachtelkönig-Nachwuchs landwirtschaftliche Rohstoffe produzieren.

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Die Autorin

Die promovierte Biologin Nina Seifert arbeitet als Koordinatorin der Arbeitsgruppe „Nationales Naturerbe und zukunftsfähige Landnutzung“ für die Michael Succow Stiftung.

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