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Debatten um EU-Klimaziel 2030 und Deutschlands 2020-Ziel
EU-News | 25.08.2020
#Klima und Energie

Debatten um EU-Klimaziel 2030 und Deutschlands 2020-Ziel

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c. unsplash/T. Hafeneth

Nach dem Hitzesommer dürfte es im Herbst politisch heiß hergehen. Wie der Informationsdienst Euractiv in der vergangenen Woche berichtete, kündigte EU-Kommissionssprecherin Vivian Loonela an: "Wir arbeiten sowohl an der Folgenabschätzung als auch an dem neuen Vorschlag, die beide im September vorgelegt werden sollen". Ziel sei es, bis 2030 die Treibhausgasemissionen der EU auf "mindestens 50 Prozent" unter das Niveau gemessen ab 1990 "und in Richtung 55 Prozent" zu verringern.

Die erwähnte Kosten-Nutzen-Studie soll bei der Entscheidung helfen, ob die Einsparziele bei minus 50 oder bei minus 55 Prozent liegen sollen beziehungsweise können. Denn angesichts der aktuellen Pandemielage sind einige Mitgliedstaaten schwerlich bereit, zusätzlich Anstrengungen zu unternehmen. Im Umweltrat knirschte es zuletzt bereits gewaltig (EU-News 25.06.2020).

Das EU-Parlament scheint eher bereit, das höhere Ziel zu beschließen. Die zuständige Berichterstatterin Jytte Guteland (Schweden, S&D) im Umweltausschuss (ENVI) schlägt sogar 65 Prozent vor - was ihr große Unterstützung von zahlreichen Umweltverbänden eingebracht hat (EU-News 28.05.2020). Am 10. September soll der Ausschuss über Gutelands Berichtsentwurf entscheiden.

Wenn Industrie und Energiewirtschaft, Landwirtschaft, Gebäude und Verkehr an einem Strang ziehen, ist ein EU-weites CO2-Reduktionsziel von 55 Prozent bis 2030 realistisch, so die Berliner Denkfabrik Agora Energiewende. Sie stützt ihre Aussage auf eine am Montag veröffentlichte Studie, welche das Öko-Institut für Agora Energiewende erstellt hat. Die Autor*innen untersuchten, wie verschiedene Maßnahmen im europäischen Emissionshandelssystem (EU-ETS) und in der Lastenteilungsverordnung (Effort Sharing Regulation, ESR) als wichtigste Bausteine der EU-Klimapolitik so zusammenwirken können, dass 55 Prozent erreicht werden.

„Mit der heute veröffentlichten Studie der Agora Energiewende sind die Ausreden endgültig vom Tisch“, findet der Präsident des Umweltdachverbands Deutscher Naturschutzring (DNR) Kai Niebert. Dabei werde deutlich, dass alle Sektoren und alle Mitgliedstaaten liefern müssen. 

Viviane Raddatz, WWF-Expertin für Klimaschutz- und Energiepolitik forderte anlässlich der Veröffentlichung des deutschen Klimaschutzberichtes 2019 (s.u.): "Das Ziel von 55 Prozent Emissionsminderung bis 2030 ist jedoch für einen angemessenen Beitrag zum Pariser Klimaabkommen nicht ausreichend. Klar ist deshalb auch: Die Bundesregierung muss im Rahmen ihrer EU-Ratspräsidentschaft die Erhöhung des EU-Klimabeitrags vorantreiben."

Deutscher Klimaschutzbericht 2019

Das Bundeskabinett beschloss am 19. August den "Klimaschutzbericht 2019 zum Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 der Bundesregierung". Demnach hat Deutschland im Jahr 2019 rund 35,7 Prozent weniger Treibhausgase ausgestoßen als 1990. Die Gesamtemissionen 2019 seien gegenüber dem Vorjahr 2018 um fast 54 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente (minus 6,3 Prozent) auf rund 805 Millionen Tonnen gesunken. Energiewirtschaft und Industrie konnten Emissionen einsparen, bei Verkehr und im Gebäudesektor habe sich der Ausstoß erhöht.

Die Auswirkungen der Coronapandemie seien nicht berücksichtigt, der Bericht umfasse Schätzungen bis Ende 2019, die genauen Zahlen gibt es erst im Frühjahr. Laut Bundesumweltministerium (BMU) könnte das 40-Prozent-Ziel noch erreicht werden, wenn die tatsächlichen Treibhausgasemissionen für das Jahr 2020 deutlich niedriger ausfielen.

"Eine Wirtschaftskrise macht keinen Strukturwandel"

Kurz vor Veröffentlichung des Klimaschutzberichts 2019 hatte ein breites Bündnis zivilgesellschaftlicher Akteure die Nachschärfung der Klimaschutzmaßnahmen bis 2030 gefordert. Die unter dem Dach des Umweltdachverbands Deutscher Naturschutzring (DNR) und der Klima-Allianz Deutschland organisierten Verbände warnten in ihrem am vorvergangenen Mittwoch veröffentlichten Forderungspapier davor, in Anbetracht der voraussichtlichen Erfüllung des Klimaziels 2020 die Hände in den Schoß zu legen. Die prognostizierte Minderung der Treibhausgasemissionen um tatsächlich 40 Prozent sei kein Ergebnis zusätzlicher klimapolitischer Anstrengungen, sondern die Folge des geringeren Energieverbrauchs im Zuge des milden Winters und des Einbruchs der Wirtschaft infolge der Corona-Pandemie.

"Eine Wirtschaftskrise macht keinen Strukturwandel. Nur wenn wir heute die Weichen richtig stellen, hat Deutschland eine Chance, bis spätestens 2050 klimaneutral zu sein. Wir wissen bereits heute, dass das Klimaschutzprogramm 2030 weder für die derzeitigen Klimaschutzziele noch für ein höheres EU-Klimaziel ausreicht. Das Klimakabinett trägt nun die Verantwortung, Deutschland krisenfest zu machen. Dafür muss es das Klimaschutzprogramm zu einem Krisenschutzprogramm machen," mahnte DNR-Präsident Kai Niebert.

In Deutschland ist Dezember 2019 das Klimaschutzgesetz in Kraft getreten. Mitte August hat die Bundesregierung einen unabhängigen Expert*innenrat für Klimafragen einberufen. Der Rat soll die vom Umweltbundesamt vorgelegte Abschätzung der Treibhausgasemissionen des Vorjahres prüfen sowie die Annahmen, die den Angaben zur Treibhausgasminderungswirkung von Sofortmaßnahmen und Klimaschutzprogrammen zugrunde liegen. Der Expert*innenrat wird Stellung nehmen, wenn die Bundesregierung die zulässigen Jahresemissionsmengen im Bundesklimaschutzgesetz ändert, den Klimaschutzplan fortschreibt und weitere Klimaschutzprogramme beschließt. Darüber hinaus können der Deutsche Bundestag oder die Bundesregierung den Expertenrat für Klimafragen mit der Erstellung von Sondergutachten beauftragen. [jg/aw]

Agora Energiewende: Wie die EU ein Klimaziel von -55 Prozent im Jahr 2030 erreichen kann    

Kommentar von DNR-Präsident Kai Niebert zur Studie der Agora Energiewende   

DNR-Factsheet zum EU-Klimagesetz und den Debatten um ein strengeres 2030-Ziel  

Euractiv: "Umweltpolitik im Herbst: Klimaziele 2030 und Coronavirus-Auswirkungen"

BMU-Pressemitteilung zum Klimaschutzbericht 2019 sowie der Bericht (151 S., PDF)

Reaktion Verbände

Reaktion WWF: Klimaschutzbericht darf eklatante Maßnahmenlücke nicht kaschieren

Kanzlerin Merkel trifft vier Klimaschutzaktivistinnen

Am 20.08. fand ein etwa 90-minütiges Gespräch der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel über Klimaschutz mit der Schwedin Greta Thunberg, der deutschen Luisa Neubauer und den beiden Belgierinnen Anuna de Wever und Adélaïde Charlier statt. Die Aktivistinnen von Fridays for Future forderten "Taten statt Worte" und diskutierten deutsche, europäische und internationale Klimapolitik.

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