Kettensäge statt Lieferkettengesetz: EU-Parlament schreddert Umwelt- und Menschenrechtsstandards

Die EU-Abgeordneten haben am 13. November mehrheitlich für die „Vereinfachung“ der Berichts- und Sorgfaltspflichten für Unternehmen gestimmt. Das EU-Lieferkettengesetz soll nunmehr nur für einige wenige Firmen gelten. Umweltverbände sprechen von „Harakiri-Mehrheiten“ und die Initiative Lieferkettengesetz verurteilt die Allianz der Union mit Rechtsextremen.
Gesetze, die Unternehmen zur Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards verpflichten und die Verantwortung für Menschenrechts- und Umweltverstöße in ihren Lieferketten sicherstellen sollen, sind von der Mehrheit der EU-Parlamentarier*innen extrem abgeschwächt worden. Die Mehrheit für die Position des EU-Parlaments zum sogenannten Omnibuspaket I kam zustande, weil die Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP), zu der die Unionsparteien gehören, gemeinsam mit der rechtskonservativen EKR, dem Rechtsaußen-Bündnis PfE sowie der rechtsextremen ESN-Fraktion, der zum Beispiel die AfD angehört, stimmte. Letztere freute sich laut dpa-Europaticker über den „Fall der Brandmauer“, der auf europäischer Ebene Cordon sanitaire heißt und eigentlich dafür sorgen soll, dass Rechtsradikale politisch isoliert werden. Eigentlich.
Nachhaltigkeitsberichterstattung: vereinfacht und nur für große Unternehmen
Mit 382 Ja-, 249 Nein-Stimmen und 13 Enthaltungen hat das EU-Parlament dafür gestimmt, dass nur große Unternehmen mit durchschnittlich über 1.750 Beschäftigten und einem Jahresnettoumsatz von mehr als 450 Millionen Euro zur sozialen und ökologischen Berichterstattung verpflichtet werden sollen. Nur Unternehmen, die diesen Vorgaben unterliegen, müssen danach auch im Rahmen der EU-Taxonomieverordnung, also der Klassifizierung nachhaltiger Investitionen, Nachhaltigkeitsberichte vorlegen. Die Berichtsstandards sollen weiter vereinfacht und reduziert werden und weniger qualitative Angaben erfordern; branchenspezifische Berichterstattung soll künftig freiwillig sein. Ein Übergangsplan wäre damit nicht verpflichtend und Unternehmen sollen (nur) auf nationaler Ebene haftbar sein.
Sorgfaltspflichten in der Lieferkette: weniger Anforderungen und ebenfalls nur für sehr große Unternehmen
Die Sorgfaltspflichten sollen künftig nur für große Unternehmen gelten, die mehr als 5.000 Beschäftigte haben und einen jährlichen Nettoumsatz von über 1,5 Milliarden Euro erzielen. Diese Unternehmen sollen einen risikobasierten Ansatz verfolgen, um negative Auswirkungen ihres Handelns auf Menschen und Umwelt zu erkennen und zu überwachen. Anstatt systematisch Informationen von kleineren Geschäftspartnern einzuholen, sollen sie sich auf bereits verfügbare Daten stützen und zusätzliche Auskünfte nur im Ausnahmefall anfordern dürfen.
Diese Unternehmen müssten künftig keinen Übergangsplan mehr vorlegen, um ihr Geschäftsmodell mit den Zielen des Pariser Klimaabkommens in Einklang zu bringen. Bei Nichteinhaltung der Sorgfaltspflichten könnten Geldbußen verhängt werden, deren Leitlinien von der Kommission und den Mitgliedstaaten festgelegt werden sollen. Verstöße würden auf nationaler, nicht auf EU-Ebene geahndet, und betroffene Personen hätten Anspruch auf vollständigen Schadensersatz.
Die Abgeordneten fordern außerdem, dass die Kommission ein digitales Portal für Unternehmen einrichtet, das kostenlosen Zugang zu Vorlagen, Leitlinien und Informationen über alle EU-weiten Berichtspflichten bietet und damit den European Single Access Point (einheitlicher EU-Zugangspunkt für Unternehmensdaten) ergänzt.
Reaktionen: „Harakiri“-Mehrheit stimmt für die Interessen weniger und gegen Natur- und Klimaschutz
Das von der EU-Kommission Ende Februar vorgeschlagene Omnibuspaket I, in dem Pflichten für Nachhaltigkeit unter anderem in der Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD), der Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) oder der EU-Taxonomie „vereinfacht“ werden sollen, hat damit einen weiteren Abstimmungsschritt hinter sich. Die interinstitutionellen Verhandlungen im Trilog von Kommission, Parlament und Rat dürften bald beginnen.
Das Europäische Umweltbüro (EEB) bedauert, dass zwei Gesetze, die Unternehmen zur Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards verpflichten und die Verantwortung für Menschenrechts- und Umweltverstöße in ihren Lieferketten sicherstellen sollen, von Kinderarbeit und moderner Sklaverei bis hin zu Ölkatastrophen und klimaschädlichen Emissionen, damit geschliffen werden. „Warum Regeln vereinfachen, wenn man sie mit Hilfe der extremen Rechten einfach abschaffen kann? Verbindliche Klimapläne für Unternehmen? Weg damit. Zivilrechtliche Haftung, die Opfern ermöglicht, nach Unternehmensverstößen Gerechtigkeit zu suchen? Abgeschafft. Verpflichtungen zur Berichterstattung über Umweltauswirkungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette? Jetzt auf einen winzigen Bruchteil der Unternehmen beschränkt“, kritisiert der europäische Umweltdachverband.
Mit dieser „Harakiri-Mehrheit“ gemeinsam mit Rechten und extremen Rechten – einem „epochalen Einschnitt“ – sei ein Vereinfachungspaket verabschiedet worden, das Jahrzehnte demokratischer, sozialer und ökologischer Fortschritte zunichtemache und die pro-europäische Mitte-Koalition aufgebe. Bei den noch folgenden sechs weiteren Omnibus-Gesetzen könnte die EU Zeuge werden, wie Umwelt- und Sozialstandards stillschweigend abgeschafft würden. „Die Zivilgesellschaft und die politische Mitte müssen mobilisieren – wir dürfen nicht zulassen, dass Deregulierung und Straffreiheit für Unternehmen in Europa zur neuen Normalität werden“, mahnt das EEB und verweist auf den EU Far-Right Tracker von The Good Lobby. Der Tracker protokolliert, wenn sich die EVP mit rechtsextremen Gruppen verbündet.
Einen „äußerst beunruhigenden Schritt“ nennt die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) diese „rechtsextreme Allianz im Europäischen Parlament“. Die Vereinnahmung durch Unternehmen werde deutlich sichtbar, die Einigung sei „geschrieben für wenige, nicht für die Menschen oder den Planeten“.
„Diese Gesetze, die Hoffnung, Sicherheit und die Aussicht auf eine gerechtere und nachhaltigere Zukunft versprachen, sind zu reinen Alibiveranstaltungen verkommen, die kaum Auswirkungen auf die tatsächlichen Bedürfnisse der Menschen, der Natur und der Unternehmen haben“, kritisierte auch das WWF-Europabüro. Besonders entmutigend seien Rückschritte bei den Klimawandel-Transitionsplänen (CTP), die ein wichtiges Instrument zur Erreichung der Klimaziele seien, sowie die schädliche Einschränkung des Umfangs der Berichtspflichten. Dies seien auch schlechte Nachrichten für progressive Unternehmen, die in ihre Bemühungen um Nachhaltigkeit bereits investiert hätten. „Die Europäische Kommission trägt eine erhebliche Verantwortung für dieses Debakel, da sie in einem überstürzten und unbegründeten Verfahren eine Büchse der Pandora mit sensiblen Dateien geöffnet hat, die die Voraussetzungen für einen katastrophalen Wettlauf nach unten geschaffen hat. Sowohl das Parlament als auch der Rat haben den Omnibus-Vorschlag der Kommission verschlechtert“, kritisierte der WWF-Wirtschaftsexperte Sebastien Godinot. Das EU-Parlament kehre mit der Entscheidung Natur- und Klimaschutz den Rücken zu.
Auch aus deutschen Umweltverbänden hagelt es geharnischte Kritik
Die Umwelt- und Menschenrechtsorganisation Germanwatch kritisierte das „Einreißen der Brandmauer gegen Rechtsradikale im EU-Parlament“ sowie die „massiven Verwässerungen in CSDDD und CSRD“. Dies sei „ein schwerer Schlag für den Schutz von Menschenrechten und Umwelt“. „Dass die EVP zur Verwässerung eines zentralen Menschenrechts- und Umweltgesetzes gemeinsame Sache mit rechtsextremen Kräften macht, ist ein Dammbruch. Wer demokratische Werte beschwört, darf nicht den Schutz von Arbeitnehmerinnen, Betroffenen entlang globaler Lieferketten und der Umwelt opfern. Und wer mit der extremen Rechten kooperiert, untergräbt selbst die Demokratie“, sagte Juliane Bing, Referentin für Unternehmensverantwortung bei Germanwatch. Dieses Vorgehen untergrabe auch die Autorität von Bundeskanzler Friedrich Merz. Denn dieser habe für die CDU, die die größte Gruppe der Europäischen Volkspartei stelle, noch vor wenigen Wochen eine klare Abgrenzung zu Rechtsaußen angekündigt. Die Abstimmung habe das Gegenteil gezeigt, „Anstatt die Brandmauer zu verteidigen, wurde sie geopfert - und das auf dem Rücken derer, die am dringendsten Schutz brauchen“, so Bing weiter.
Sofie Kreusch von der Initiative Lieferkettengesetz mahnte: „Wer sich mit Rechten verbündet, um europäische Schutzstandards zu kippen, nimmt in Kauf, dass Kinderarbeit, Zwangsarbeit und Umweltzerstörung wieder zum Geschäftsmodell werden.“ Die Initiative forderte die deutsche Bundesregierung auf, im nun anstehenden Trilog darauf zu drängen, dass die menschenrechtlichen Kernverpflichtungen der EU-Lieferkettenrichtlinie wiederhergestellt werden. „Sollte dies nicht gelingen, darf Deutschland dem Omnibus-I-Paket nicht zustimmen. Europa darf nicht zulassen, dass seine Werte unter dem Deckmantel der Deregulierung ausgehöhlt werden“, so Kreusch. [jg]
EEB-Magazin 14.11.2025: Democractic Jenga
ECCJ:
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