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Steigende Kosten des Klimawandels: Warum die EU-Haushaltsregeln reformiert werden müssen
EU-News | 10.10.2025
#EU-Umweltpolitik #Klima und Energie #Wirtschaft

Steigende Kosten des Klimawandels: Warum die EU-Haushaltsregeln reformiert werden müssen

Blick auf Münzenberge mit darauf wachsenden Bäumen, im Hintergrund der Torso eines Mannes mit Taschenrechner
© AdobeStock / Antony Weerut
Das Aufschieben und Verzögern von Klimaschutzmaßnahmen heute erhöht die zukünftigen Kosten für Klimafolgen erheblich.

Hitzetote, Extremhochwasser, Dürreperioden... Um den Klimawandel zu bekämpfen, bräuchte es erhebliche jährliche Vorabinvestitionen. Der derzeitige Mehrjährige Finanzrahmen (MFR) wird dem aber nicht gerecht. Er umfasst nur 1,3 Prozent des BIP der EU - und die Gelder sind größtenteils für andere Zwecke vorgesehen. Europa kann jetzt vorsorgen oder später extreme Klimafolgekosten stemmen. Finance Watch plädiert für die vorausschauende Erweiterung des fiskalischen Spielraums. 

Ein Gastbeitrag von Max Kretschmer, Finance Watch

Unsere Lebensgrundlagen sind durch den Klimawandel bedroht. Von Waldbränden bis zu Überschwemmungen – Klimakatastrophen sind ein häufiges Thema in den europäischen Nachrichten. In diesem Sommer waren zwei von drei hitzebedingten Todesfällen in Europa auf die vom Menschen verursachte globale Erwärmung zurückzuführen. 

Auch die wirtschaftlichen Kosten sind enorm. Nach Angaben der Europäischen Umweltagentur verursachten klimabedingte Katastrophen in Europa zwischen 2021 und 2023 Schäden in Höhe von über 162 Milliarden Euro. In nur drei Jahren wurde ein Viertel aller klimabedingten Schäden seit 1980 erreicht, die Versicherungsbranche kann damit nicht Schritt halten. Europas größter Versicherer, die Allianz, schätzt bereits, dass etwa 60 Prozent der Schäden durch Naturkatastrophen nicht versichert sind und dass zusätzliche Investitionen von über 300 Milliarden Euro pro Jahr erforderlich sind, um die Widerstandsfähigkeit gegenüber Naturkatastrophen zu stärken.

Europa lebt bereits mit den Auswirkungen des Klimawandels. Die Entwicklung ist klar: Der Klimawandel beschleunigt sich und bringt immer höhere Kosten und tödlichere Folgen mit sich. Was wird also unternommen? Ist Europa auf eine eskalierende Klimakrise vorbereitet? Die kurze Antwort lautet: Nein.

Eingeschränkter Finanzspielraum?

Die Reaktion Europas hängt von einem willkürlichen, aber entscheidenden Faktor ab: dem Finanzspielraum. Der Finanzspielraum ist der Spielraum, den Regierungen beispielsweise für Ausgaben im Bereich Klimaresilienz haben, wie Hochwasserschutz, Waldbrandprävention und Resilienz im Verkehrswesen. In Europa wird diese Ausgabenkapazität durch zwei Faktoren eingeschränkt.

1. Nationale Finanzvorschriften

Die EU-Länder unterliegen strengen Beschränkungen hinsichtlich der Höhe ihrer Kreditaufnahme und Ausgaben im Verhältnis zu Schulden und BIP. Diese Regeln unterscheiden kaum zwischen verschwenderischen Ausgaben und langfristigen Investitionen. Infolgedessen werden Regierungen davon abgehalten, in Klimaresilienz zu investieren, selbst wenn dies in Zukunft Milliarden einsparen würde.

2. Der EU-Haushalt

Auf europäischer Ebene ist der fiskalische Spielraum sehr gering. Selbst mit dem neuen mehrjährigen Finanzrahmen macht der EU-Haushalt nur 1,3 Prozent der Wirtschaftskraft der Union aus, verglichen mit rund 23 Prozent beim US-Bundeshaushalt. Die Beiträge werden von den Mitgliedstaaten festgelegt und sind von spezifischen nationalen Interessen geprägt. Infolgedessen ist die Fähigkeit, gemeinsame Prioritäten wie Klimaresilienz auf europäischer Ebene zu verfolgen, äußerst begrenzt.

Europa befindet sich in einer politischen Sackgasse. Die Kommission hindert die Mitgliedstaaten daran, auf nationaler Ebene ausreichend für den Klimaschutz auszugeben. Gleichzeitig hindern die Mitgliedstaaten die Kommission daran, den gemeinsamen Haushalt zu erweitern und die Investitionen auf EU-Ebene zu erhöhen.

Portrait von Max Kretschmer, Finance Watch
Europa kann jetzt in Klimaschutz und Anpassung investieren oder später, wenn sich die Klimakrise verschärft, ein Vielfaches dafür bezahlen. Wie bei einem Haus mit undichtem Dach mag die Reparatur heute kostspielig sein, aber wenn man wartet, muss man weitaus mehr für Wasserschäden, ruinierte Möbel und strukturelle Reparaturen bezahlen.
Max Kretschmer
Finance Watch

Die Klimakrise kennt jedoch keine institutionellen Pattsituationen. Die Regierungen müssen Geld ausgeben. Europa kann jetzt in Klimaschutz und Anpassung investieren oder später, wenn sich die Klimakrise verschärft, ein Vielfaches dafür bezahlen. Wie bei einem Haus mit undichtem Dach mag die Reparatur heute kostspielig sein, aber wenn man wartet, muss man weitaus mehr für Wasserschäden, ruinierte Möbel und strukturelle Reparaturen bezahlen. Wenn Europa nicht dasselbe tut und beispielsweise Hochwasserschutzanlagen baut, wird die Union mit der Verschärfung der Klimakrise deutlich mehr für Notfallmaßnahmen ausgeben müssen. Das sind die Kosten des Handelns im Vergleich zum Nicht-Handeln.

Kommt Krise, kommt Geld

Die Bekämpfung des Klimawandels erfordert Vorabinvestitionen in Höhe von fünf bis zehn Prozent des BIP der EU pro Jahr. Mit nur 1,3 Prozent aller EU-Haushaltsausgaben ist der derzeitige MFR strukturell nicht in der Lage, diese Investitionslücke zu schließen, und Untersuchungen von Finance Watch zeigen, dass sie nicht allein aus privatem Kapital gedeckt werden kann. Selbst unter den optimistischsten Annahmen können die privaten Märkte nur ein Drittel des wesentlichen Investitionsbedarfs der EU decken. Der Rest muss aus öffentlichen Mitteln kommen.

Die gute Nachricht ist, dass die Regeln, die derzeit die öffentlichen Haushalte einschränken, keine Naturgesetze sind. Es handelt sich um willkürliche politische Entscheidungen. Sie wurden vor Jahrzehnten festgelegt und können geändert werden, sobald Krisen den politischen Willen dazu hervorbringen.

Als die Corona-Pandemie ausbrach, wurden die europäischen Fiskalregeln ausgesetzt. Als die Energiepreise in die Höhe schossen, wurden neue EU-Haushaltsfazilitäten geschaffen. Heute, da sich die USA aus der europäischen Sicherheit zurückziehen, haben die Regierungen plötzlich Spielraum für Investitionen in die Verteidigung. Jedes Mal hat sich gezeigt, dass das, was einst als „rigide” galt, flexibel ist. Wenn die Regierungen den Schalter umlegen, kommt das Geld. 

Ein neuer Ansatz für die Haushaltsdisziplin

Welche Wege stehen nun zur Verfügung? Finance Watch hat eine klare Empfehlung: Die EU sollte künftige Klimarisiken in die Berechnung und Durchsetzung ihrer Haushaltsregeln einbeziehen. Die Integration der Klimapolitik in den makroökonomischen und haushaltspolitischen Rahmen ist nicht nur eine technokratische Anpassung, sondern eine politische Notwendigkeit, da Klimainvestitionen von der Wirtschafts- und Finanzpolitik abhängen.

Im privaten Sektor quantifizieren Banken und Versicherungen routinemäßig Klimarisiken und integrieren diese in ihre Investitions- und Kreditentscheidungen, um ihre Gewinne zu schützen. Regierungen sollten dasselbe tun, um Menschen und öffentliche Finanzen zu sichern. Es ist durchaus möglich, die zukünftigen Kosten des Klimawandels in Berechnungen einzubeziehen, die definieren, wie „nachhaltige Verschuldung” aussieht.

Selbst unter den optimistischsten Annahmen können die privaten Märkte nur ein Drittel des wesentlichen Investitionsbedarfs der EU decken. Der Rest muss aus öffentlichen Mitteln kommen.
Max Kretschmer
Finance Watch

Die Fiskalregeln sollten den Unterschied zwischen Ausgaben, die zu langfristigen Schulden führen, und Investitionen, die zukünftige Verbindlichkeiten reduzieren, berücksichtigen. Diese Umstellung kann direkt in die bestehenden Mechanismen der wirtschaftspolitischen Steuerung der EU integriert werden. Die Schuldennachhaltigkeitsanalysen der Kommission, die als Leitfaden für die Anwendung der Haushaltsregeln dienen, modellieren bereits heute die Schuldenentwicklung für die nächsten Jahrzehnte auf der Grundlage von Annahmen zum demografischen Wandel und zum Wachstum. Allerdings berücksichtigen sie nicht die finanziellen Kosten von Klimastörungen, von Überschwemmungen über Ernteausfälle bis hin zu Schäden an der Infrastruktur. Die Methodik kann und sollte aktualisiert werden, um Klimaszenarien zu integrieren.

Das Gleiche gilt für das Europäische Semester, in dessen Rahmen die Regierungen länderspezifische Empfehlungen zu Ausgaben- und Reformprioritäten erhalten. Diese Empfehlungen könnten den Investitionsbedarf im Klimabereich in der Haushaltspolitik verankern, indem sie mit den nationalen Energie- und Klimaplänen verknüpft werden. In der Praxis würde dies bedeuten, dass Ausgaben für die Widerstandsfähigkeit als sparsame Investition behandelt werden.

Für grüne Investitionen kann fiskalischer Spielraum geschaffen werden – für Länder, die ihre Verteidigungsausgaben erhöhen wollen, ist dies bereits der Fall.

Klimaresilienz ist nicht optional, sondern politische Notwendigkeit

Europa kann seinen haushaltspolitischen Rahmen weiterhin mit kurzfristigen Lösungen flicken und von einer Krise in die nächste stolpern oder sich der Realität stellen. Der Klimawandel ist da, die Kosten steigen, und nur öffentliche Investitionen in großem Umfang können Resilienz schaffen.

Die Regeln sind willkürlich und können geändert werden. Die Frage ist, ob wir sie rechtzeitig ändern. Denn beim Klimawandel sind die Kosten für Maßnahmen, genau wie bei einem undichten Dach, weitaus geringer als die Kosten der Untätigkeit. Die Kommission und die Mitgliedstaaten müssen aufhören, Klimaresilienz als optional zu betrachten, und die Regeln neu schreiben, bevor die Kosten außer Kontrolle geraten.

Über den Autor

Max Kretschmer ist Pressesprecher bei der in Brüssel ansässigen Organisation Finance Watch, wo er sich mit EU-Finanzregulierung und Kommunikation im öffentlichen Interesse befasst. Er hat einen Master-Abschluss in Internationaler Politischer Ökonomie und war zuvor als Senior Account Executive im Bereich Finanzkommunikation und als Trainee in der Abteilung für Haushaltsangelegenheiten des Europäischen Parlaments tätig.

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