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Umweltausschuss will Zertifizierung von Kohlenstoffentnahme
EU-News | 26.10.2023
#Klima und Energie #Landwirtschaft und Gentechnik #Wald

Umweltausschuss will Zertifizierung von Kohlenstoffentnahme

Treibhausgasreduktion
© AdobeStock/NicoElNino
Treibhausgasreduktion

Die EU-Abgeordneten des Umweltausschusses sprechen sich für die Zertifizierung von Kohlenstoffentnahmen aus. Sie konkretisieren damit den Vorschlag der EU-Kommission. Umweltorganisation verweisen weiterhin auf Risiken.

Neben der Positionierung zur geplanten Pestizid-Verordnung (SUR) haben die EU-Abgeordneten des Umweltausschusses am 24. Oktober auch ihre Position zum Zertifizierungsrahmen zur Kohlenstoffentnahme (Carbon Removal Certification Framework, CRCF oder Union Certification Framework for Carbon Removals, CFCR) festgelegt. Diese Abstimmung zur Ausschussempfehlung ans Parlament fiel deutlich weniger kontrovers aus, es hatte einen fraktionsübergreifenden Kompromissvorschlag gegeben. Dem Text stimmten 59 Abgeordnete zu, bei 17 Nein-Stimmen und 9 Enthaltungen. Damit befürworten die Ausschussmitglieder die freiwillige Zertifizierung von Kohlenstoffentnahmen aus der Atmosphäre mittels technischer oder landbasierter Optionen.

Klimaneutralität durch CO2-Entnahme

Durch den Zertifizierungsrahmen soll die Fähigkeit der EU zur Quantifizierung, Überwachung und Überprüfung der Kohlenstoffbindung verbessert werden. Die Abgeordneten betonten, dass die Reduktion von Emissionen weiterhin oberste Priorität haben müsse. Durch das CRCF werde das Vertrauen in die Zertifizierung gesteigert und sichergestellt, dass alle Anbietenden von Zertifikaten denselben Regeln unterliegen. Die Kommission wird damit beauftragt, Zertifizierungsmethoden für die verschiedenen Aktivitäten zu entwickeln. Durch die Verordnung sollen zudem qualitativ hochwertige Kohlenstoffentnahmen gewährleistet werden und Greenwashing und weitere Risiken, wie die doppelte Anrechnung von Kohlenstoffentnahmen, vermieden. Dafür setzt man auf Methoden, die auf international anerkannten und wissenschaftlichen Standards beruhen.

Wie lange ist permanent?

Die Abgeordneten wollen zudem eine Bündelung der Zertifikate in einem Unionsregister, über das die EU-Kommission wachen soll. Aufgrund substanzieller Unterschiede sollen „permanente Kohlenstoffentnahmen“ mit Speicherung in geologischen Endlagerstätten, etwa Bioenergie mit Kohlenstoffabscheidung und -Speicherung (BECCS) oder direkte Luftabscheidung (DACCS), von landbasierten Praktiken („Carbon Farming“) sowie der Kohlenstoffspeicherung in Produkten getrennt behandelt werden. Dies betreffe Definitionen, Qualitätskriterien und Regeln für die jeweiligen Aktivitäten. Für die Zertifizierung von „permanenten Kohlenstoffentnahmen“ sollen mehrere Jahrzehnte für die Festlegung des Kohlenstoffs vorgeschrieben werden. Bei den landbasierten Praktiken sollen hingegen auch Maßnahmen zur Emissionsminderung hinzugezählt werden. Neben Aufforstung und Humusaufbau könnte darunter auch die Wiedervernässung von Mooren oder die Reduktion von Düngemitteln fallen. Als Kriterium für eine Carbon-Farming-Aktivität solle bereits eine Emissionsminderung für einen Zeitraum ab fünf Jahren gelten. Ebenfalls fünf Jahre solle der Mindestzeitraum zur Kohlenstoffspeicherung in Produkten umfassen. Der Vorschlag sieht vor, dass die Zertifizierung zunächst auf Holzprodukte und Baumaterialien beschränkt wird. Darüber hinaus schlagen die Ausschussmitglieder die Einrichtung einer beratenden Plattform von Expert*innen aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft und anderen Interessengruppen, wie Landnutzer*innen, vor.

NGOs bleiben skeptisch

Umweltorganisationen verweisen schon länger auf die Risiken, die sich aus dem Verordnungsvorschlag und den Versprechen in die Kohlenstoffentnahme ergeben. Bereits Anfang Juni formulierten deutsche Landwirtschafts- und Umweltorganisationen ihre Kritik in einem gemeinsamen Positionspapier. Auch das Bündnis „Real Zero Europe“, getragen von über 200 Organisationen, stellt seit längerem die problematischen Effekte heraus, die sich etwa aus der Treibhausgaskompensation („Offsetting“) ergeben. Entsprechend enttäuscht reagierten die Bündnismitglieder auf die Entscheidung des Umweltausschusses: „Die Abstimmung signalisiert eine gefährliche Bereitschaft, alle Arten von Kohlenstoffgutschriften zu zertifizieren“, kommentierte Sophie Scherger, Referentin für Klima- und Landwirtschaftspolitik des Institute for Agriculture and Trade Policy (IATP). Das Europäische Parlament habe einen entscheidenden Moment verpasst „um die Integrität und Ambition der EU-Klimapolitik zu gewährleisten“, so Scherger weiter.

Probleme: Offsetting, Doppelzählung, BECCS

Für Wijnand Stoefs, Politikreferent für Kohlenstoffentnahmen bei Carbon Market Watch (CMW), stellt die Position des Umweltausschusses zumindest eine „substantielle Verbesserung“ zum Kommissionsvorschlag dar. Dennoch sei der Kompromissvorschlag „alles andere als perfekt“. Es liege nun am Plenum die Schlupflöcher im Verordnungstext zu schließen und Greenwashing zu verhindern. Er betonte ebenfalls, dass bei der Verwendung der Zertifikate die Kompensation, sowohl auf dem freiwilligen Kohlenstoffmarkt als auch auf dem sogenannten Compliance-Markt, auszuschließen sei. Auch müsse hinsichtlich der Anrechnung nachgebessert werden. Es bestehe weiterhin das Risiko der Doppelzählung, sodass „dieselben durch ein Projekt erzeugten Entnahmegutschriften von Unternehmen und auch von Ländern zur Erreichung ihrer Klimaziele verwendet werden könnten“. Dies unterminiere jedoch von vornherein die Funktion und das Vertrauen in das CRCF. In der Stärkung der Nachhaltigkeitskriterien, insbesondere in Bezug auf die Biodiversitätswirkung, sieht Stoefs einen echten Fortschritt. Nur leider habe man verpasst, diese Kriterien auf sämtliche Aktivitäten auszuweiten, die einen Einfluss auf die Ökosystemen haben. Wie etwa das „nicht-nachhaltige und obszöne“ Verbrennen von Wäldern für das Klima durch holzbasiertes BECCS.

Noch besteht etwas Zeit für Nachbesserungen: Der Zertifizierungsrahmen zur Kohlenstoffentnahme soll ebenso wie die Pestizid-Verordnung (SUR) in der Woche vom 20.-23. November im Plenum des EU-Parlaments abgestimmt werden. [bp]

Pressemitteilung EU-Parlament

Verbändeposition zum EU-Zertifizierungsrahmen zur Kohlenstoffentnahme

Pressemitteilung Real Zero Europe

Pressemitteilung Carbon Market Watch

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