Umweltrat: EU verschiebt Entscheidung über Klimaziel 2040

Die EU-Umweltminister*innen haben beim Ratstreffen am 18. September keine Einigung für ein Klimaziel 2040 erreicht. Der Rat verabschiedete lediglich eine unverbindliche Absichtserklärung, die einen Zielkorridor von 66,25 bis 72,5 Prozent Emissionsminderung bis 2035 vorsieht - weit unter den Empfehlungen des Europäischen Wissenschaftlichen Beirats für Klimawandel (ESABCC). Nun könnte die EU ohne verbindlichen Beitrag zur COP30 im November nach Brasilien fahren. Umweltverbände finden das blamabel.
Die EU steht vor einer Blamage: Statt klarer Beschlüsse zu den Klimazielen 2035 und 2040 gab es beim Umweltrat nur eine unverbindliche Absichtserklärung. Mehrere Mitgliedstaaten blockierten beim Treffen der EU-Umweltminister*innen am 18. September die Einigung auf ein Klimaziel für 2040. Die EU-Kommission hatte im Juli ein 2040-Ziel von minus 90 Prozent vorgeschlagen. Polen bezeichnete dieses Ziel als zu ambitioniert und forderte, den Anteil internationaler CO₂-Zertifikate deutlich zu erhöhen. Ungarn und die Slowakei drängten ebenfalls auf niedrigere Ziele, Italien wollte die Begrenzung technologischer CO₂-Entnahmen lockern. Deutschland unterstützte zwar den Kommissionsvorschlag, machte aber klar, dass eine WTO-konforme Lösung für einen CO₂-Grenzausgleichsmechanismus nötig sei, um Wettbewerbsnachteile für die exportorientierte Industrie zu verhindern. Auch Frankreich stellte sich quer und verhinderte damit eine schnelle Einigung auf minus 90 Prozent bis 2040.
Der Streit im Umweltrat um das 2040-Klimaziel blockiert nun zugleich das 2035-Ziel, das eigentlich als offizieller europäischer Klimabeitrag zur nächsten Weltklimakonferenz, der COP 30, im brasilianischen Belém, vorgelegt werden sollte. Der Hintergrund: Nach dem Pariser Abkommen (Art. 4.9) müssen die Vertragsstaaten alle fünf Jahre einen aktualisierten Klimabeitrag (Nationally Determined Contribution, NDC) einreichen, in diesem Jahr die Emissionsreduktion bis 2035. In der EU hängt diese unmittelbar mit dem 2040-Ziel zusammen, das als strategischer Fixpunkt im europäischen Klimagesetz gilt und aus dem das 2035-Ziel abgeleitet wird. Eigentlich hätte die EU ihr aktualisiertes 2035-Ziel schon im Februar bei den Vereinten Nationen einreichen müssen. Weil es zu diesem Zeitpunkt noch keinen 2040-Vorschlag gab, aus dem man ein 2035-Ziel hätte ableiten können - die EU-Kommission legte ihren Vorschlag für das 2040-Ziel erst verspätet im Juli vor -, verstrich die Frist und die letzte Septemberwoche wurde als neue Deadline festgelegt.
Anstelle einer verbindlichen Festlegung erreichten die Mitgliedstaaten nun aber nur eine Absichtserklärung mit einem Zielkorridor von 66,25 bis 72,5 Prozent Emissionsminderung bis 2035, während die Entscheidung über das 2040-Ziel auf den EU-Gipfel im Oktober verschoben wurde.
„Dieses Absichtspapier ist olympiareife diplomatische Gymnastik, um nicht mit leeren Händen nach Brasilien zu fahren – aber beim Klimaschutz muss Europa Maßstäbe setzen, nicht Akrobatik zeigen“, so Shirley Matheson, Globale NDC-Koordinatorin beim WWF.
Mit leeren Händen nach Brasilien?
Bereits im Vorfeld des Treffens hatten zehn Umweltorganisationen – darunter BUND, NABU, WWF, Greenpeace, Germanwatch und der Deutsche Naturschutzring – Bundeskanzler Friedrich Merz in einem offenen Brief aufgefordert, das 2040-Ziel von minus 90 Prozent nicht auf die lange Bank zu schieben. Sie warnten, dass eine Verschiebung der Entscheidung vom Umweltrat auf den Europäischen Rat das Risiko eines abgeschwächten Klimaziels massiv erhöhe, da dort Einstimmigkeit gilt und Klimablockierer eine Verwässerung leicht durchsetzen könnten. „Gerade im zehnten Jubiläumsjahr des Pariser Klimaabkommens würde der globale Klimaschutzprozess ausgehöhlt“, heißt es in dem Schreiben. Deutschland müsse seiner Verantwortung gerecht werden, andernfalls drohe nicht nur ein zu schwaches EU-Klimaziel, sondern auch ein nationaler Sonderweg mit Wettbewerbsnachteilen für die deutsche Industrie. Auch Bundesumweltminister Carsten Schneider betonte im Vorfeld, dass Deutschland ein starkes 90-Prozent-Ziel für 2040 unterstütze: „Wenn wir von anderen erwarten, dass sie ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten, dann darf Europa nicht mit leeren Händen anreisen.“
Auch Germanwatch warnte: „Bei der Weltklimakonferenz COP30 in Brasilien können Deutschland und die EU ohne eigene ambitionierte Klimaziele keine ausreichenden Verpflichtungen von anderen erwarten“, so Petter Lydén, Bereichsleiter für Internationale Klimapolitik bei Germanwatch. Das EU-Ziel für 2035 müsse bei 76 Prozent Emissionsminderung liegen. „Das absolute Minimum wären 72,5 Prozent. Alles darunter wäre [...] grundgesetzwidrig.“ Der Europäische Wissenschaftliche Beirat für Klimawandel (ESABCC) hatte selbst mindestens 71 bis 80 Prozent Emissionsminderung bis 2035 empfohlen, um mit dem 2040-Ziel von 90 Prozent kompatibel zu bleiben.
Der WWF kritisierte zudem die Öffnung für internationale Offsets, also Ausgleichszertifikate aus dem Ausland: „Die Kommission wusste, dass sie mit den drei Prozent Offsets eine Büchse der Pandora öffnet. Manche Mitgliedstaaten zahlen lieber Drittstaaten fürs Reduzieren, als in die eigene Wirtschaft zu investieren“, so Michael Sicaud-Clyet, Referent für Klimapolitik bei WWF EU. Die Diskussion im Rat habe sich fast nur noch um Flexibilitäten und Schlupflöcher gedreht, statt um echte Emissionsminderungen im Inland.
„Mit leeren Händen zu den UN-Klimaverhandlungen zu gehen und die Rolle der Klimaführerin aufzugeben, ist eine riesige Blamage und ignoriert Europas Verantwortung dafür, sich über Jahrzehnte durch Verschmutzung bereichert zu haben“, mahnte Greenpeace.
Erst Ende Oktober dürfte das 2040-Ziel wieder auf den Tisch kommen, wenn die Staats- und Regierungschef*innen beim EU-Gipfel beraten. Zwar könnte ein Beschluss im Sonder-Umweltrat das Ziel noch vor der COP sichern, doch die Einstimmigkeit im Rat gefährdet Tempo und Ambition: Es droht ein verwässertes Ziel und die Entkopplung des 2035er-NDC.
Aktuell läuft noch die WeMove-Petition, mit der Bürger*innen europaweit Druck auf die Regierungen für ein starkes EU-Klimaziel machen können. Die Demontage von Klimaschutzmaßnahmen müsse verhindert werden, bevor es „kein Zurück mehr gibt“. [ks]
Rat der Europäischen Union: Environment Council, 18 September 2025
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ESABCC Scientific advice for amending the European Climate Law