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Weltnaturschutzunion (IUCN) öffnet die Tür für Gentechnik
EU-News | 20.11.2025
#Biodiversität und Naturschutz #EU-Umweltpolitik #Landwirtschaft und Gentechnik

Weltnaturschutzunion (IUCN) öffnet die Tür für Gentechnik

Pressekonferenz beim IUCN Kongress 2025
© Mark Butler/Nature Canada
Pressekonferenz beim IUCN Kongress 2025

Im Oktober 2025 reisten zahlreiche Vertreter*innen von NGOs, Regierungen und indigenen Völkern nach Abu Dhabi zum World Conservation Congress, um über zentrale Naturschutzfragen zu beraten und Resolutionen zu verabschieden. Eine der größten Kontroversen betraf erneut den Einsatz der sogenannten „synthetischen Biologie“, die auch Gentechnik umfasst.

Gastbeitrag von Naomi Kosmehl und Franziska Achterberg von Save Our Seeds 

Die International Union for Conservation of Nature (IUCN) ringt seit über einem Jahrzehnt damit, ob gentechnische Eingriffe in das Erbgut wildlebender Arten mit dem Naturschutz vereinbar sind. Was einst mit Debatten über „De-Extinction“ (Wiedererschaffung ausgestorbener Arten) begann, entwickelte sich schnell zu Fragen über Technologien wie Gene Drives (gentechnische Veränderungen, die an alle Nachkommen vererbt werden) die tief in Ökosysteme eingreifen und irreversible Folgen haben könnten.

Gentechnik als Mittel zum Naturschutz?

Bereits 2021 hatte die IUCN beschlossen, Leitlinien zum Umgang mit „synthetischer Biologie“ zu erarbeiten. Bei der „synthetischen Biologie“ geht es darum, biologische Systeme und Organismen zu verändern oder herzustellen, darunter solche, die in der Natur nicht vorkommen. Der Entwicklungsprozess der Leitlinien war jedoch von Intransparenz und Voreingenommenheit geprägt. So wurde eine Organisation mit der Moderation einer Bürgerversammlung betraut, deren offizielles Ziel es ist, Biotechnologien zu fördern. Über 80 NGOs forderten daher im Sommer 2024 einen Stopp des Prozesses, bis grundlegende Mängel behoben würden. 

Dennoch wurden die Leitlinien auf dem Kongress im Oktober nahezu unverändert verabschiedet – und öffnen damit die Tür für den Einsatz von Gentechnik in der Natur, auch explizit als Instrument des Naturschutzes.

Naomi Kosmehl
Einmal freigesetzt, lassen sich gentechnisch veränderte Wildorganismen nicht mehr zurückholen. Ihre Wechselwirkungen mit anderen Arten sind unvorhersehbar und könnten bereits fragile Ökosysteme dauerhaft schädigen.
Naomi Kosmehl
Kampagnen-Koordinatorin (Save our Seeds)

Ruf nach Gentechnik-Moratorium

Parallel zu den Leitlinien zu synthetischer Biologie stimmten die IUCN-Mitglieder über einen weiteren Antrag ab, in dem ein Moratorium auf die Freisetzung gentechnisch veränderter Wildorganismen gefordert wurde. Acht NGOs aus der ganzen Welt hatten den Antrag eingebracht, darunter der DNR, der gemeinsam mit internationalen Partner*innen vor Ort auf die Risiken einer solchen Freisetzung verwies: 

  • Einmal freigesetzt, lassen sich gentechnisch veränderte Wildorganismen nicht mehr zurückholen. Ihre Wechselwirkungen mit anderen Arten sind unvorhersehbar und könnten bereits fragile Ökosysteme dauerhaft schädigen.
  • Unsere Gesetze — sowohl national als auch international — sind gänzlich unvorbereitet auf die Freisetzung gentechnisch veränderter Wölfe, sich selbst verbreitender Gentechnik-Viren oder Gene-Drive-Mücken, die ganze Populationen heimischer Arten auslöschen sollen.
  • Gerade jetzt, wo unsere Natur dringend Schutz benötigt, drohen solche Vorhaben, gefährdete Arten und ohnehin geschwächte Ökosysteme weiter zu destabilisieren – und zugleich das Vertrauen in Wissenschaft und Naturschutz zu beschädigen.

Über 100 Wissenschaftler*innen, darunter Mitwirkende an IPBES-Berichten, sowie über 90 NGOs unterstützten die Forderung nach einem Moratorium.

Bei der Abstimmung unterstützte eine Mehrheit von NGOs und Organisationen indigener Völker diesen Antrag. Doch bei der IUCN muss auch eine Mehrheit von Regierungsorganisationen zustimmen. Hier scheiterte der Moratoriumsantrag denkbar knapp – mit 88 zu 87 Stimmen. Es zeigte sich, dass die internationale Naturschutzgemeinschaft beim Thema Gentechnik tief gespalten ist.

Forderung nach Schutzmaßnahmen

Dennoch forderten die IUCN-Mitglieder die Generaldirektorin und die Kommissionen auf, sich für “zusätzliche Schutzmaßnahmen bei der Freisetzung von gentechnisch veränderten Wildorganismen in natürliche Ökosysteme” einzusetzen. Diese Schutzmaßnahmen wird der DNR weiterhin einfordern – denn die Natur ist kein Versuchslabor, wir müssen sie vorsorglich vor weiteren Schäden bewahren. 

Einfluss der Technologieentwickler

Die Unterstützung für die Leitlinien – und Ablehnung des Moratoriums – ging maßgeblich von Technologieentwicklern wie Target Malaria aus, einem Konsortium, das Gene-Drives zur Ausrottung malariaübertragender Mücken freisetzen will. Target Malaria trat beim Kongress mit großer Präsenz auf, ebenso die US-NGO Revive & Restore, für die die Ablehnung des Moratoriums „mission critical“ war.

Malick Shahbaz Ahmed, Geschäftsführer der pakistanischen Sungi Development Foundation und Mitinitiator des Moratoriumsantrags, sagte:

„Es ist besorgniserregend, dass es einigen wenigen finanzstarken Technologieentwicklern gelungen ist, die Agenda der IUCN zu beeinflussen. Die meisten Mitglieder stehen der Gentechnik im Naturschutz eher ablehnend gegenüber. Dennoch hat die Organisation als Ganze versäumt, sich von solchen Risikotechnologien zu distanzieren. Entscheidungen über neue Technologien, die die Natur gefährden könnten, müssen von Vorsorge, Integrität und den Stimmen der Schwächsten geleitet sein.“ 

Deutsche Naturschützer für ein Moratorium

Auffällig war die klare Positionierung der deutschen Zivilgesellschaft: Alle deutschen NGOs stimmten für das Moratorium – mit nur einer Enthaltung und einer Gegenstimme. Die beiden deutschen Regierungsorganisationen, die IUCN-Mitglieder sind – BMUKN und BfN – enthielten sich. Auch in Frankreich erfuhr der Antrag breite Unterstützung, in anderen EU-Ländern war dies jedoch weniger der Fall. 

EU-Debatte über Neue Gentechnik

Diese Mitte Oktober gezeigten Positionen europäischer Regierungsorganisationen sind weitgehend übereinstimmend mit vorgebrachten Haltungen zur (De-)Regulierung der Gentechnik in der EU. Hier wird gerade an einem Gesetz gearbeitet, mit dem Pflanzen aus der sogenannten „Neuen Gentechnik“ (NGT) von den EU-Vorgaben zu Risikobewertung, Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Organismen ausgenommen werden sollen. Damit wären Lebensmittel aus solchen Gentechnik-Pflanzen für Verbraucher*innen nicht mehr erkennbar, und mögliche Gefahren für Mensch und Umwelt würden nicht mehr geprüft. Kritiker*innen warnen, dass diese Deregulierung das europäische Vorsorgeprinzip aushebeln würde.

Franziska Achterberg
Sollten Pflanzen aus der sogenannten „Neuen Gentechnik“ künftig vom EU-Gentechnikrecht ausgenommen werden, fielen zentrale Schutzmaßnahmen weg. Gentechnikprodukte würden ohne Kennzeichnung und ohne vorherige Risikoprüfung vermarktet werden. Damit wären gentechnikfreie Landwirtschaft und Saatgutzüchtung gefährdet.
Franziska Achterberg
Leiterin Politik (Save Our Seeds)

Der DNR fordert auch zukünftig eine umfassende Risikoprüfung aller gentechnisch veränderten Organismen und ein Verbot ihrer Patentierung. Das hat er in einem gemeinsamen Schreiben mit dem BUND an Umweltminister Carsten Schneider deutlich gemacht. Denn die Patentierung von Saatgut schränkt den Zugang zu Saatgut und genetischen Ressourcen ein und trägt so zur ökologischen Verarmung landwirtschaftlicher Ökosysteme bei. 

Umweltminister Schneider gefordert

Die Verhandlungen zum NGT-Gesetz gehen derzeit in die letzte Runde. Sollten Risikoprüfung und Patentierungsverbot am Schluss nicht im Gesetzesentwurf enthalten sein, darf die Bundesregierung dem geplanten Gesetz nicht zustimmen. 

Die Bundesregierung sollte sich, bei Wildorganismen wie Kulturpflanzen, für einen vorsorglichen Schutz vor negativen Auswirkungen auf die Umwelt einsetzen – zum Schutz der Biodiversität und Ökosysteme und der Rechte zukünftiger Generationen.

Über die Autorinnen

Franziska Achterberg war 13 Jahre bei Greenpeace und befasste sich dort unter anderem mit Gentechnik und Pestiziden. Bevor sie 2024 zu Save Our Seeds kam, war sie vier Jahre lang für die Fraktion der Grünen/EFA im Europäischen Parlament tätig. Dort beschäftigte sie sich mit Fragen der biologischen Vielfalt, einschließlich Gentechnik, Wälder und Meere. Naomi Kosmehl arbeitet seit 2021 bei Save Our Seeds und ist dort vor allem für die Stop Gene Drive-Kampagne zuständig. Zuvor arbeitete sie zu den Lieferketten von Unternehmen und Migration. Naomi hat einen Masterabschluss in Menschenrechten und humanitärer Hilfe von der Universität Sciences Po Paris, Frankreich.

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