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Wo stehen wir beim europäischen Green Deal?
EU-News | 17.04.2024
# sozial-ökologische Transformation #EU-Umweltpolitik #Europawahl

Wo stehen wir beim europäischen Green Deal?

Ein grün bekleideter Arm hält eine Tafel mit Aufschrift "Europäischer Green Deal!" in den EU-Sternenkreis vor blaubem Hintergrund
© AdobeStock / hkama
Grün ist die Hoffnung? Was wird aus dem europäischen Green Deal?

Mit dem europäischen Green Deal hat die Europäische Union den Startschuss für eine sozial-ökologischen Transformation Europas gegeben. Doch der Umbau der Wirtschaft und Gesellschaft hin zu Klimaneutralität und Umweltschutz ist kein 100-Meter-Sprint, sondern eher ein Marathon. Damit uns auf halber Strecke nicht die Puste ausgeht, ist es wichtig, am 9. Juni bei der Europawahl wählen zu gehen.

Eins ist sicher, wir sind in der endenden Legislatur große Schritte vorwärts hin zu einer klimaneutralen, zukunftsfähigen EU gekommen. Bei aller Kritik an dem was noch fehlt, um diesen Marathon erfolgreich zu meistern und dabei alle mitzunehmen, ist es trotzdem wichtig, die Erfolge anzuerkennen. Kleine Zwischenerfolge zu feiern hilft schließlich die Motivation aufrechtzuerhalten - und die brauchen wir dringend. Der aktuelle Stand der Green Deal-Gesetze ist hier einsehbar.

The Good: Auf dem richtigen Weg hin zu einem zukunftsfähigen, klimaneutralen Europa

Ein großer Erfolg ist das „Fit-for-55“-Paket, ein Gesetzesbündel zur Klima- und Energiepolitik der EU für dieses Jahrzehnt, das sicherstellen soll, dass die EU ihr Klimaziel von mindestens 55 Prozent Reduktion der Treibhausgasemissionen bis 2030 erreicht. Herzstück ist der bestehende Emissionshandel für Energie und die energieintensive Industrie (ETS1), der in den nächsten Jahren um einen weiteren Emissionshandel für den Verkehrs- und Gebäudesektor (ETS2) ergänzt wird. Auch wenn es daran viel berechtigte Kritik und einiges an Verbesserungspotenzial gibt, ist es ein Erfolg, dass ein Großteil der europäischen CO2-Emissionen reguliert und gedeckelt werden. Mit dem Klimasozialfonds ist zudem die soziale Flankierung von Klimaschutzmaßnahmen angedacht. Weitere Elemente des Pakets sind Ziele für den Ausbau der erneuerbaren Energien und die Stärkung der Energieeffizienz sowie für die Emissionsminderung in vielen Sektoren für die Mitgliedstaaten. Besonders wichtig aus Umweltsicht sind außerdem Vorschriften wie das Verbrenner-Aus für Pkw bis 2035 sowie die beschlossene Gebäudeeffizienzrichtlinie. 

Der Green Deal geht aber deutlich über das „Fit-for-55“-Paket hinaus. Zu Beginn der Legislatur hat die EU-Kommission noch einige gute Impulse gesetzt, insbesondere mit der Farm-to Fork-Strategie zur nachhaltigeren, gesünderen Produktion von Lebensmitteln, der Biodiversitätsstrategie zum Schutz und zur Wiederherstellung der Artenvielfalt und dem Aktionsplan Kreislaufwirtschaft zur Minderung des Ressourcenverbrauchs. Jedoch wurden nur Teile dieser Strategien und Pläne umgesetzt. Im Naturschutz ist hier vor allem das EU-Renaturierungsgesetz zu nennen. Dieses Gesetz soll die Wiederherstellung der zahlreichen geschädigten Ökosysteme in der EU voranbringen. Auch wenn es auf der Zielgeraden noch stark verwässert wurde, ist es ein wichtiger Baustein des Green Deals, dem die EU-Mitgliedstaaten nun dringend zustimmen müssen und der in der nächsten Legislatur mit finanziellen Mitteln gestärkt werden muss. Erfolge in der Kreislaufwirtschaft sind unter anderem das Recht auf Reparatur und die Ökodesign-Verordnung, mit der das Recycling von Produkten gestärkt und die Vernichtung unverkäuflicher Textilien verboten werden. Auch die noch nicht zu Ende verhandelte Verpackungsverordnung, die Verpackungsabfälle reduzieren soll, gilt als wichtiger Baustein für die Kreislaufwirtschaft.

The Bad: Humpelnder Green Deal – Klimaschutz "ja", Natur-, Tier- und Umweltschutz "jein"  

Allerdings scheint der Wille für bestimmte Gesetzesvorhaben des Green Deals – insbesondere zur Eindämmung der Biodiversitätskrise – auch in der EU-Kommission zu schwinden: So hat sie die im Green Deal vorgesehene Revision der EU-Chemikalienverordnung REACH aufgegeben und sich damit von der Vision einer giftfreien Umwelt verabschiedet. Gerade im Landwirtschaftssektor sind in dieser Legislaturperiode sehr viel weniger Verbesserungen zur Ursachenbekämpfung angeschoben worden als geplant. Dabei ist die Gesetzgebung in der Landwirtschaft ein zentraler Hebel, um die EU nachhaltig, giftfrei, klimaneutral und insgesamt gerechter für Tier und Mensch zu gestalten. Doch wichtige Initiativen wurden zurückgezogen: etwa zum Tierschutz, für eine niedrigere Pestizidnutzung, nachhaltigere Ernährungssysteme oder zum Bodenschutz. Noch schlimmer: Die EU-Kommission will aktuell in der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) Mindeststandards zum Schutz der Umwelt abbauen.

Elena Hofmann
Gerade in Krisenzeiten sollte klar sein, dass Klimaneutralität nur Hand in Hand mit sozialer Gerechtigkeit geht.
Elena Hoffmann, DNR
Referentin für EU-Klimapolitik und Koordinatorin für die Europawahl

The Ugly: Stolpersteine auf dem Weg hin zur sozial-ökologischen Transformation

Im Wahlkampf zeigt sich aktuell, dass einige Parteien den Green Deal bremsen wollen. Zwar scheinen die Europäische Volkspartei (EVP) und Ursula von der Leyen grundsätzlich am Green Deal festzuhalten, gleichzeitig wurden aber auch Rufe nach einem legislativen Moratorium und sogar der Abschaffung des Verbrenner-Aus für Pkw bis 2035 laut. Die FDP will in ihrem Europawahlprogramm darüber hinaus die Gebäudeeffizienzrichtlinie und die Ökodesignrichtlinie abschaffen. Diese Haltung würde die soziale Spaltung in Europa drastisch verstärken, wenn die Preise in den verbraucher*innennahen Gebäude- und Verkehrssektoren durch den neuen Emissionshandel (ETS2) steigen werden. Dabei sollte gerade in Krisenzeiten klar sein, dass Klimaneutralität nur Hand in Hand mit sozialer Gerechtigkeit geht.

Um den Marathon der sozial-ökologischen Transformation durchzuhalten, sollten wir uns nicht selbst Steine in den Weg legen. Dazu gehört, Gerechtigkeit als Basis der sozial-ökologischen Transformation immer mitzudenken. Die Transformation kann nur gelingen, wenn alle Menschen in der EU dazu befähigt sind, diese mitzugestalten. Nur so steigt auch die Akzeptanz für Klima- und Umweltschutz in der Bevölkerung. Durch die Gleichberechtigung der Geschlechter und die Rücksicht auf marginalisierte Gruppen lassen sich soziale Ungleichheit und Umweltverschmutzung reduzieren und gesellschaftliche Teilhabe erhöhen. Ökologisch wirksame Preissignale müssen daher sozial abgefedert werden. Für den Klimaschutz heißt das beispielsweise, Finanzinstrumente wie den Klimasozialfonds dringend zu stärken und endlich ein europäisches Klimageld einzuführen. Marktbasierte Instrumente zur CO2-Bepreisung wie der ETS2 müssen dringend von ordnungsrechtlichen Sanierungsstandards im Gebäudesektor begleitet werden. Nur wenn alle Menschen unabhängig von ihrer ökonomischen oder sozialen Situation am ökologischen Fortschritt teilhaben, können der soziale Frieden gesichert werden und die Wärme- und Mobilitätswende gelingen.

Das Ziel fest im Blick: Wie weiter mit dem Green Deal?

Mit dem Green Deal hat die EU einen guten Start hingelegt. Doch jetzt braucht es Durchhaltevermögen. Das Programm für den sozial-ökologischen Umbau muss konsequent umgesetzt und weiterentwickelt werden, damit die EU klimaneutral, nachhaltig und resilient wird. Dafür sind die EU-Wahlen im Juni 2024 und das kommende Arbeitsprogramm der künftigen EU-Kommission entscheidend. Es braucht starke Initiativen, mit denen die Landwirtschaft ökologischer, sozialer und klimafit gemacht oder der Verkehrssektor elektrifiziert und auf die Schiene verlegt wird. Wichtig ist, sämtliche Finanzmittel klar an die Erfordernisse zur Realisierung des europäischen Green Deals anzupassen und mehr Konsistenz zwischen öffentlicher Umwelt- und Finanzpolitik zu schaffen. All das fordern 95 DNR-Mitgliedsorganisationen in ihren Europawahlforderungen. 

Denn die rechtsextremen und -konservativen Fraktionen könnten im nächsten EU-Parlament einen riesigen Zuwachs bekommen. Eine Mehrheit für mehr Klima- und Umweltschutz wird dann immer unwahrscheinlicher. Gerade angesichts dieses rasanten Zuwachses an rechtspopulistischen und europafeindlichen Kräften müssen die europäischen Bürger*innen und Parteien jetzt alles daran setzen, die Demokratie zu stärken, nicht zuletzt, um die konsequente Weiterführung und Umsetzung des europäischen Green Deals sicherzustellen. Darüber werden wir bei der Europawahl am 9. Juni entscheiden: Uns darf jetzt nicht die Puste ausgehen hin zu einer nachhaltigeren, gerechteren, klimaneutralen und menschlicheren EU.

Die Autorin

Die Politikwissenschaftlerin Elena Hofmann ist Referentin für EU-Klimapolitik beim Deutschen Naturschutzring und Koordinatorin für die Europawahl. Außerdem hostet sie den Podcast „EU, was geht? Dein Podcast zur Europawahl“.

Der Artikel ist in leicht veränderter Form im März 2024 im Rundbrief des Forums Umwelt und Entwicklung erschienen.

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