EU-News | 30.04.2025
#Bundestagswahl #Biodiversität und Naturschutz #Chemikalien #EU-Umweltpolitik #Klima und Energie #Landwirtschaft und Gentechnik #Politik und Gesellschaft Koalitionsvertrag: So positioniert sich die Bundesregierung zur EU-Umweltpolitik

Am 9. April haben SPD, CDU und CSU ihren Koalitionsvertrag für die Regierungsperiode 2025–2029 vorgestellt. Auch die europäische Umwelt- und Klimapolitik wird darin adressiert. Während einige Verpflichtungen fortbestehen, drohen gleichzeitig Abschwächungen bei Umweltstandards und Beteiligungsrechten. Was genau steht drin?
Klima und Energie
- Klimaziele: Im Bereich der europäischen Klimapolitik hält die Koalition an bereits bekannten Zielen fest, verknüpft diese jedoch mit Einschränkungen. So bekennt sie sich zum Ziel der Klimaneutralität bis 2045 und unterstützt das europäische Emissionsreduktionsziel für 2040 (minus 90 Prozent gegenüber 1990). Allerdings wird die Zustimmung an Bedingungen geknüpft, die die 90-Prozent-Emissionsreduktion verwässern: CO₂-Minderungsprojekte in Drittstaaten sollen angerechnet werden können (ähnliche Schlupflöcher werden auf EU-Ebene bereits diskutiert, siehe EU-News zum EU-Klimaziel 2040). Außerdem bleibt Deutschland bei seinem festgelegten Klimaziel für 2040 und wird keine darüber hinausgehenden Ziele befürworten.
- Emissionshandel: Die Koalition bekennt sich zum europäischen Emissionshandelssystem ETS I und II und kündigt soziale Ausgleichsmaßnahmen an, die über den EU-Klimasozialfonds und nationale Rückverteilungen aus CO₂-Einnahmen erfolgen sollen. „Unbürokratische und sozial gestaffelte Entlastungen und Förderungen beim Wohnen und bei der Mobilität” versprechen die Koalitionäre. Wie erwartet, soll der Agrarsektor weiterhin vom Emissionshandel ausgenommen bleiben.
- Energiepolitik: Im Energiebereich setzt die Koalition auf die Vollendung des europäischen Energiebinnenmarktes sowie auf eine Reduzierung der Abhängigkeiten bzw. Stärkung der Resilienz heimischer Produktion bei strategischen Technologien wie erneuerbare Energien. Die EU-Gasbinnenmarktrichtlinie soll zügig umgesetzt werden.
- Energieeffizienz: Das Energieeffizienz- und Energiedienstleistungsgesetzes sollen vereinfacht und auf die EU-rechtlich notwendigen Vorgaben begrenzt werden – eine Stoßrichtung, die aus Sicht vieler Umweltverbände mit dem Risiko verbunden ist, nationale Standards und Ambitionen im Bereich der Energieeffizienz aufzuweichen.
- Gebäudesektor: Auch das Gebäudeenergiegesetz soll reformiert und „technologieoffen” ausgestaltet werden. Künftig soll die erreichbare CO₂-Vermeidung als zentrale Steuerungsgröße dienen. Gleichzeitig strebt die Koalition eine Harmonisierung der Gebäudeeffizienzklassen mit den europäischen Nachbarländern und eine Verlängerung der Umsetzungsfristen der Europäischen Gebäuderichtlinie (EPBD) an. Die Koalition spricht sich zudem für eine Verlängerung der Umsetzungsfristen aus und will den Quartiersansatz stärken. Umweltverbände kritisieren, dass der Quartiersansatz kein Ersatz für verbindliche Effizienzstandards auf Gebäudeebene sein darf.
- Erneuerbare Energien und Emissionen: Die Koalition befürwortet die Umsetzung der EU-Richtlinie RED III, eine Erhöhung der Treibhausgasquote und eine vereinfachte Umsetzung der Luft- und Industrieemissionsrichtlinien.
- Mobilität: Strafzahlungen bei Flottengrenzwerten sollen vermieden, CO₂-Ziele für Nutzfahrzeuge überprüft werden.
Industrie und Wirtschaft
- Industrie: Im Bereich der Industriepolitik bekennt sich die Koalition dazu, den Clean Industrial Deal auf europäischer Ebene weiterzuentwickeln, um Wettbewerbsfähigkeit und Klimaschutz strategisch miteinander zu verknüpfen. Dafür sollen Genehmigungsverfahren beschleunigt und das Beihilferecht modernisiert werden. Der Schutz energieintensiver Branchen vor Carbon Leakage – also der Kohlenstoffverlagerung durch Abwanderung von Unternehmen aufgrund unterschiedlicher Klimaschutzstandards – wird explizit betont und soll mit gezielten industriepolitischen Maßnahmen verhindert werden. Zudem sollen Leitmärkte wie emissionsarmer Stahl gezielt gefördert werden. Die klimaneutrale Transformation der Stahlindustrie will sie aktiv unterstützen. Dazu sollen auch CCS-Technologien zum Einsatz kommen. Die Bundesregierung wird sich außerdem für eine effektive Nachfolgelösung für die 2026 auslaufenden EU-Safeguards einsetzen.
- Kreislaufwirtschaft: Generell soll Kreislaufwirtschaft gestärkt und eine Reduktion des Primärrohstoffverbrauchs angestrebt werden. Gleichzeitig sollen jedoch Berichtspflichten im Bereich der Kreislaufwirtschaft auf EU-Ebene überprüft werden. Die EU-Verpackungsverordnung soll „praktikabel” umgesetzt werden.
Umwelt
- Chemikalien: Die Koalition lehnt ein generelles Verbot ganzer Stoffgruppen wie PFAS ab und setzt sich für einen risikobasierten Ansatz im europäischen REACH-Regelwerk ein, der Umwelt- und Gesundheitsschutz mit Wettbewerbsfähigkeit vereinen soll.
- Bürokratieabbau: Die Bundesregierung plant einen umfassenden Bürokratieabbau, der auch das Umweltrecht betrifft. Berichtspflichten sollen reduziert, Antragsverfahren vereinfacht und digitalisiert werden. Schwellenwerte für Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) sollen erhöht und das Verbandsklagerecht auf das europarechtlich notwendige Mindestmaß begrenzt werden. Darüber hinaus will die Koalition zentrale EU-Regelwerke wie die Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten (EUDR), die Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD), die Richtlinie über unternehmerische Sorgfaltspflichten (CSDDD), die EU-Taxonomie und den CO₂-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) begrenzen. Sie unterstützt das sogenannte Omnibusverfahren der EU-Kommission zur Entlastung kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) und strebt damit an, die Rechts- und Planungssicherheit für Unternehmen zu erhöhen.
Naturschutz sowie Land- und Forstwirtschaft
- Land- und Forstwirtschaft: Die Koalition will eine Entlastung der deutschen Forstwirtschaft bei der Umsetzung der EU-Verordnung für entwaldungsfreie Produkte (EUDR) erreichen.
- Gemeinsame Agrarpolitik: Die erste Säule der GAP soll einkommenswirksam, bürokratieärmer, transparenter und effizienter ausgestaltet werden und dabei deutlich mehr Einkommensanreize für die Erbringung von Klima-, Umwelt- und Tierwohlleistungen setzen. Ebenso sollen Jung- und Neulandwirtinnen und -landwirte stärker gefördert werden.
- Tier- und Naturschutz: Die Koalition will weniger EU-Naturschutz: Sie lehnt das EU-Bodenschutzgesetz ab und setzt sich für Erleichterungen bei der EU-Verordnung zur Naturwiederherstellung ein. Außerdem unterstützt sie den Vorschlag der EU-Kommission zur Herabstufung des Schutzstatus' des Wolfes in der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie und will diesen unverzüglich in nationales Recht umsetzen.
Europapolitik
- EU-Haushalt: Ab 2028 soll der Mehrjährige Finanzrahmen (MFR) so ausgestaltet werden, dass er Europas sicherheits- und wirtschaftspolitische Handlungsfähigkeit stärkt. Die Koalition bewertet eine Orientierung am Status quo als unzureichend und fordert die gezielte Adressierung aktueller geopolitischer Herausforderungen. Deutschland soll dabei einen angemessenen Beitrag leisten, ohne jedoch für Schulden anderer Mitgliedstaaten zu haften. Zudem unterstützt die Koalition die Vorschläge der EU-Kommission für einen „einfacheren, transparenteren und flexibleren” MFR und spricht sich für einen Rückzahlungsplan für die Aufbauinstrumente aus NextGenerationEU aus. Auch der Zeitplan für neue EU-Eigenmittel wird unterstützt. Darüber hinaus wird ein ausreichendes Budget für die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) als eigenständiger Politikbereich gefordert (siehe oben).
- Kohäsionspolitik: Die Kohäsionspolitik soll ab 2028 gestärkt und stärker regional verankert werden. Eine eigenständige Fondsstruktur und gezielte Unterstützung von strukturschwachen Regionen werden befürwortet, eine Zentralisierung wird abgelehnt.
Erste Einschätzungen und Reaktionen von Umwelt- und Klimaverbänden zum Koalitionsvertrag finden Sie in unserem Überblicksartikel "Koalitionsvertrag ruft kritische Reaktionen hervor". [ks]
Link zum Koalitionsvertrag