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Omnibus-Paket IV: Kommission streicht Sorgfaltspflichten für 38.000 Unternehmen
EU-News | 22.05.2025
# sozial-ökologische Transformation #Chemikalien #EU-Umweltpolitik #Rohstoffe und Ressourcen #Wirtschaft

Omnibus-Paket IV: Kommission streicht Sorgfaltspflichten für 38.000 Unternehmen

Containerschiff
© Johan Taljaard
Containerschiff

Das neue Omnibus-Paket der EU-Kommission verspricht Entlastung für mittelgroße Unternehmen. 38.000 sogenannte „Small Mid-Caps“, die als neue Kategorie zwischen KMU und Großunternehmen eingeführt werden, sollen von acht Gesetzen ausgenommen werden. Kritiker*innen werfen der Kommission vor, mit dem Vorschlag nicht auf die eigentlichen Herausforderungen mittelständischer Unternehmen zu reagieren, sondern Umwelt-, Sozial- und Verbraucherstandards gezielt auszuhöhlen.

Die Europäische Kommission hat am 21. Mai ein neues Gesetzespaket vorgestellt, das den Binnenmarkt vereinfachen und Unternehmen entlasten soll. Kernstück des sogenannten „Vierten Omnibus-Pakets zur Vereinfachung“ (engl. Fourth Simplification Omnibus Package) ist die Einführung einer neuen Kategorie von Unternehmen: Small Mid-Caps (SMCs). Diese mittelgroßen Unternehmen mit bis zu 750 Beschäftigten und einem Umsatz von maximal 150 Millionen Euro oder bis zu 129 Millionen Euro an Vermögenswerten sollen künftig von einer Reihe von EU-Vorgaben ausgenommen werden – darunter Regelungen zu Datenschutz, Umwelt und Unternehmensverantwortung. Das Gesetzespaket soll den Verwaltungsaufwand für diese Unternehmen bis 2029 um 25 Prozent und für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) um 35 Prozent senken und Unternehmen jährlich 400 Millionen Euro einsparen.

Die Maßnahme richtet sich an Unternehmen, die bislang knapp oberhalb der Grenze für kleine und mittlere Unternehmen lagen und deshalb umfassenden Berichtspflichten unterfielen. Laut Stéphane Séjourné, EU-Kommissar für Industriepolitik, soll die Maßnahme wachstumsorientierten Unternehmen helfen, die „Brutalität“ regulatorischer Schwellen zu vermeiden. Diese Schwelle lag bisher bei 250 Beschäftigten. Zur Einordnung: Lediglich 0,2 Prozent aller Unternehmen in der EU beschäftigen mehr als 249 Mitarbeiter und fallen überhaupt in diese Kategorie. Mit der neuen Kategorie der Small Mid-Caps sollen nun weitere Unternehmen von bestehenden Pflichten befreit werden.

38.000 Unternehmen von acht EU-Verordnungen ausgenommen

Insgesamt betrifft die neue Definition rund 38.000 europäische Unternehmen. Sie sollen laut Kommission unter anderem von folgenden Rechtsakten ausgenommen werden:

  • Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)
  • Batterieverordnung
  • Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID)
  • Antisubventionsverordnung
  • Antidumping-Verordnung
  • F-Gase-Verordnung
  • Richtlinie über die Resilienz kritischer Einrichtungen (CER)
  • Prospektverordnung.

Und das dürfte erst der Anfang sein. Gegenüber ENDS Europe erklärte Séjourné, dass derzeit geprüft werde, in welchen weiteren Bereichen bereits beschlossene Rechtsakte aus der vorherigen Legislaturperiode mehr „Flexibilität” erhalten könnten. Ziel sei es, „die Grundlagen eines neuen industriellen Gefüges in Europa zu schaffen”, um die Wachstumsbedingungen für mittelständische Unternehmen zu verbessern. 

Ein Rückschritt in der Unternehmensverantwortung

Für die Grünen/EFA im Europäischen Parlament greift der Vorschlag der Kommission am eigentlichen Problem vorbei: Der regulatorische Aufwand sei nicht der Hauptgrund für die Wachstumsbremse bei mittelgroßen Unternehmen – viel gravierender seien Fachkräftemangel, unterbrochene Lieferketten und Schwierigkeiten bei der Rohstoffbeschaffung. Doch auf diese Herausforderungen gebe die Kommission keine Antwort. Was Unternehmen wirklich bräuchten, seien verlässliche Rahmenbedingungen, gezielte Unterstützung bei der Umsetzung bestehender Regeln und nicht pauschale Ausnahmen, die das Regelwerk aushöhlen.

Anna Cavazzini (EFA/Greens), Vorsitzende des Binnenmarktausschusses, warnt zudem vor gefährlichen Standardsenkungen durch die neuen Ausnahmen im digitalen Bereich oder bei der Ökodesign-Verordnung. Sie fordert stattdessen ein klares Bekenntnis zur Marktüberwachung und zur raschen Einführung des digitalen Produktpasses: „Vereinfachung darf nicht auf Kosten von Umwelt-, Verbraucher- und Sozialstandards gehen.“

„In einem Sektor mit hoher sozialer und ökologischer Relevanz darf die Unternehmensgröße nicht über Verantwortung entscheiden“

Besonders kritisch sehen Umweltorganisationen auch die geplanten Änderungen an der Batterieverordnung. Demnach sollen Sorgfaltspflichten – etwa zur Herkunft und Nachhaltigkeit von Kobalt, Lithium und Nickel – für Small Mid-Caps nicht gelten. Robin Roels, Referent für Rohstoffpolitik beim European Environmental Bureau (EEB), warnte gegenüber Sustainable Views: „In einem Sektor mit hoher sozialer und ökologischer Relevanz darf die Unternehmensgröße nicht über Verantwortung entscheiden.“ 

Zudem plant die Kommission, die Anwendung dieser Vorgaben für den übrigen Teil der Batterieindustrie um zwei Jahre zu verschieben. Dies stößt auf scharfe Kritik: Emily Ritchey, Expertin für Lieferketten bei Transport & Environment, sagte ebenfalls gegenüber Sustainable Views: „Lange Verzögerungen gefährden nicht nur die bislang erzielten Fortschritte, sondern schädigen auch die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen.“ Die Kommission müsse „die Umsetzung richtig angehen und jede weitere Schwächung der Regeln ausschließen“.

Auch für die Chemiebranche zeichnet sich eine ähnliche Entwicklung ab: Am 2. Juli will die Kommission ihren angekündigten Aktionsplan zur Unterstützung der Industrie vorlegen – ergänzt um einen sektorspezifischen Omnibus. Mit Verweis auf contexte.com berichtet Europe.Table, dass sich dieser Omnibus auf zwei zentrale Verordnungen konzentrieren soll: die Verordnung zur Kennzeichnung chemischer Stoffe (CLP) und die Verordnung über kosmetische Produkte (CPR). Geplant sind unter anderem Ausnahmen bei den Werbevorgaben für gefährliche Stoffe sowie Lockerungen beim Verbot krebserregender Substanzen in Kosmetika.

Industrieinteressen werden über Umwelt- und Demokratiebelange gestellt

Besonders brisant: Der europäische Green Deal, einst als Leuchtturmprojekt der Kommission gefeiert, bleibt im neuen, parallel vorgelegten Binnenmarktstrategiepapier völlig unerwähnt – obwohl er im Vorfeld ausdrücklich als Ziel der Reformen genannt worden war. NGOs wie das Corporate Europe Observatory werfen der Kommission daher vor, Industrieinteressen über Umwelt- und Demokratiebelange zu stellen. Der neue Kurs ermögliche es der Wirtschaft, nationale und kommunale Schutzregeln gezielt auszubremsen. Olivier Hoedeman, Kampagnenkoordinator beim Corporate Europe Observatory, kritisierte: „Die neue Binnenmarktstrategie wird den demokratischen Handlungsspielraum der Regierungen weiter einschränken, der notwendig ist, um Menschen und Umwelt zu schützen. Stattdessen erhält die Industrie weitreichende Möglichkeiten, nationale und kommunale Schutzvorgaben zu blockieren oder rückgängig zu machen.“ Das sei „gefährlich in Zeiten wachsender sozialer Ungleichheit, einer sich verschärfenden ökologischen Krise und zunehmender Sorgen um die Demokratie“. [ks]

EU-Kommission: EU-Kommission will Verwaltungskosten für Unternehmen um 400 Millionen Euro jährlich senken

Politico: Commission exempts 38,000 companies from 8 EU laws

ENDS Europe: Commission plans ‘environmental omnibus’ by year end

Tagesspiegel Background: Brüssel will Vorgaben für Batterieindustrie lockern [kostenpflichtig]

Greens/EFA: A new omnibus that misses the real needs of businesses

Corporate Europe Observatory: Single-minded Single Market Strategy

Sustainable Views: EU proposes delaying and reducing scope of due diligence in Batteries Regulation

Europe.Table: Chemie-Industrie: Aktionsplan kommt am 2. Juli  [kostenpflichtig]

Kleines Omnibus-Glossar

Unter dem Motto Bürokratie-Abbau und Vereinfachung veröffentlicht die EU-Kommission derzeit verschiedene Gesetzesvorschläge. Eine sogenannte Omnibus-Verordnung (lat. omnibus = alle) fasst mehrere bestehende Regelungen zu einem Thema in einem Dokument zusammen, so dass die Änderungen dann gebündelt entschieden werden können.

Omnibus I: Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD und EU-Taxonomie) und Omnibus II: Sorgfaltspflichten wurden gemeinsam am 26. Februar 2025 veröffentlicht (zugehörige Pressemitteilung hier). Analysen von Germanwatch EU-Omnibus-Vorschläge für die Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) 
EU-Omnibus-Vorschläge für die EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD)

Omnibus III: Der Vorschlag zur Vereinfachung der Gemeinsamen Agrarpolitik wurde am 14. Mai 2025 veröffentlicht. Unsere Einordnung lesen Sie hier: EU-News 20.05.2025.

Omnibus IV: Vorschläge zur Vereinfachung des Binnenmarktes wurden am 21. Mai 2025 vorgelegt, siehe Artikel oben.

In Planung:

vrsl. Juni 2025: Vorschläge zur Vereinfachung der Verteidigungspolitik.

Es folgen (ohne konkretes Datum, wahrscheinlich Anfang Juli) ein Omnibus-Paket für die chemische Industrie und (ohne konkretes Datum) ein Digitalpaket. Laut ENDS Europe plant die EU-Kommission zum Ende des Jahres einen Umwelt-Omnibus mit Vorschlägen zur Verringerung des Verwaltungsaufwands, zunächst auf Abfall-, Produkt- und Industrieemissionsvorschriften bezogen.

Überblicksseite der EU-Kommission 

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