"Ich wünsche mir, dass vom DNT ein Signal ausgeht!"

Wie sieht es mit Stadtnatur, Klimaschutz und der Biodiversität im ländlichen Raum im Bundesland Hessen aus? Von "100 wilden Bächen", Dachbegrünung in Kassel und Frankfurt, dem Bau der A 49 und dem Ziel der Wiesbadener Erklärung auf dem kommenden Deutschen Naturschutztag berichtet die hessische Umweltministerin Priska Hinz (Grüne).
Das hessische Umweltministerium gehört zu den Mitveranstaltern des 35. Deutschen Naturschutztages in Wiesbaden mit dem Motto „Stadt – Land – Fluss“. Da müsste doch der Aktionsplan „Starkes Land – Gutes Leben“ gut zum Programm passen? 
In unserem Aktionsplan „Starkes Land – Gutes Leben“ sind alle Maßnahmen gebündelt, die die ländlichen Räume in Hessen stärken. Dabei hat der Naturschutz natürlich eine besondere Bedeutung. Biodiversität ist überall wichtig, im ländlichen Raum finden wir aber die großen Naturschutzgebiete, zusammenhängende Wälder und unbebaute Flusslandschaften. Hier wird ein wichtiger Beitrag geleistet für den Klimaschutz und die Artenvielfalt. Für die Menschen vor Ort sind sie Erholungsgebiete, die auch Besucherinnen und Besucher anziehen. Der Tourismus wiederum bringt Arbeitsplätze in die Region.
Über die Hälfte der hessischen Städte hat die Charta der Klima-Kommunen unterzeichnet. Von Unterschriften allein ist natürlich noch nicht viel erreicht. Wie weit ist Hessen auf dem Weg zur Klimaneutralität? Und ist der Bau der A 49 dem Klimaschutz wirklich zuträglich?
Die Klima-Kommunen haben nicht nur eine Charta unterzeichnet, sondern speziell auf ihre Kommune angepasste Pläne entwickelt, welche Maßnahmen sie beim Klimaschutz umsetzen wollen. Bei der Umsetzung dieser Maßnahmen werden sie dann von uns in der Finanzierung unterstützt. Im Moment mit 100 Prozent Förderung. So wurden in den letzten Jahren kommunale Einrichtungen energieeffizienter, Flächen entsiegelt und kommunale Fuhrparke elektrifiziert. Ebenfalls können Bürgerinnern und Bürger gefördert werden, die sich ein Lastenrad anschaffen oder ihre Innenhöfe begrünen. Wir sind in Hessen beim Klimaschutz auf einem guten Weg: Im Jahr 2020 lag Hessen bei einer Treibhausgasreduktion von 29 Prozent, unser Ziel waren 30 Prozent. Natürlich sind beim Klimaschutz weitere Anstrengungen notwendig. In der Landwirtschaft, den Unternehmen, der Energiewende und dem Gebäudebestand. Dazu gehört auch, dass wir bei der Verkehrswende weiterkommen. Das Land fördert nicht nur den Ausbau von Radwegen und den ÖPNV. Mit dem Schülerticket und dem Seniorenticket sind wir auf dem Weg zum Bürgerticket für ganz Hessen. Die A 49 ist leider seit langem rechtmäßig planfestgestellt und gerichtlich bestätigt, sodass dieses Bundesvorhaben umgesetzt werden muss.
Auch Flüsse sind Thema beim  Deutschen Naturschutztag. Hessen scheint da engagiert und hat eigene  Internetseiten zur Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie. Als gebürtige  Kasselanerin kann ich mich gut an meinen Bio-Leistungskurs erinnern, in  dem wir die Losse bei Kaufungen gewässerchemisch untersucht haben – mit  eher durchwachsenen Ergebnissen. Wie geht es eigentlich Fulda und Werra?
Die  Wasserqualität in der Werra und der Fulda hat sich in den letzten  Jahren verbessert. Das liegt zum einen daran, dass weniger Phosphor über  die Kläranlagen eingeleitet werden darf. In die Werra wird mittlerweile  außerdem weniger Salzabwasser eingeleitet und unser Ziel ist dort bis  2027 den bestmöglichen Zustand zu erreichen. Eine naturnahe Gestaltung  trägt ebenfalls zu einer Verbesserung der Gewässerqualität bei. So  wurden an den beiden Flüssen zahlreiche Renaturierungsmaßnahmen  umgesetzt und weitere werden noch kommen. An der Fulda konnten zum  Beispiel anspruchsvolle Fischarten wie der Schneider erfolgreich wieder  angesiedelt werden. Renaturierungen sind natürlich ein wichtiger  Bestandteil von Naturschutz. Hier greift auch unser Programm „100 wilde  Bäche“ mit dem wir Kommunen dabei unterstützen, ihre Gewässer aus  Betonbetten zu befreien und Auen naturnah zu gestalten. 
Ende März las ich auf Ihrem  Twitter-Account, dass in Hessen 875 Geotope gelistet sind, die einen  Ausflug wert wären. Aber was gäbe es denn in puncto Stadtnatur in Hessen  zu bewundern?
Gerade Städte bieten mit ihren blühenden Parks  und Balkonen viel Nahrung für Bienen. Zahlreiche Vogelarten sind auch in  den Städten zuhause, Fledermäuse wohnen in alten Gemäuern. Auch in der  Stadt ist es wichtig, der Natur einen Raum zu geben. Bäche, die bisher  in unterirdischen Tunneln durch die Städte fließen, werden wieder ans  Licht geholt und Uferbereiche renaturiert, so zum Beispiel in Wiesbaden  am Wellritzbach. Städte mit viel Grün und Wasser sind auch für ihre  Bewohnerinnen und Bewohner attraktiver und heizen sich im Sommer nicht  so sehr auf. Deshalb fördert das Land eine nachhaltige Stadtentwicklung,  die das alles mitdenkt. Über unseren Klimaschutzplan unterstützen wir  außerdem Fassade- und Dachbegrünung. Zum Bespiel in Frankfurt, Fulda und  Kassel gibt es hier bereits einiges zu bewundern. 
Der 35. DNT sollte ursprünglich im  verflixten Jahr 2020 stattfinden und vielfältig umrahmt werden mit einer  Flaniermeile in der Wiesbadener Innenstadt, vielen thematisch passenden  Ständen und Mitmachaktionen. Wegen der Pandemie wurde der Termin  verschoben und Corona hält uns immer noch alle in Atem. Was ist denn für  die Besucherinnen und Besucher vor Ort oder digital jetzt geplant und  möglich?
Der Deutsche Naturschutztag ist normalerweise ein  großes Treffen für die ehrenamtlichen und hauptamtlichen  Naturschützerinnen und Naturschützer. Hierbei spielt die Vernetzung der  verschiedenen Akteure aus dem gesamten Bundesgebiet eine sehr große  Rolle. Pandemiebedingt findet der 35. DNT in diesem Jahr rein digital  statt. Trotz allem wollen wir, dass die Teilnehmenden miteinander  interagieren können. Daher wird es neben den 80 Modulen zu  unterschiedlichen Themen auch digitale Interaktionsräume gebe. Zum  Beispiel können sich kleine Gruppen in sogenannten Breakout-Rooms für  eine Besprechung zurückziehen. Auch für kurze Privatgespräche mit  anderen Konferenzteilnehmern sind diese Breakout-Rooms ebenfalls  geeignet. Darüber hinaus wird die Stadt Wiesbaden eine digitale  Naturschutzmesse anbieten, um den regionalen und hessischen  Naturschutzbehörden und Verbänden die Möglichkeit zu geben, sich der  Öffentlichkeit zu präsentieren. Dies ist das allererste Mal, dass das  gastgebende Land und die Stadt die Themen des DNT an die breite  Öffentlichkeit herantragen.  
Der Deutsche Naturschutztag blickt  auf eine beachtliche Historie zurück. Was wünschen Sie sich als  Umweltministerin von der Veranstaltung?
Ich wünsche mir, dass  vom DNT ein Signal ausgeht. Wir können den Klimawandel ausbremsen und  den Verlust von Arten stoppen. Dafür sind große Kraftanstrengungen von  Wirtschaft, Politik und Gesellschaft nötig. Wir brauchen also einen  breiten gesellschaftlichen Konsens, aber gemeinsam können wir es  schaffen! Mit der Wiesbadener Erklärung, die wir auf dem DNT  verabschieden werden, wollen wir unsere Bereitschaft zeigen, diese große  Herausforderung anzugehen und gleichzeitig dafür werben, gemeinsam mit  uns die Natur zu schützen und unsere Lebensgrundlagen zu erhalten. 
[Interview: Juliane Grüning]
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Die Interviewpartnerin
Priska Hinz ist seit 2014 Staatsministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz in Hessen. Von 2005 bis 2014 war die ausgebildete Erzieherin für die Fraktion der Grünen Mitglied des Deutschen Bundestags.

Mehr zum Deutschen Naturschutztag
Hier geht es zur Programmübersicht vom Deutschen Naturschutztag.


