Deregulierung im Fokus: EU-Kommissionsprogramm für 2026 stößt auf Kritik

Die Kommission hat am 21. Oktober ihr Arbeitsprogramm für 2026 vorgestellt. Ein zentrales Ziel ist die Vereinfachung von Gesetzen und Richtlinien, um sowohl die Wettbewerbsfähigkeit als auch die Verwirklichung des Binnenmarktes voranzutreiben. Umweltverbände warnen: Europa kann sich nicht aus Umwelt- und Sozialkrisen deregulieren. Untätigkeit und Abschaffung von Standards erhöhten sogar die Kosten.
In ihrer Rede vor dem EU-Parlament betonte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen „Europas Moment der Unabhängigkeit“, der durch das Arbeitsprogramm 2026 gestärkt werden solle. Prioritäten dabei sind Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplätze – durchgesetzt mit höherem Tempo („Draghi plus“) und einer „neuen Flotte von Vereinfachungs-Omnibussen“, einer Verringerung von Abhängigkeiten sowie der Beachtung, dass sich die EU-Bevölkerung das alles auch noch leisten können muss („Erschwinglichkeit“). Die Neuerungen sollen zu weniger Bürokratie führen. Insgesamt sollen Einsparungen von 37,5 Milliarden Euro für Bürger*innen, Unternehmen und die öffentliche Verwaltung von 2024 bis 2029 erzielt werden. Vereinfachung und Umsetzung stünden dabei im Mittelpunkt.
Als wichtigste Eckpunkte des Arbeitsprogramms 2026 nennt die EU-Kommission:
- Nachhaltiger Wohlstand und nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit,
- Verteidigung und Sicherheit,
- Sozialmodell und Innovation,
- Lebensqualität – Lebensmittel, Wasser, Natur,
- Demokratie und Rechtsstaatlichkeit,
- Globales Engagement.
Bei der „Vorbereitung auf die Union von morgen“ müssten ausreichend Mittel bereitstehen, insofern hofft die EU-Kommission darauf, dass ihr Vorschlag für den Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR 2028-2034) in Höhe von rund zwei Billionen Euro von Rat und Parlament möglichst zügig verabschiedet wird.
Vereinfachung per Omnibus
Parallel hat die EU-Kommission ihren ersten jährlichen Vereinfachungsreport [Einzelberichte der Ressorts] veröffentlicht, in dem die bisherigen Fortschritte bei Vereinfachung, Umsetzung und Durchsetzung analysiert werden. Demnach könnten die ersten – von Umweltverbänden harsch kritisierten [Lieferkettenrichtlinie, Nachhaltigkeitsberichterstattung, Agrar, Sorgfaltspflichten, Chemikalien] – Omnibus-Pakete und anderen Vereinfachungsvorschläge für Unternehmen und Bürgerinnen und Bürger zusammengerechnet jährlich mehr als 8,6 Milliarden Euro an Kosten einsparen. Zu der von von der Leyen erwähnten neuen „Flotte von Omnibussen“ gehören der Omnibus zu Lebens- und Futtermittelsicherheit noch in diesem Jahr (siehe Offener Brief von Umweltverbänden) und der angekündigte Umwelt-Omnibus (EU-News 24.07.2025). Das ursprünglich als Omnibus gedachte Energiepaket soll nächstes Jahr im Quartal 3 kommen, ebenso der erste Teil eines Klimapaketes. Für 2026 sind außerdem ein Omnibus zur Vereinfachung der Vorschriften zu Energieerzeugnissen sowie ein Omnibus zur Besteuerung geplant (siehe nächster Abschnitt). [Kleines Omnibus-Glossar, grüner Kasten]
Was ist 2026 konkret geplant?
In den verschiedenen Anhängen zum Arbeitsprogramm sind die neuen geplanten Initiativen (Anhang I) sowie Evaluierungen und Eignungsprüfungen (Anhang II) aufgelistet. Im Anhang III finden sich „anhängige Vorschläge“ - also schon vorliegende Politikmaßnahmen noch ohne Beshcluss - , im Anhang IV Rücknahmen sowie eine Aufhebung im Anhang V (Zölle). Hier eine Übersicht von aus Umweltsicht wichtigen Initiativen und Evaluationsvorhaben:
Quartal 1
- Energie: Aktionsplan zur Elektrifizierung, einschließlich Heizung und Kühlung
- Energie: Stärkung der Energiesicherheit (legislativ)
Quartal 2
- Landwirtschaft: Strategie für die Tierhaltung inklusive Elementen zum Tierwohl (nicht-legislativ)
- Industrie: Gesetz über das öffentliche Beschaffungswesen
- Energie: Omnibus-Paket zur Vereinfachung der Vorschriften zu Energieerzeugnissen
- Finanzen: Omnibus zu Besteuerung
- Bessere Rechtsetzung: Mitteilung zu besserer Rechtsetzung
- Gesundheit: Initiative für Resilienz im Bereich der globalen Gesundheit (nicht-legislativ)
- Fischerei: Evaluierung der Verordnung über die Gemeinsame Fischereipolitik
- Landwirtschaft und Ernährung: Evaluierung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit
- Landwirtschaft und Tierschutz: Evaluierung der Verordnung über Tiergesundheit
Quartal 3
- Industrie: Kreislaufwirtschaftsgesetz
- Energie: Paket zur Energieunion post-2030: Rahmenbedingungen für erneuerbare Energien und Schaffung des Rechtsrahmens für die Energieeffizienz sowie CO₂-Transportinfrastruktur und -Märkte
- Klima: Erster Teil des Klimapakets zur Aktualisierung des EU-Emissionshandelssystems für See- und Luftverkehr und ortsfeste Anlagen sowie der einschlägigen Marktstabilitätsreserve (MSR) (ein zweiter Teil zur Lastenteilungsverordnung (Effort Sharing Regulation, ESR) folgt im vierten Quartal)
- Landwirtschaft: Aktualisierung der Vorschriften über unlautere Handelspraktiken in der Lebensmittelkette
- Fischerei: Vision 2040 für Fischerei und Aquakultur
- Binnenmarkt: Europäischer Produktrechtsakt
- Landwirtschaft: Evaluierung der Verordnung über Düngeprodukte
Quartal 4
- Energie/Klima: Aktualisierung der Governance der Energieunion und des Klimaschutzes, einschließlich des Auslaufens der Subventionen für fossile Brennstoffe
- Klima: Zweiter Teil des Klimapakets zur Lastenteilungsverordnung (Effort Sharing Regulation, ESR): Überarbeitung der nationalen Ziele und Flexibilitäten im Rahmen der EU-Klimapolitik
- Klima: Europäischer integrierter Rahmen für Klimaresilienz
- Naturschutz: Meeresgesetz (Ocean Act)
- Gentechnik: Evaluierung der Verordnung über den Zugang zu genetischen Ressourcen und die Aufteilung der sich aus ihrer Nutzung ergebenden Vorteile (Anhang II)
- Umwelt: Evaluierung der Verordnung über Biozidprodukte (Anhang II)
Einordnung: wenig neue Gesetzesvorschläge, starker Fokus auf nichtlegislative Korrekturen und umfassende Deregulierungspakete
„Das Arbeitsprogramm 2026 der Europäischen Kommission bietet wenig Grund zur Zuversicht, dass die EU bereit ist, sich der Tragweite der Umwelt- und Sozialkrisen zu stellen, die sich auf dem gesamten Kontinent abzeichnen“, kritisierte das Europäische Umweltbüro (EEB). Während Europa mehrere planetare Grenzen überschreite (EEA-Bericht zum Zustand der Umwelt, EUCRA-Klimarisikobewertung, Bericht „Global Tipping Points“), jage die EU-Kommission einem falschen Versprechen von Vereinfachung, Deregulierung und sogar Abschaffung von Gesetzen hinterher. EEB-Generalsekretär Patrick ten Brink kommentiert: „Wir können uns nicht aus dieser Krise deregulieren. Wahre Wettbewerbsfähigkeit hängt von intelligenten politischen Maßnahmen und einer glaubwürdigen langfristigen Ausrichtung ab.“ Die Senkung von Standards, die menschliche Gesundheit sowie Natur und Umwelt schützen, sei ein Wettlauf nach unten und diene nur denjenigen, die auf Kosten der Gesellschaft von Umweltverschmutzung profitierten. Die Nichtumsetzung des EU-Umweltrechts koste Europa jährlich rund 180 Milliarden Euro, während die vollständige Einhaltung 122 Milliarden Euro kosten würde. „Der nächste EU-Haushalt muss Geld dort einsetzen, wo es darauf ankommt: in Resilienz, saubere Industrien und florierende natürliche Systeme“, ergänzte ten Brink. „Unternehmen brauchen Investitionssicherheit, und die Bürger*innen brauchen einen lebenswerten Planeten.“ Europa müsse unangemessene, kurzfristige technische Lösungen vermeiden und sich stattdessen auf die Wiederherstellung der Natur und die Reduzierung des Ressourcenverbrauchs als beste Verteidigung gegen Klima- und Umweltrisiken konzentrieren.
Das Arbeitsprogramm der EU-Kommission zeigt aus Sicht des EEB wenig Interesse an Rechtsvorschriften in den Bereichen Natur, Klima oder Energie und biete hauptsächlich eine Vereinfachung bestehender Vorschriften oder, schlimmer noch, die Rücknahme wichtiger Gesetzesvorschläge wie dem zur EU-Waldüberwachung und einem nicht legislativen Elektrifizierungsplan. Mit einer Elektrifizierungsrate von 23 Prozent liege Europe weit unter dem 2030-Ziel von 32 Prozent, China habe bereits 29 Prozent erreicht. Wenn die EU im globalen Wettlauf um saubere Technologien wettbewerbsfähig bleiben wolle, brauche sie starke, verbindliche Maßnahmen, die echte Investitionen fördern.
Immerhin: Die bevorstehende EU-Strategie zur Anpassung an den Klimawandel, das Meeresgesetz und das Kreislaufwirtschaftsgesetz könnten „zu den wenigen wichtigen Tagesordnungspunkten mit echtem Potenzial für 2026 gehören“, so der europäische Umweltdachverband. Ihr Erfolg hänge allerdings von ihrer Ausrichtung ab.
„Enttäuschendes Signal für den Tierschutz in Europa“
Die für das zweite Quartal 2026 geplante Tierhaltungsrichtlinie inklusive Elementen von Tierwohl (nicht-legislativ) stößt auf Kritik vom Deutschen Tierschutzbund. Die Organisation zeigte sich enttäuscht vom Vorschlag der Kommission für ihr Arbeitsprogramm 2026. Weder die angekündigte Überarbeitung der EU-Tierschutzgesetzgebung werde angegangen noch eine Reform der Chemikalienverordnung REACH. „Wir erwarten, dass die EU-Kommission Wort hält und die dringend notwendige Reform nicht auf die lange Bank schiebt“, sagte Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, und forderte eine Umsetzung zumindest noch in dieser Amtszeit der EU-Kommission. [md/jg]
EU-Kommission:
- Kommission stellt Arbeitsprogramm 2026 vor
- Arbeitsprogramm der Kommission für 2026 hier auf deutsch, mit Suchfunktion
- Zusammenfassender Bericht über Vereinfachung 2025
- Fragen und Antworten zum Arbeitsprogramm der Kommission für 2026
- Fragen und Antworten zum zusammenfassenden Bericht 2025
EEB: Commission’s 2026 Work Programme: Europe cannot deregulate its way out of crisis
Deutscher Tierschutzbund: Tierschutzbund zum Arbeitsprogramm der EU-Kommission


